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war die Liste verschwunden. Man schickte nach dem Glöckner
Georg Walter, der aber erst spät abends erschien und schließlich
gestand, das Verzeichnis weggenommen zu haben. Dieser verweigerte die
Herausgabe. Rosentritt wandte sich an den Rat mit dem Er-
suchen, den Schulmeister zur Auslieferung der Liste zu zwingen.
Da er dort anscheinend wenig Gehör fand, gab er am folgenden
Sonntag in einem noch vorhandenem Kanzelpublikandum eine
ausführliche Darstellung des Falles und machte den Glöckner und
Schulmeister für den Mißbrauch, der mit der streng vertraulich
gehaltenen Liste getrieben würde, verantwortlich. Auch hier fehlen
die Nachrichten über den weiteren Verlauf der Angelegenheit.
Immerhin ist das ganze Vorkommnis ein Symptom für die ge-
spannten Verhältnisse.
Ein schlimmer Konflikt erfolgte im nächten Jahre anläßlich
des Vogelschießens. Schon früher hatte Rosentritt gegen die Aus-
schreitungen, die dabei vorkamen, geeifert. Er nannte es nur das
"Vogelsauffen". Wie es dabei zuging, erfahren wir aus seinem
Bericht an Herzog Heinrich vom 5. Juli 1566370). Dort klagte er
"das die fürnemsten meiner Kirchkinder in dieser hohen eussersten
Nott vnd offner ausgeruffener Bußzeitt... sich den nehsten
Sonnabendt one schissen zu ihrem vogelgesauffe auff freyem
offentlichen margt in ihre aufgeschlagene hütten wiederumb ver-
samlett, darnach den Sontag vntter der predigt vnd cetechismo
zum Vogel geschossen vnd darneben würffel vnd ander töppelspiel
gestattet, hernach ihr angefangenes gesauffe biß in den sinckenden
abend, desgleichen den folgenden Montag in ihren Vogelhütten
mitt weib vnd kind verbracht vnd verwendett mitt großen hohen
vnd schrecklichem ergernis vnserer gantzen Kirchen, wieder alle
vnserer, als ihrer von Gott verordneten Seelsorger, trewe bitte,
warnungen vnd ermanungen".
Rosentritt ging sofort energisch vor und benutzte geschickt den
Umstand, daß gerade damals der Türkengefahr wegen ein kaiser-
liches Mandat erschienen war, durch welches eine allgemeine Buß-
zeit angeordnet wurde, und daß die alle Morgen tönende Türken-
glocke die Christen täglich an den Ernst der Zeit mahnen und von
der Üppigkeit zur Buße rufen sollte. Am folgenden Sonntage
ermahnte er von der Kanzel "herzlich und freundlich, sie wolden
ja solch ergernis nicht anrichten zu dieser kommerlichen ferrlichen
Zeitten, da sie teglich mit der kirchglocken zum ernsten gebett vnd
warer busse ermannt würden, vnd vns ferner zu straffen nicht
ursache geben. So ihnen den ja so viel am Vogelschissen ge-
legen wäre, möchten sie es auff einen werckeltag verrichten, doch
one Saufferey vnd schwelgerey, one würffel- und töppelspiel, vnd
das der Sabbath des Herren nicht gebrochen wirde".
370 Rep. 28 O.A. Lüben XIV. |
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Rosentritts Mahnungen fruchteten nichts; im Gegenteil, man
überhäufte ihn mit Spott, indem man ihm einen Mann ins Haus
sandte mit dem Ersuchen, der Pastor solle beten, daß der Vogel
bald abgeschossen würde. An sich war das für damalige Zeiten
keine so ungeheuerliche Zumutung, wie sie uns erscheint, denn
nach Rosentritts Zeugnis war in anderen Städten eine solche
Fürbitte üblich. In Lüben war es jedoch niemals geschehen, und
daher empfand der Pastor ein derartiges Ansinnen mit Recht als
frivolen Spott. Nunmehr riß ihm die Geduld. Im Einverständ-
nis mit den Diakonen erklärte er, daß sie diese mutwilligen Ver-
ächter forthin nicht als gläubige Christen und gehorsame Kirch-
kinder ansehen und sie weder zur Patenschaft noch zum Abendmahl
zulassen würden, es sei denn, daß sie "zuvor mitt wortt vnd thatt
vnd sichtlicher besserung ihres Lebens ware heilsame busse vnd
bekehrung zu Gott beweisen würden". Natürlich sah Rosentritt
voraus, daß sich bald "ein neu lermen vnd empörung" erheben
werde. Darum erstattete er dem Herzog im voraus Bericht mit
der Erklärung, daß die Geistlichen zu solchem Frevel nicht hätten
schweigen dürfen, sonst hätten sie ihre Seelen darüber verloren.
Der Landesherr möge sie bei ihrer Amtsverwaltung schützen.
Was der Herzog verfügt hat, ist unbekannt. Ein Mann wie
Heinrich XI., der selbst ein großer Freund des Vogelschießens und
des Würfel- und Töppelspiels war, und dessen Verschwendungs-
sucht das Land in ungeheure Schulden stürzte, war schwerlich für
Rosentritts Vorstellungen sonderlich zugänglich.
Über die Ereignisse der folgenden Jahre fehlen genaue Nach-
richten. Die Führung der Kirchenbücher zeigt große Flüchtigkeit.
Rosentritt wurde durch andere Dinge stark in Anspruch genom-
men. Die kirchlichen Wirren nahmen nämlich seit 1564 dadurch
eine neue Wendung, daß - vielleicht auf Betreiben der städtischen
Oppositionspartei - benachbarte Geistliche sich in die Kämpfe
einmischten371). Vermutlich waren es schwenckfeldisch gerichtete
Pastoren auf den umliegenden Dörfern, die Rosentritt falsche
Lehre vorwarfen und um seiner philippisten Richtung willen an-
griffen. Aus der Abschiedspredigt372), die er bei seinem unfrei-
willigen Scheiden aus dem Amt hielt, erhellt, daß Lehrirrungen
371 Ehrhardt kannte noch eine Schrift Rosentritts, betitelt: "Summa
des ganzen Handels oder Zwiespalt, warum Ich, Francisc. Rosen-
tritt, dazumahl Pfarrer zu Lyben in Schlesien mit etl. benachbarten
Theologen in die Ser. Jahre zu vnfrieden gewesen bin. Darüber ich
auch im Jahre Christi 1570 Sonnabend für dem Andern Sonnt. des
Advents Vrlaub bekomen vnd von meiner Kirchen zu Lyben habe
weichen müssen. - Im Taufregister findet sich am 11.3.1566 die Notiz:
hinc accusatio.
372 Ueber die Abschiedspredigt liegt nur der Schluß eines Berichts
des Hauptmanns von Kanitz vom 10.12.1570 vor, in dem der Bericht-
erstatter die Predigt und Valediction Rosentritts ziemlich genau und
objektiv skizziert. Rep. 28 O.A. Lüben XV.
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