| - 94 - war die Liste verschwunden. Man schickte nach dem Glöckner
 Georg Walter, der aber erst spät abends erschien und schließlich
 gestand, das Verzeichnis weggenommen zu haben. Dieser verweigerte die
 Herausgabe. Rosentritt wandte sich an den Rat mit dem Er-
 suchen, den Schulmeister zur Auslieferung der Liste zu zwingen.
 Da er dort anscheinend wenig Gehör fand, gab er am folgenden
 Sonntag in einem noch vorhandenem Kanzelpublikandum eine
 ausführliche Darstellung des Falles und machte den Glöckner und
 Schulmeister für den Mißbrauch, der mit der streng vertraulich
 gehaltenen Liste getrieben würde, verantwortlich. Auch hier fehlen
 die Nachrichten über den weiteren Verlauf der Angelegenheit.
 Immerhin ist das ganze Vorkommnis ein Symptom für die ge-
 spannten Verhältnisse.
 Ein schlimmer Konflikt erfolgte im nächten Jahre anläßlich
 des Vogelschießens. Schon früher hatte Rosentritt gegen die Aus-
 schreitungen, die dabei vorkamen, geeifert. Er nannte es nur das
 "Vogelsauffen". Wie es dabei zuging, erfahren wir aus seinem
 Bericht an Herzog Heinrich vom 5. Juli 1566370). Dort klagte er
 "das die fürnemsten meiner Kirchkinder in dieser hohen eussersten
 Nott vnd offner ausgeruffener Bußzeitt... sich den nehsten
 Sonnabendt one schissen zu ihrem vogelgesauffe auff freyem
 offentlichen margt in ihre aufgeschlagene hütten wiederumb ver-
 samlett, darnach den Sontag vntter der predigt vnd cetechismo
 zum Vogel geschossen vnd darneben würffel vnd ander töppelspiel
 gestattet, hernach ihr angefangenes gesauffe biß in den sinckenden
 abend, desgleichen den folgenden Montag in ihren Vogelhütten
 mitt weib vnd kind verbracht vnd verwendett mitt großen hohen
 vnd schrecklichem ergernis vnserer gantzen Kirchen, wieder alle
 vnserer, als ihrer von Gott verordneten Seelsorger, trewe bitte,
 warnungen vnd ermanungen".
 Rosentritt ging sofort energisch vor und benutzte geschickt den
 Umstand, daß gerade damals der Türkengefahr wegen ein kaiser-
 liches Mandat erschienen war, durch welches eine allgemeine Buß-
 zeit angeordnet wurde, und daß die alle Morgen tönende Türken-
 glocke die Christen täglich an den Ernst der Zeit mahnen und von
 der Üppigkeit zur Buße rufen sollte. Am folgenden Sonntage
 ermahnte er von der Kanzel "herzlich und freundlich, sie wolden
 ja solch ergernis nicht anrichten zu dieser kommerlichen ferrlichen
 Zeitten, da sie teglich mit der kirchglocken zum ernsten gebett vnd
 warer busse ermannt würden, vnd vns ferner zu straffen nicht
 ursache geben. So ihnen den ja so viel am Vogelschissen ge-
 legen wäre, möchten sie es auff einen werckeltag verrichten, doch
 one Saufferey vnd schwelgerey, one würffel- und töppelspiel, vnd
 das der Sabbath des Herren nicht gebrochen wirde".
 
 370 Rep. 28 O.A. Lüben XIV.
 | - 95 - Rosentritts Mahnungen fruchteten nichts; im Gegenteil, man
 überhäufte ihn mit Spott, indem man ihm einen Mann ins Haus
 sandte mit dem Ersuchen, der Pastor solle beten, daß der Vogel
 bald abgeschossen würde. An sich war das für damalige Zeiten
 keine so ungeheuerliche Zumutung, wie sie uns erscheint, denn
 nach Rosentritts Zeugnis war in anderen Städten eine solche
 Fürbitte üblich. In Lüben war es jedoch niemals geschehen, und
 daher empfand der Pastor ein derartiges Ansinnen mit Recht als
 frivolen Spott. Nunmehr riß ihm die Geduld. Im Einverständ-
 nis mit den Diakonen erklärte er, daß sie diese mutwilligen Ver-
 ächter forthin nicht als gläubige Christen und gehorsame Kirch-
 kinder ansehen und sie weder zur Patenschaft noch zum Abendmahl
 zulassen würden, es sei denn, daß sie "zuvor mitt wortt vnd thatt
 vnd sichtlicher besserung ihres Lebens ware heilsame busse vnd
 bekehrung zu Gott beweisen würden". Natürlich sah Rosentritt
 voraus, daß sich bald "ein neu lermen vnd empörung" erheben
 werde. Darum erstattete er dem Herzog im voraus Bericht mit
 der Erklärung, daß die Geistlichen zu solchem Frevel nicht hätten
 schweigen dürfen, sonst hätten sie ihre Seelen darüber verloren.
 Der Landesherr möge sie bei ihrer Amtsverwaltung schützen.
 Was der Herzog verfügt hat, ist unbekannt. Ein Mann wie
 Heinrich XI., der selbst ein großer Freund des Vogelschießens und
 des Würfel- und Töppelspiels war, und dessen Verschwendungs-
 sucht das Land in ungeheure Schulden stürzte, war schwerlich für
 Rosentritts Vorstellungen sonderlich zugänglich.
 Über die Ereignisse der folgenden Jahre fehlen genaue Nach-
 richten. Die Führung der Kirchenbücher zeigt große Flüchtigkeit.
 Rosentritt wurde durch andere Dinge stark in Anspruch genom-
 men. Die kirchlichen Wirren nahmen nämlich seit 1564 dadurch
 eine neue Wendung, daß - vielleicht auf Betreiben der städtischen
 Oppositionspartei - benachbarte Geistliche sich in die Kämpfe
 einmischten371). Vermutlich waren es schwenckfeldisch gerichtete
 Pastoren auf den umliegenden Dörfern, die Rosentritt falsche
 Lehre vorwarfen und um seiner philippisten Richtung willen an-
 griffen. Aus der Abschiedspredigt372), die er bei seinem unfrei-
 willigen Scheiden aus dem Amt hielt, erhellt, daß Lehrirrungen
 
 371 Ehrhardt kannte noch eine Schrift Rosentritts, betitelt: "Summa
 des ganzen Handels oder Zwiespalt, warum Ich, Francisc. Rosen-
 tritt, dazumahl Pfarrer zu Lyben in Schlesien mit etl. benachbarten
 Theologen in die Ser. Jahre zu vnfrieden gewesen bin. Darüber ich
 auch im Jahre Christi 1570 Sonnabend für dem Andern Sonnt. des
 Advents Vrlaub bekomen vnd von meiner Kirchen zu Lyben habe
 weichen müssen. - Im Taufregister findet sich am 11.3.1566 die Notiz:
 hinc accusatio.
 372 Ueber die Abschiedspredigt liegt nur der Schluß eines Berichts
 des Hauptmanns von Kanitz vom 10.12.1570 vor, in dem der Bericht-
 erstatter die Predigt und Valediction Rosentritts ziemlich genau und
 objektiv skizziert. Rep. 28 O.A. Lüben XV.
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