Zum Gesamtüberblick Zur vorigen Seite Zur nächsten Seite Zur letzten Seite (Inhalts- und Abbildungsverzeichnis)
Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 348/349
- 348 -

Jahre beantragte Dr. Schmidt die Errichtung der Tertia; die
Schuldeputation war nicht abgeneigt, aber der Magistrat lehnte
ab. In der Bürgerschaft war sogar eine starke Strömung vor-
handen, welche die höhere Knabenschule ganz beseitigt wissen
wollte. Dabei wirkte wohl der Fehlschlag mit, den man bei der
Bewerbung um die Schwabe-Priesemuth-Stiftung erlitten hatte.
Über die Stiftung selbst sei folgendes bemerkt: Christian Gottlieb
Schwabe, Erbherr auf Braunau und Besitzer der Herrschaft
Schmellwitz, und seine Ehefrau Juliane, geb. Priesemuth, be-
schlossen, da sie in kinderloser Ehe lebten, eine Waisenstiftung zu
errichten. Dieselbe sollte jedoch erst ins Leben treten, wenn das
Stiftungskapital auf 200 000 rtl. angewachsen war; das war 1861
der Fall. Goldberg und Lüben, ersteres als Nachbarstadt des
Geburtsortes Schwabes - Wilhelmsdorf -, letzteres als Kreis-
stadt seiner Heimat Braunau, traten miteinander in Wettbewerb.
Den Lübener Stadtverordneten mangelte alles Verständnis für
den Ernst und die Gunst des Augenblicks. Statt mit einer groß-
zügigen Offerte alle Konkurrenten aus dem Felde zu schlagen,
boten sie unentgeltliches Baugelände, Ziegeln zum Selbstkosten-
preise und Bauholz zu 25 Prozent unter der Taxe. So billig
war der in Aussicht stehende Gewinn nicht zu haben. Nach zwei
Jahren erhöhte man das Angebot um ganze 600 rtl. Kein
Wunder, daß Goldberg Sieger blieb. Darob verdrossen, be-
schlossen die Lübener Stadtväter am 1. August 1864, die höhere
Knaben- und Mädchenschule aufzuheben und eine sechsklassige
Volksschule mit fakultativem Unterricht in fremden Sprachen zu
errichten. Begründet wurde der Beschluß damit, daß die Schule
schlecht besucht werde, lediglich exklusiven Kreisen diene, wenig
befriedigende Leistungen besonders in der unteren Klasse erziele,
und weil die bevorstehende Pensionierung Dausels und Reiches
neue Kosten verursachen werde. Dazu kam, daß die städtischen
Behörden seit 8 Jahren mit der Regierung wegen der Errichtung
eines Schulhauses für die katholische Schule im Streit lagen.
Fiel die Bürgerschule, so erübrigte sich ein zweites Schulhaus.
Pastor prim. Zürn protestierte lebhaft gegen das rückschrittliche
Vorgehen der Stadtväter; er wies nach, daß die Frequenz der
Knabenschule mit durchschnittlich 60 Schülern durchaus ange-
messen, in der Mädchenschule mit 38 Schülerinnen allerdings
gering sei, daß die Rücksicht auf Garnison und Beamtenschaft die
Erhaltung der Schule fordere und die mangelnden Unterrichts-
ergebnisse nach Reiches Abgang sich bessern würden. Er erreichte
soviel, daß die höhere Knabenschule bestehen blieb766), die Mäd-
chenschule aber nach der Pensionierung Dausels am 1. April 1867
einging. Um einigen Ersatz zu schaffen, wurde die I. Mädchen-
Klasse der Volksschule als Selekta mit Unterricht im Französischen

766 Regierungsverfügung vom 8.10.1864 (Ephoralarchiv).
- 349 -

aufgesetzt. Übrigens wurde in der Volksschule der Unterschied
zwischen Elementar- und deutschen Klassen fallen gelassen, und die
Klassen fortlaufend als I., II., III. etc. Knaben- bezw. Mädchen-
klassen numeriert. Die Schule blieb fünfstufig.
Um den noch immer mietsweise untergebrachten Klassen end-
lich ein Heim zu schaffen, verzichteten die Stadtverordneten auf
die Verbindung des projektierten katholischen Pfarrhauses mit
einem Schulhause und beschlossen am 4. Oktober 1865 ein zweites
Schulhaus in der Nähe des ersten zu errichten. Am 25. März
des folgenden Jahres wurde es eingeweiht. Konrektor Reiche
trat zur Volksschule über und wurde an der Knabenschule durch
Hüttig ersetzt. Das Rektorat übernahm Ostern 1866 Hermann
Hinz. Damit war das Schulwesen nach Überwindung vieler
Klippen in ein ruhiges Fahrwasser gelangt. Es hat freilich
unter dem ständigen Wechsel der Lehrkräfte viel zu leiden gehabt.
Der Turnunterricht war 1862 wieder aufgenommen worden.
Der Unterricht für weibliche Handarbeiten, dessen Einführung
im gleichen Jahre von der Aufsichtsbehörde angeregt wurde, ließ
noch lange auf sich warten, während er in einer Anzahl Land-
schulen bereits in den sechziger Jahren betrieben wurde. Erst
1873 verstanden sich die Stadtväter - der Not gehorchend, nicht
dem eigenen Trieb - zur Einführung des Handarbeitsunterrichts
und wählten als Lehrerinnen Emilie Finkelt und Amalie Koch.
Der fakultative Unterricht im Französischen fiel in der I. Mäd-
chenklasse 1888 weg. Im Jahre 1895 wurde die evangelische
Volksschule sechsstufig eingerichtet, die katholische dreistufig, an
beiden wurde je eine Lehrerinstelle begründet. Ostern 1911
wurden die Knabenklassen durch Aufsetzen der Oberklasse sieben-
stufig, Ostern 1913 mußte wegen Überfüllung der Schule eine
dritte VI. Klasse zunächst provisorisch errichtet werden. Die Ein-
führung des obligatorischen Turnunterrichts für die Mädchen
machten Ostern 1912 die Errichtung einer Stelle für eine technische
Lehrerin notwendig, in deren Hand der Turn- und Handarbeits-
und Hauswirtschaftliche Unterricht gelegt wurde. Im gleichen
Jahre wurde der Anfang mit Erteilung von Förderunterricht
gemacht. Die Frequenz der Schule stellte sich ausschließlich der
höheren Knabenschule wie folgt: 1890/91 Evangelische Volksschule:
650, Katholische Volksschule 111; 1896/97: 653 u. 136; 1899/1900:
727 und 138; 1907/08: 651 und 140; 1911/12: 671 und 129. Im
Durchschnitt bewegte sich also die Schülerzahl zwischen 650 bis
700 in der evangelischen Volksschule, zwischen 120 bis 140 in der
katholischen. An ersterer wirkten 11 Lehrer, 2 Lehrerinnen und
eine technische Lehrerin, an letzterer 2 Lehrer und 1 Lehrerin;
erstere zählt zurzeit 14, letztere 3 Klassen.
Wurde der innere Betrieb der Volksschule allmählich den
modernen Anforderungen entsprechend umgestaltet, so erhielt auch
das alte Volksschulgebäude ein modernes Gewand. Mit einem