Zum Gesamtüberblick Zur vorigen Seite Zur nächsten Seite Zur letzten Seite (Inhalts- und Abbildungsverzeichnis)
Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 402/403
- 402 -

in den Jahren 1770/71 die Kniestreicherarbeit, jedoch ohne eigene
Stühle. Indes kam die ganze Sache nicht über die ersten Anfänge
hinaus. Die drei Meister fabrizierten 1773: 64 Stück; 1774: 75;
1775: 20; 1776: 11; 1777: 6. Im folgenden Jahre ging der
Betrieb ein.
Das Edikt vom 2. November 1810 gewährte auch dem Tuch-
machereigewerbe volle Freiheit; jeder konnte auf einen Gewerbe-
schein hin arbeiten827). In der Lübener Innung machten sich sofort
zwei Strömungen geltend; die Radikalen verlangten Aufhebung
der Kur, freie Wahl der Repräsentanten, Abschaffung der
amtlichen Schau, Einführung wechselseitiger Schau usw.; die
Konservativen wünschten die alten erprobten Einrichtungen
im Interesse des Ganzen festzuhalten, ohne die unruhigen
Köpfe meistern zu können. Je länger je mehr konzen-
trierte sich der Kampf um die Abschaffung oder Beibehaltung der
Schauordnung und des Tuchreglements von 1765, die beide für
die neueren Verhältnisse nicht mehr paßten. Man wünschte eine
neue Schauordnung und verlangte, daß das Schaumeisteramt in
regelmäßigem Turnus nach der Anciennität des Meistertitels
wechsele. Der Magistrat fürchtete mit Recht, daß die Aufhebung
der Schaubestimmungen die Qualität der Tuche verringern und
zum Ruin der ganzen Lübener Tuchindustrie führen werde. Die
Regierung entschied, - sicher nicht im Sinne der übereilten Har-
denbergischen Reformgesetzgebung, wohl aber im wohlverstandenen
Interesse des Gewerbes - daß die Schau als landespolizeiliche
Einrichtung weiter bestehen müsse. Auf die Dauer war dieser
Standpunkt nicht festzuhalten. Im Jahre 1821 wurde die Frage
aufs neue aufgerollt; man sträubte sich gegen die polizeiliche Be-
vormundung und wünschte die Schau zu einer internen Einrich-
tung des Gewerks zu gestalten. Dieser Beschluß ward mit 122
gegen 3 Stimmen gefaßt, und die Regierung trat ihm bei; das
Tuchschauamt war gefallen, aber die Auflösung des Gewerks
wurde verhindert. Es unterstand forthin dem Oberältesten, Neben-
ältesten und 12 Repräsentanten. Am 17. September 1821 erwarb
die Innung die beiden dem Domänenamte gehörigen Walkmühlen
für 10 500 rtl., während sie das Zechhaus am 1. August 1815
verkauft hatte, wobei die Schauamtsstube als unentgeltlicher Aus-
zug der Innung verblieb.
Die Produktion hielt sich im Ganzen auf der alten Höhe;
bis 1819 wurden durchschnittlich jährlich 3800 Tuche und 1400
Flanelle hergestellt, und 1820 waren noch 124 arbeitende Meister
vorhanden. Aber 8 Jahre später zählte man nur noch 60 Meister
und 40 Gesellen mit 64 gehenden Stühlen; der Wert der Jahres-
produktion ward auf 44 000 rtl. geschätzt828). Zeitweilig hob sie

827 Das Folgende nach den Akten betr. Tuchmachermittel Vol. II
1776-1831.
828 Knie & Melcher 1832.
- 403 -

sich wieder, wie eine Übersicht um die Mitte des XIX. Jahr-
hunderts erkennen läßt829):

Jahr Meister Gehilfen Stühle Gefertigte Tuche Geldbetrag Flanelle Geldbetrag
[Zahlen siehe Original oben!]

Inzwischen bahnte sich aber die verhängnisvolle Entwicklung
innerhalb der Innung an, die schließlich das ganze Gewerk
sprengte und die Tuchmacherei in Lüben eingehen ließ. Ein
Konsortium von 10 Lübener Tuchmachern kaufte am 23. Oktober
1843 von dem Müllermeister Heidrich die Rodemühle bei Ditters-
bach für 12 500 rtl. und bauten sie zu einer Wollgarnspinnerei
um, die Vorspinnmaschine mit 1260 Spindeln auf 43 Gängen,
die Feinspinnmaschine mit 3710 Spindeln auf 63 Gängen830).
Damit war ein Keil in die Innung getrieben; die reichen Meister
mit der Eigenspinnerei standen den armen gegenüber. Zwar
wurde die Oberwalke vor dem Steinauer Tore, die der Innung
gehörte, 1849/50 zur Wollspinnerei umgewandelt; aber jedes Kon-
sortium erwarb im Jahre 1852 auch die Ossiger Mühle und machte
sie zur Spinnerei. Die drei Spinnereien831) hatten 1861 noch
2600 Feinspindeln im Betriebe und beschäftigten 23 männliche
und 25 weibliche Arbeiter; außerdem waren 108 Webstühle im
Gange mit 48 Meistern und 80 Gehilfen und 1 Walkmühle mit
1 Meister und 3 Gehilfen. Die Tuchmacherei florierte; der
amerikanische Bürgerkrieg rief eine Baumwollnot hervor und trieb
die Wollpreise in die Höhe. Die Lübener Tuchmacher fabrizierten
1859: 4242 Stück Tuche und Halbtuche im Gesamtwerte von

829 Stadtarchiv Lüben Acta betr. die Schönfärberei.
830 Knie 1845.
831 Statistische Darstellung des Kreises Lüben 1863.