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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 446/447
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bedaure, daß es in neuerer Zeit immer mehr vernachlässigt und
durch anderen Sport verdrängt wird.
Vom "Schwarzen Adler" nur durch ein schmales Haus ge-
trennt, worin der Buchbinder Riedel wohnte, erhob sich das
stattliche Gerichtsgebäude jetzt völlig zu einem Geschäftshause
umgewandelt. Ich hatte ja als Knabe - Gott sei Dank! -
nichts darin zu tun, aber ich erinnere mich doch noch einiger
Männer, die darin ihres Amtes walteten. Da war der Herr
Gerichtsdirektor Scheurich, mit dessen Kindern ich verkehrte. Sein
Sohn Georg war mein Schulkamerad, ein lieber, verträglicher,
nicht unbegabter Junge; leider ist er früh einem tragischen Geschick
erlegen. Da war der Herr von Burgsdorff, die Seele aller
musikalischen Aufführungen in der Stadt; da war auch der Sekre-
tär Beyer, der Leiter der Ressource, einer Gesellschaft, in der sich
die "besseren" Bürger jeden Winter mehrmals zu Tanz und Spiel
vereinigten. Wahrscheinlich gehörte zum Gericht auch Herr Treppe,
dessen Kinder kleine Theateraufführungen in der elterlichen Woh-
nung veranstalteten, der Kalkulator Lange, ein Mann mit lockiger
Biedermeierfrisur, der Botenmeister Hagemann und Sekretär
Killmann, der sehr schön in Wasserfarben malte und in der damals
neuen Badeanstalt den Schwimmunterricht einführte. Von seinem
Sohne, meinem Freund, werde ich noch zu sprechen haben.
Neben dem Gericht - die Gegensätze berühren sich - befand
sich die Destillation von Lachmann, dann kam das Eckhaus, in
welchem damals, ehe es Herr Härtie, einer der verdienstvollen
Bürger Lübens, in Besitz nahm, ein gewisser Warmbrunn ein
Glas- und Porzellangeschäft betrieb. - Die nordwestliche Seite
des Ringes hatte für den Knaben auch ihre Reize. Das Eckhaus
an der Niederglogauer Straße bewohnte Herr Sattlermeister
Brendel, ein gewichtiger Mann in der Stadt, der mir aber nur
interessant als Verfertiger der besten Blaserohrzwecken, die man,
wenn ich nicht irre, zu 1 Pfennig das Stück bei ihm kaufen konnte.
Sie bestanden aus einem Nagel, über dessen Kopf ein winziges
Stückchen behaarten Rehleders zusammengebunden war. In der
Mitte der Häuserreihe befand sich eine Konditorei, die von zwei
Schwestern Krause und ihrem Bruder geführt wurde. Die beiden
hageren Damen waren Freundinnen meiner Mutter. Ein Dreier
reichte hin, um bei ihnen eine röhrenförmige bunte Düte mit
"Pimpernüsseln" zu erstehen, kleine Kügelchen aus Pfefferkuchen-
teig. An der Ecke der Oberglogauer Straße verkaufte Bäcker Obst
seine Brote und Semmeln.
Ihm gegenüber liegt eins der schönsten Häuser von Lüben,
das zu Anfang des 18. Jahrhunderts erbaut ist und in einer
langen Inschrift gegenüber dem "Grünen Baum" die damaligen
Getreidepreise verzeichnet. In ihm betrieb ein Kaufmann Schmidt
sein Geschäft. Seinen Vater nannte man scherzweise "Rothschild",
weil man munkelte, er wäre der reichste Mann der Stadt und
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besäße mindestens 20 000 rtl. im Vermögen. Dann kam in der
Reihe Frau Metzdorf mit einem Glas- und Porzellanladen, dann
Frau Fleischermeister Güttler, berühmt durch ihre Knoblauch-
wurst, dann der Seifensieder Schütze, wo die "Korn-Malchen"
ihre Kleinkinderschule hielt, von der ich noch zu sprechen habe;
im nächsten Hause wohnte Dr. Gradenwitz, der weit über 50 Jahre
seine sehr humane ärztliche Tätigkeit in Lüben ausgeübt hat.
Ihm benachbart war der Goldarbeiter Knobelsdorf, diesem der
Uhrmacher Ulrich, dann kam mein Elternhaus, das der Vater,
wohl im Jahr 1857, von dem Leinwandhändler Kolbe für wenig
mehr als 2000 rtl. erstanden hatte; es folgte dann auf dieser
Seite der Fleischermeister Schütze und endlich der Gasthof zur
Krone. Alle diese Häuser waren nach demselben Typus gebaut,
wahrscheinlich sofort nach dem großen Brande, wo der Raum durch
die Stadtmauer noch sehr beengt war. Der Giebel war nach der
Straße zu gerichtet, das ganze hatte nur zwei oder drei Fenster
Front. Neben dem Hausflur befand sich ein schmales Gemach,
in der Mitte das Treppenhaus, nach hinten ein größeres Wohn-
zimmer, neben dem ein schmaler Gang in den Hof führte, der
gewöhnlich noch ein winziges Gärtchen und ein Hinterhaus ent-
hielt und dann durch die zerfallende Stadtmauer von dem tiefer
liegenden Nickischgarten, dem ehemaligen Wallgraben, abge-
schlossen wurde. Der erste Stock war gewöhnlich vermietet, da
die bescheidenen Verhältnisse des Besitzers nicht zuließen, das ganze
Haus allein zu bewohnen. Im Dachgeschoß hatte man vornheraus
noch ein Jungfernstübchen, nach hinten den "Boden", die allge-
meine Vorrats- und Rumpelkammer, von dessen Fenstern man
über die Parkbäume nach den Anhöhen der Stadtheide bei Guhlau
blickte, dessen Schlößchen ein weißschimmerndes, vom dunklen
Walde sich abzeichnendes Merkzeichen der ganzen Gegend bildete.
Die Häuser auf der anderen Seite der Straße hatten keine
Giebel, sondern ein glatt abfallendes Dach, sahen also recht nüch-
tern aus, waren aber dafür breiter. Da wohnte der Bäcker
Schmidt, der Freund meines Vaters, und der Kaufmann Dietrich,
in seinem Fache der erste Mann der Stadt. Auf der rechten Seite
des geräumigen Ladens war das Spezereigeschäft, auf der linken
Seite verkaufte die Frau Modewaren. Diese Straße bildete also
die engere Umwelt, in der ich vom zehnten Jahre an aufwuchs;
und da gerade aus dieser Lebenszeit die Eindrücke am getreuesten
im Gedächtnis haften, könnte ich davon manches erzählen. Aber
ich will mich auf das beschränken, was kennzeichnend ist für das
Leben und Treiben einer so kleinen Stadt vor etwa 50 bis 60
Jahren.
Meine Mutter hatte sich einen Laden eingerichtet, darin sie
Glas, Porzellan und im Winter Görlitzer Tuchschuhe verkaufte.
Im Keller stand den Kunden eine Drehrolle gegen geringes
Entgelt zur Verfügung. Der Vater trieb die Künste der kleinen