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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 234/235
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Material dazu; das Stroh und übrige Bedürfnis mußten die
Bewohner der Umgegend liefern. Bald gewann der Wald das
Ansehen einer großen Werkstätte. Hier fällten Soldaten Bäume,
dort wurden die einzelnen Bestandteile gezimmert, auf einem
andern Platz Pfähle geschnitzt; und sehr bald wurde der schöne
Fichtenwald so dünn, daß den Forstbeamten die Mühe der Aufsicht
für die Zukunft erspart sein wird. Nunmehr ging die Arbeit rasch
vorwärts; die Baracken erhoben sich auf der abgesteckten Lager-
stelle in parallelen Linien und bildeten eine neue Stadt.
Das Lager war nördlich von dem Städtchen Lüben auf ebenen
Feldern, die Front nach dem Dorfe Mallmitz, abgesteckt, dergestalt,
daß die badischen Truppen den rechten, die hessischen den linken
Flügel erhielten, und bestand aus vier nebeneinander laufenden
Linien mit Baracken. Auf der ersten Linie waren die größeren
Baracken für die Lagerwachen und Gewehrpyramiden gebaut, den
Rücken der Lagerfront zugekehrt; dann folgten auf der zweiten
Linie die Baracken für die Soldaten, je 3 und 3 nebeneinander
quer über die Linie gestellt, die vordere Seite nach den Lager-
gassen gekehrt, die Rückseite an die Hütten der nächsten Kompagnie
gelehnt, sodaß sechs Hütten ein Quadrat bildeten. In jeder Hütte
befanden sich 2 Unteroffiziere und 20 Gemeine. Auf der dritten
Linie befanden sich die Offizierswohnungen, aus größeren Hütten
mit mehreren Abteilungen bestehend, parallel auf die Linie ge-
baut, und zwischen diesen und den Hütten der Soldaten befanden
sich die Feueressen, um welche der Zwischenraum später mit aller-
lei Gartenanlagen, Blumen und Gesträuchen verziert wurde.
Das Ganze bildete, von der auf der rechten Flanke befind-
lichen Anhöhe vom Städtchen aus betrachtet, einen imposanten
Anblick; und wer nach der gewöhnlichen Exerzierzeit das Lager
besuchte, hatte das getreue Abbild einer Soldatenkolonie. Markt,
Ball, gymnastische Übungen, Tavernen, Barbierstuben, Schneider-
und Schuhmacherbudicken, kurz alles, was der Verkehr einer
großen Anzahl Menschen erfordert, war auch hier zu finden, und
die große Reinlichkeit erhöhte noch das Anziehende dieses Schau-
spiels, wozu sich auch viele Neugierige aus dem Städtchen täglich
einfanden.
Die lange Dauer des Waffenstillstandes ließ den Soldaten
Muße genug, sich außer der Sorge für ihre Person auch noch mit
der Verschönerung des Lagers zu beschäftigen, und diese Muße
wurde denn auch dazu angewendet, die großen Intervallen, die
von den Lagerbaracken gebildet wurden, zu Gärten umzuschaffen.
Hier schöne grüne Rasensitze, umduftet von dem gewürzhaften
Goldlack, der Grasblume, der Levkoje, dort prangen auf von Erde
und Rasen errichteten Blumengestellen die Hortensie und Geranie
in ihrem schönen Farbenspiel, hie und da sieht man noch eine
blühende Spätrose; selbst das bescheidene Veilchen fand noch seine
Stelle und entlockte dem nachdenklichen Beschauer unwillkürlich
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den Ausdruck der Bewunderung. Auch die Sonnenblume erhebt
ihr stolzes Haupt unter den andern Gewächsen, die in geregelter
Ordnung gepflanzt, der mittleren großen Straße des Lagers
einen lachenden Anblick geben. Diese friedliche Hinterseite des
Lagers bildete mit der Vorderseite desselben, wo unter offenen
Gestellen die geordneten Waffen aller Gattungen drohend hervor-
blitzten, und zahlreiche Schildwachen unter Strohhütten aufgestellt,
den Zugang bewachten, einen schneidenden Kontrast.
Es ist 6 Uhr morgens; die Reveille wird geschlagen, und nun
beginnt ein reges Leben im ganzen Lager. Hier sieht man einen
Trupp Soldaten, die zur Besorgung der Küche beordert sind,
unter Anführung eines Unteroffiziers mit Kesseln und Kannen,
in das nahe Dorf ziehen, um das nötige Brunnenwasser zu holen,
währenddem hundert andere in dem durchfließenden Bächlein die
Wäsche reinigen. Dort steht ein Trupp mit Äxten und Beilen
bewaffnet, bereit in dem nahen Wald den Bedarf an Brennholz
zu fällen; sie warten nur noch auf den Offizier, der sie anführen
soll. Dieser ist in das Städtchen gegangen, um den Forstbeamten
zu requirieren, der, um der Form zu genügen, die Stellen zum
Holzfällen anweisen soll. Unterdessen haben die Leute Lange-
weile und schäkern mit den zum Verkauf von allerlei Lebens-
bedürfnissen das Lager durchziehenden Mädchen aus dem benach-
barten Städtchen, welche kommen, um bei den stets genußsüchtigen
Soldaten ihre Ware anzubieten. Viele einzelne Gruppen sitzen
vor ihren Hütten und benützen die Wärme der Sonne, ihren
Patrontaschen Glanz zu verschaffen, welche sie mit schwarzem
Wachs bestreichen. Andere reiben aus Leibeskräften an ihren
Flintenläufen, um sie von Schmutz und Flecken zu befreien,
während wieder andere ihrem Lederzeuge blendendes Weiß geben.
Ganz im Hintergrunde hält ein Marketenderkarren, auf welchem
sich gleich einem Marktschreier der Eigentümer postiert hat. Das
Gedränge um sein kleines Fuhrwerk ist so groß, daß er und seine
Gehilfin nicht Hände genug haben, alle Durstigen, von denen der
eine Bier, der andere Schnaps, wenige nur Kaffee verlangen, zu
befriedigen, nicht Aufmerksamkeit genug, um von jedem Befriedig-
ten auch gleichmäßig mit klingender Erkenntlichkeit versehen zu
werden.
Den Schluß des Gemäldes machen einzelne vorübergehende
Feldwebel mit ihren roten Saffianbrieftaschen unter dem Arm.
Sie begeben sich zu ihren Kapitäns, um Rapport abzustatten;
mehrere Soldaten sind ihr Gefolge. Der eine trägt ein reparatur-
bedürftiges Gewehr, der andere ein Paar Schuhe, die der Sohlen
bedürfen, ein dritter das zerbrochene Kinnband eines Tschakos und
noch ein anderer wurde in der Garnison mit einer Uniform ver-
sehen, die, ohnerachtet sie schon mehrere Umänderungen erleiden
mußte und hinlänglich Zeit hatte, sich dem Körper anzupassen,
doch dem spähenden Auge des Kapitäns immer noch Mängel dar-