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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 78/79
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von Altgläubigen, vielleicht bis in die zweite Hälfte des Jahr-
hunderts hinein. Wenn die Nachricht Ehrhardts, daß von Wit-
tenberg her ein Magister Michaelis Agricola als Predigtgehülfe
nach Lüben gesandt worden sei, wahr ist, so kann daraus der
Schluß gezogen werden, daß die in der Stadt amtierenden
Kleriker der alten Lehre zunächst treu blieben. Anhänger des
neuen Kurses war Jakob Steinbrecher, der 1523 Kaplan in Lüben
wurde323). Er war vorher Präcentor in Bunzlau und weigerte
sich am Himmelfahrtstage 1523, die übliche Zeremonie des
Hinaufziehens einer Christusfigur durch eine Oeffnung in der
Kirchdecke vorzunehmen. Infolgedessen entstand im Volke eine
lebhafte Unruhe; ein tumultierender Haufe sammelte sich in der
Nacht vor dem Hause des Präcentors. Dieser und sein Bruder
Johannes schlugen mit Schwertern auf die Angreifer ein, einer
derselben wurde von Johannes tödlich verwundet. Jakob war
bereit, sich dem Domkapitel zu stellen, entfloh aber, als ihn auch
der Hofrichter zur Verantwortung ziehen wollte. Er wurde
Kaplan in Lüben, heiratete später - wie übrigens auch Hirsen-
berger - und hinterließ einen Sohn, Jonas, der in Bunzlau als
Bäcker starb.
Schwenckfeld blieb mit der Herzogin Anna in regem brief-
lichen Verkehr und suchte sie durch mannigfache ausführliche Zu-
schriften in ihrer religiösen Stellung entsprechend seiner eigenen
Anschauungsweise zu stärken. Ihr widmete er 1534 seine Abhand-
lung vom Gebet und die daran angeschlossene Auslegung des
25. Psalms324), in der er gewisse Bedenken der Herzogin über
allerlei Ärgernisse und Spaltungen auf kirchlichem Gebiet zu zer-
streuen suchte. Vielleicht zielte er auf Vorkommnisse in der Lübe-
ner Gemeinde, wenn er "ettlicher vngeschickt vnd ärgerlich für-
nemen deßgleichen der andern vnverständigen vnd vnzeitigen
eiffer tadelte" und die Fürstin mahnte, daß sie "alle geister sowohl
als alle leerer, deßgleichen auch der leerer leben und glauben nach
Christo vnd seinem hl. geiste, der ein geist der sanfftmütigkeit,
der geduldt, der mildigkeitt, der demut, friede, liebe, vnd göttlicher
wahrheit ist, and nach der frumkeit des hertzens wisse zu richten".
Auch der 62. Sendbrief, der nach traditioneller Annahme 1538
entstanden ist325), läßt einige Streiflichter auf die Lübener Ver-

323 Das folgende nach Wernicke, Chronik der Stadt Bunzlau 1884 S. 166/7.
324 "Vonn Gebeeth, Betrachtung vnd Außlegung des XXV. Psalms."
Augsburg 19. Aprilis 1534. Der Durchleuchtigsten Hochgeborenen Fürstin
vnd Frawen, Frawen Anna, geboren zu Stettin, Pommern, Hertzogin
in Schlesien zur Liegnitz, Brigk, Loben, meiner gnädigen Frauen."
325 Schwenckfelds Epistolar I 388 ff. LXII Sendbrieff, geschrieben
an die durchleuchtige hochgeborne Fürstin vnd Fraw, Fraw Anna, ge-
boren zu Stettin, Pommern, Hertzogin in Schlesien zur Liegnitz, Brigk,
Loben. - Vom rechten Nachtmahl des Herrn 1538.
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hältnisse fallen. Schwenckfeld beantwortet in diesem Schreiben
einen Brief der Herzogin, in dem sie um Belehrung bezüglich des
Abendmahls gebeten hatte, besonders auch darüber, ob sie an den
kirchlichen Abendmahlsfeiern teilnehmen sollte. Schwenckfeld er-
klärte, es sei ihm zweifelhaft, ob "das auffgerichte nachtmahl des
pfarrers", wenn es auch nach dem Zeugnis der Herzogin "ein
fein Ansehen vnd guten schein habe", das rechte Nachtmahl sei.
Es käme dabei weniger auf die äußere Form als auf den Geist an.
Man müsse wissen, welche Lehre der Pfarrer vom Abendmahl
habe, ob er auch in Bezug auf das Sakrament sagen könne: Ich
habe es vom Herrn empfangen. Ferner sei zu beachten, worauf
der Pfarrer die Leute beim Abendmahl weise, ob nach dem
Himmel oder zur Kreatur. Wenn in diesen Punkten irgend ein
Zweifel bestände, so täte die Herzogin besser, das kirchliche Abend-
mahl zu meiden und dies um so mehr, wenn der Pfarrer auch
Ungläubigen die Teilnahme gestatte. Sie möge sich überhaupt
nicht in den äußeren Kirchendienst verstricken lassen, auch ihrem
Pfarrer nicht erlauben, die durch das Blut des Herrn erlösten
Gewissen wieder in ein neues Gefängnis der Elemente zu bringen.
Die Herzogin hat sich konsequent des Abendmahls enthalten
und um des willen, wie überhaupt wegen ihrer entschiedenen
Parteinahme für Schwenckfeld, viel Anfechtung, auch von ihren
Brüdern, den pommerschen Herzögen, erlitten326). Sie hat auch
ohne Zweifel ihren Einfluß auf die Lübener Bürgerschaft im
Sinne Schwenckfelds geltend gemacht. War sie doch von diesem
ermahnt worden, dafür zu sorgen327), "daß ihre Unterthanen
durch den lebendigen Glauben in Übung der Liebe vnd aller
Gottseligkeit hinauf zu Christo gewiesen vnd von Christo recht
gelehrt würden". Dazu kam, daß die Herzogin vermöge ihrer
großen Freigebigkeit und Wohltätigkeit sicherlich einen großen
Anhang unter dem Volk hatte. Noch in ihrer letzten Krankheit
verteilte sie, wie bereits berichtet worden ist, "100 hungerisch
gulden" an die Armen und ihre Dienerschaft328). Schwenckfeld
pries sie als eine Mutter der Armen329) und wünschte330), als sie
krank daniederlag, daß Gott "noch ein Zeit lang villen Armen
vnd notturfftigen zu gutt noch bey lebe werdt lassen, vnd wider
allenthalben gesund machen". Der Frau Margaretha Brauchit-
schin schenkte sie am 20. Januar 1549 ein Haus und einen Garten
nebst einem daranstoßenden kleinen Hause331). Am gleichen Tage

326 Schwenckfeld an Frau Eißeler 1549 a.a.O.
327 62 Sendebrief.
328 Schwenckfeld an Frau Eißeler a.a.O.
329 Ebenda.
330 Trostbrief an die Allte Fürstin zu Schlesien. Wolfenbüttel
Cod. August. Ms. 36, 2, Nr. 82.
331 Staatsarchiv Bd. 69 S. 37 ff. Register der hinterlassenen Briefe
des Christoph von Zedlitz.