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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 406/407
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Seiten zu groß geworden; ein gütlicher Ausgleich war nicht mehr
möglich. Infolgedessen autorisierte der Magistrat am 3. August
1869 die Vorstandsmitglieder Krause und Krosdorf, die Haupt-
führer der Spinnereibesitzer, zur Klage gegen die Interessenten,
um auf gerichtlichem Wege die Einnahmerückstände beizutreiben.
Ehe die gerichtliche Entscheidung fiel, kamen die Innungs-
etablissements - Fabrik und Walke - unter den Hammer. Am
Versteigerungstermine - 2. Oktober 1869 - wurden sie von den
Spinnereibesitzern für 22 000 rtl. erworben. Am Geldlegungs-
termine zahlten die Vorstandsmitglieder Krause und Krosdorf,
ohne den Obermeister zu fragen, die Hypothekengläubiger mit
18 300 rtl. aus und verteilten den Überschuß nach eigenem Gut-
dünken an Gläubiger ihrer Partei. Mit Recht hoben die Gegner
in einer Beschwerde an den Minister des Innern vom 20. August
1872 hervor, daß auch damals noch eine Ordnung der Verhältnisse
möglich gewesen wäre, denn der ungedeckte Schuldenbetrag hätte
sich auf 5- bis 6000 rtl. belaufen und wäre bei gerechter Verteilung
von den noch vorhandenen 38 Meistern leicht zu tragen gewesen,
aber die Gegenpartei hätte jede Beteiligung an der Schulden-
deckung abgelehnt.
Das Konsortium derjenigen Meister, welche nunmehr sämt-
liche Spinnereien und die Walke besaßen, erwartete zuversichtlich
ein obsiegendes Erkenntnis in den von Krause und Krosdorf an-
gestrengten Klagen, aber es erlebte eine Niederlage nach der
andern. Das Kreisgericht bestritt nicht bloß die Rechtsgültigkeit
der Spinnerei- und Walkeordnung vom 26. Oktober 1865, sondern
erkannte auch den beiden Klägern die Klagelegitimation ab; eine
Klageautorisation durch den Magistrat sei nach der inzwischen in
Kraft getretenen Norddeutschen Gewerbeordnung vom 21.6.1869
unzulässig. In der Urteilsbegründung machte das Kreisgericht
darauf aufmerksam, daß es sich bei der Benutzung der Spinnerei
um einen Vertrag handelte, kraft dessen die Innung die Arbeit
lieferte, die Interessenten die Vergütung zahlten; eine wesentliche
Bedingung des Vertrages war die Rechnunglegung, um den Bei-
trag zur Deckung des Defizits zu ermitteln und den Spinnlohn-
satz festzustellen. Davon hing die weitere Beteiligung des
Spinners ebenso ab wie die Rentabilität der Fabrik. Hier hat
die Innung versagt; sie hat den Vertrag nicht erfüllt und konnte
von dem andern Kontrahenten nicht Erfüllung fordern. Die
nächste Instanz, das Glogauer Appellationsgericht, trat am 25. Fe-
bruar 1871 dem Urteil der Vorinstanz bei. Ebenso erging es den
andern Klageanträgen. Die Gerichtskosten wurden der Innung
aufgebürdet, auf Antrag des Gerichts vom Magistrat im Exeku-
tionsverfahren eingetrieben, aber auf Anweisung der Regierung
zurückbehalten und später zurückgezahlt, weil die Beitreibung
dieser Beträge Sache des Gerichts war. - Inzwischen verhandelte
der Magistrat mit den Innungsgläubigern, um einen Vergleich
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herbeizuführen. Die Innungsversammlung einigte sich auf das
Angebot von 25 Prozent, aber die Gläubigerversammlung lehnte
es ab. Da das Innungsstatut ratenweise Schuldentilgung er-
laubte, und außerordentliche Beiträge in gleicher Höhe repartiert
werden mußten, schlug der Magistrat eine dreißigjährige
Tilgungsfrist und pro Mitglied 3 1/2 rtl. Tilgungsbeitrag vor.
Die Schulden beliefen sich auf 5360 rtl. Mit der niedrigen Abzah-
lungsquote waren sie überhaupt nicht zu tilgen. Daher wurde
später eine Repartition auf Grund der Klassensteuer eingeführt.
Aber auch damit war keine Schuldentilgung möglich; 1886 stellte
der Magistrat fest, daß die Vermögensstücke der Innung in
12 alten Hüten und Mänteln und einer Fahne bestanden. Dem
standen die Forderungen der Gläubiger in Höhe von 19 644 Mark
gegenüber. Die eingehenden Tilgungsraten verringerten sich
ständig, da die Zahl der Beitragspflichtigen sank; es gingen nur
338 Mk. ein, während zur Zahlung der jährlichen Zinsen 689 Mk.
hätten eingehen müssen. Im Jahre 1904 hörte die Schulden-
tilgung nach Ablauf der dreißigjährigen Frist auf.
Die alten Tuchmacher - 1865 noch 58 - waren verstorben,
verzogen, in andre Berufe übergegangen oder arbeiteten als
Gesellen. Einige wenige arbeiteten noch bis in die achtziger
Jahre, am längsten E. John: bis 1887. - Die Eigenspinnerei-
besitzer gründeten 1870 den "Tuchfabrikverein Lüben", beriefen
einen Direktor und gaben auch sonst der neuen Gründung einen
glanzvollen Anstrich. Aber 1874/75 brach die Herrlichkeit zusam-
men, der Direktor endete durch Selbstmord, der tonangebende
Führer Krause wurde Gastwirt in einem Dorfe und ist später
verschollen. Die Niederwalke, die Werke in Ossig und Rodemühle
wurden verkauft; die Spinnfabrik (Stadtmühle) von E. John
erworben. Die Lübener Tuchmacherei war zu Ende.
Das Textilgewerbe war in Lüben nicht bloß durch die Tuch-
macher, sondern auch durch die Leinwandweber vertreten.
Das Mittel der Parchner, Züchner und Leinweber war von
Herzog Ludwig am 5. September 1659 begründet und mit den
Privilegien, welche Georg Rudolph am 1. Februar 1651 der
Liegnitzer Zeche gegeben hatte, begnadet worden. Die Liegnitzer
Innung galt als Oberzeche. Die Innungsartikel verboten den
Verkauf von Garn durch Bürger und Fremde und den Verschleiß
roher oder gefärbter Leinwand außerhalb der Zunft, behielten
aber die Abänderung der Zunftprivilegien ausdrücklich vor. Das
Leinwebermittel erlangte niemals erhebliche Bedeutung833). Es
zählte am Beginne der preußischen Ära 4 Meister mit 5 Stühlen.
Unter dem steten Drängen der Regierung stieg die Zahl der

833 Zimmermann "Blüte und Verfall des Leinengewerbes in Schle-
sien" 1885, zählt in Lüben 1748: 52 Webstühle, 1750: 47, 1755: 56 usw.
Augenscheinlich sind die Webstühle in den Kreisdörfern mitgezählt.