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Über das kirchliche Leben während der friederizianischen
Periode fehlen zuverlässige Nachrichten. Am ehesten gewährt das
Kommunikantenregister712) einen Einblick in die innerkirchlichen
Verhältnisse. Die Kommunikantenziffer betrug 1745: 4820, das
waren etwa 155 Prozent der Seelenzahl, sie sank von da an
ständig und betrug um die Jahrhundertwende nur noch 3561, d. i.
108 Prozent. Die Abendmahlsfeiern fanden regelmäßig Sonntag
und Freitag, außerdem an den zweiten Feiertagen der hohen
Feste, Gründonnerstag, Karfreitag und am Buß- und Bettage
statt. Letzerer war an die Stelle der früheren vierteljährlichen
Bußtage getreten. Eigentliche Abendmahlstage mit Massen-
andrang fehlten; bevorzugt waren die Freitage, an denen in der
Advents- und Passionszeit gelegentlich über 100 Kommunikanten
sich einstellten. Als 1791 die Privatbeichte abgeschafft wurde,
begann der Rückgang besonders der Sonntag-Kommunionen.
Bald wurde er allgemein. Der Bußtag hatte schon 1798 keine
Abendmahlsfeier mehr gehabt, seitdem geschah dies mehrfach und
1809 hörte sie ganz auf. Im Jahre 1805 fiel die sonntägliche
Abendmahlsfeier gelegentlich aus, 1806 öfter, 1807 waren sie
eine Seltenheit, 1808 beschränkten sie sich auf 4-5 Sonntage, von
1813 ab schwand sie gänzlich. Von 1814 ab wurden die Abend-
mahlsfeiern an den zweiten Feiertagen, von 1817 ab am Kar-
freitage eingestellt, sodaß nur noch die Freitage und der Grün-
donnerstag als Kommuniontage übrig blieben, wenn nicht - wie
am Reformationsjubiläum 1817 - dann und wann eine außer-
ordentliche Feier eingeschoben wurde. Die Kommunikantenziffer
sank naturgemäß rapide; sie betrug 1810: 100 Prozent, 1820:
79 Prozent, 1830: 64 Prozent, 1840: 41 Prozent, 1850: 32 Prozent
der Seelenzahl.
Schwerer ist der Kirchenbesuch zu kontrollieren. An Gottes-
diensten war kein Mangel; außer den Sonntagsgottesdiensten
wurden Mittwoch und Freitag Wochengottesdienste gehalten, dazu
kamen die täglichen Frühgebete, Kinderlehren im Sommer am
Sonntag, Montag, Dienstag und Mittwoch, 2 wöchentliche Fasten-
predigten, Sonnabends Wochenschluß. Der Besuch der Morgen-
gebete blieb trotz aller behördlicher Mahnungen schlecht. Im Jahre
1805 beschwerten sich die Diakonen Ortlob und Schirmer über den
geringen Besuch der Morgengebete, am Montag kämen 4 Per-
sonen, am Dienstag und Donnerstag niemand. Sie beantragten,
712 Das Register beginnt 1766: bis 1772 sind die Eintragungen
unzuverlässig. Die Stadt war bis dahin nur unvollständig besiedelt,
nachdem sie 1757 abgebrannt war. Von 1774 ab - 1773 fehlt - sind
die Eintragungen genau. Die älteste Kommunikantenziffer von 1745
fand sich im Kurrendebuch. - Die Seelenzahl der Parochie ließ sich für
1768 annähernd genau ermitteln. Bis 1819 ließ sich die Seelenzahl auf
Grund der Einwohnerzahl der Stadt schätzen, sodaß die angenommenen
Zahlen der Wirklichkeit einigermaßen entsprechen dürften. |
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diese Andachten aufzuheben, denn das sei kein öffentlicher Gottes-
dienst mehr, wenn der Pastor vor 2 oder 3 Leuten auf der Kanzel
stände, und wenn hierzu Kantor, Glöckner und 6 Brotschüler auf-
geboten würden. Das sei ebenso ungereimt, als wenn ein Oberst
mit 6 Unteroffzieren 2-3 Mann kommandiere. Daraufhin be-
schloß die Kommunität, die Dienstag- und Donnerstaggebete im
Winterhalbjahr einzustellen; bei einem Wechsel im Archidiakonat
und Diakonat sollten sie wieder eingerichtet werden. Sie fielen
aber dauernd weg713). Der Klingelbeutel, welcher 1708/1712 im
Durchschnitt noch ca. 609 rtl. ergab, brachte 1750 nur noch ca.
280 rtl. ein und wurde 1760 im Etat mit ca. 147 rtl. veranschlagt.
Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß nach der Rückgabe der
Kirche an die Evangelischen im Jahre 1707 naturgemäß das
kirchliche Leben einen starken Aufschwung nahm, und daß 1754
die Aposteltage wegfielen, und damit eine Verminderung der
Gottesdienste begann. Trotzdem bleibt der starke Rückgang des
Klingelbeutels ein Zeugnis für den Rückgang des Kirchenbesuchs.
Die K o n f i r m a t i o n war jedenfalls in preußischer
Zeit bereits eine stehende Einrichtung; über den Zeitpunkt ihrer
Einführung fehlen die Nachrichten. Die Erstkommunion war vor
1775 nicht mit der Konfirmation verbunden, sie fand auch nicht
korporativ statt. Die Konfirmanden kommunizierten mit ihren
Eltern. Konfirmationstag war Quasimodogeniti, ausnahms-
weise gelegentlich Misericordiasdomini oder Jubilate. Neben der
Osterkonfirmation wurden seit 1817 Michaeliskonfirmationen
gehalten, die aber nur geringe Beteiligung aufwiesen. Seit 1832
wurde die Osterkonfirmation am Gründonnerstag vollzogen, seit
1854 an verschiedenen Sonntagen (Palmarum, Quasimodog. etc.)
von 1859 ab ständig Palmarum.
Im allgemeinen befand sich das kirchliche Leben unter der
Vorherrschaft des Rationalismus im Niedergang. Darin brachte
auch die Zeit der "schweren Not" und der Freiheitskriege keine
wesentliche Änderung. An die französische Invasion erinnert ein
Ukas des Kaiserl. Königl. Französischen Generalgouvernements
in ganz Schlesien d. d. Glogau 19.5.1807, der zur Erhaltung
der Ruhe und Ordnung der Untertanen befahl, den Herrschaften
die schuldigen Dienste zu leisten. Die "französisch-lutherische Geist-
lichkeit des Kreises Lüben" wurde angewiesen, dies dreimal von
der Kanzel bekannt zu machen. Solche Vorgänge entschwanden
bald der Erinnerung, desto zähere Lebenskraft bewiesen andere
Denkzettel. Die finanzielle Lage der Lübener evangelischen
Kirchengemeinde war nie glänzend gewesen. Nach einem Berichte
des Kirchenvorstehers Dr. Matthaeus714) vom 10. Mai 1743 be-
713 Pfarrarchiv Acta betr. öffentlichen Gottesdienst.
714 Staatsarchiv Acta betr. Streit des Kirchenvorstehers Dr. Matthaeus
contra Magistrat 1743-1747. |