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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 374/375
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XV. Kapitel

Die gewerblichen Verhältnisse


Vorbemerkung: Der Umfang des Stoffes auf der
einen und seine Lückenhaftigkeit auf der andern Seite bedingen
es, daß die Darstellung der gewerblichen Verhältnisse kein abge-
rundetes Bild zu bieten vermag. Für manche Perioden und für
einzelne Gewerke fehlen die Nachrichten so gut wie ganz.
Mit den deutschen Kolonisten kamen auch die deutschen Hand-
werker, um die neue Stadt zu bevölkern, und um das zum Lebens-
unterhalt Notwendige zu schaffen. Daher stoßen wir in der
Geschichte der Stadt Lüben von vorherein, auf die Handwerker
und ihre Zunfteinrichtungen. Die Fleisch-, Brot- und Schuh-
bänke, welche das älteste Erbvogteiprivileg von 1335 nennt786),
weisen auf die Fleischer-, Bäcker- und Schuhmacherinnung hin;
das Schleifrad in der Vogtmühle diente den Eisenarbeitern, das
Lohrad den Lederarbeitern, das Walkrad den Tuchmachern, die
sich auch der schon 1332787) genannten Tuchschererei bedienten.
Der Erbvogt bezog von jedem, der Meister geworden war, einen
halben Vierdung788). Da bereits 1357 die Geschworenen als Ver-
treter der Innungen in der Stadtverwaltung erscheinen789),
müssen die Gewerke frühzeitig großen Einfluß erlangt haben.
Übrigens fehlte es auch nicht an Gewerbetreibenden, die nicht
bloß für die Befriedigung der elementarsten Lebensbedürfnisse
sorgten. In der Mitte des XIV. Jahrhunderts werden in Lüben

786 Urkunde vom 12.6.1335 Staatsarchiv, Depositum der Stadt
Lüben Nr. 7.
787 Urkunden vom 21.9. oder 23.8.1332 S. R. 5142.
788 "Item quilibet mechanicus seu operarius dicte civitatis Lobyn
de suo quolibet opere suum ad inquirendum usum artis sue quod
volgariter dicitur Innonge eciam predictis Hermanno (Erbvogt) et
suis sequacibus seu successoribus medium fertonem denariorum
solvere tenetur."
789 Lehnsurkunde I 332. cf. auch Urkunde vom 31.5.1363 (Rep. 21
Ldb. F. Brieg III 19a 120) dort werden die Vertreter der Zünfte in
folgender Reihenfolge genannt: Fleischer, Bäcker, Schuhmacher, Tuch-
macher, Schneider, Schmiede.
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Reichkrämer790) und ein Goldschmied791) genannt. Erstere hatten
den Kleinhandel mit allerlei Kramware in den Händen. Sie
wurden vom Landesherrn privilegiert und waren ihm zins-
pflichtig.
Im XV. Jahrhundert bildeten sich die straffen Innungsord-
nungen mit detaillierten Bestimmungen über das Lehrlings- und
Gesellenwesen, Vermögensverwaltung, Disziplinargewalt, Lohn-
taxen usw. Die Zünfte erreichten ihre höchste Blüte und wachten
eifersüchtig über ihren Privilegien, brauchten aber auch nicht selten
ihre Vorrechte zum Schaden der Konsumenten. Durch Sonderung
von den bestehenden Gewerken bildeten sich neue Zünfte; die
Kürschner trennten sich von den Schneidern, die Gerber von den
Schuhmachern usw. Infolgedessen mußten immer wieder neue
Grenzberichtigungen zwischen den einzelnen Zünften erfolgen.
Um aller Verwirrung zu steuern, ließen die Herzöge Friedrich
und Georg am Ausgange des XV. Jahrhunderts die Lübener
Innungsprivilegien neu prüfen und bestätigen. Die so geschaffe-
nen Normen blieben für die Folgezeit maßgebend. Für das
XVI. Jahrhundert sind durchweg nur spärliche Nachrichten vor-
handen; vermutlich waren die Reibungsflächen unter den Gewer-
ken gering und darum Eingriffe der Behörden selten nötig. Im
folgenden Jahrhundert begannen die Kämpfe um den Zunft-
zwang. Immer wieder mußten sich die Innungen gegen die
Störer und Pfuscher wenden; auf die Dauer vermochten sie es
aber doch nicht zu hindern, daß ihre Privilegien mehr und mehr
durchlöchert wurden. Der Staat sah sich genötigt, Ausnahmen
zuzulassen, um die Konkurrenzkraft der heimischen Industrie zu
erhalten. Das General-Handwerkspatent vom 16. November 1731
nahm den Zünften die Innungspolizei und übertrug sie dem
Staate; auch der Handwerksbetrieb wurde zum Teil staatlicher-
seits geregelt. Die preußische Regierung raubten den Gewerken
vollends die Bewegungsfreiheit und kehrte sich wenig an ihre
alten Gerechtsame, bis das Edikt vom 7. September 1811 die
Gewerbefreiheit proklamierte und damit den Innungen den
Todesstoß versetzte.
Nach diesem allgemeinen Überblick über die Entwicklung der
gewerblichen Verhältnisse sei aus der Geschichte der einzelnen
Innungen das Wesentliche mitgeteilt.
1. Die Fleischerzeche792). Den Fleischern gehörten die
28 Fleischbänke, von denen, wenigstens in den ältesten Zeiten, kein

790 Z. G. VI Urkunden Herzog Ludwig I. von Brieg; Nr. 576
11.11.1364 Reichkrämer Loczczo; Nr. 585 8.12.1364 Reichkrämer
Heynco Mesirer.
791 Ebenda Nr. 582 24.11.1364 wird der Goldschmied in Lüben
erwähnt.
792 Das Fleischermittel besitzt noch reiches Material in seiner Lade.
Zur folgenden Darstellung wurden benutzt die Akten des commissarius