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für seine Entfernung von Lüben ausschlaggebend gewesen sind,
während er freilich nach seiner eigenen Auffassung fest im luthe-
rischen Bekenntnis zu stehen meinte. Er sagte: "Es ist jetzt inn
der lehr ein solch gewirr vnnd geschwirr, das es zu erbarmen ist.
Ein jeder rümet sich, er lehre nach recht, do es doch nicht ist; denn
keine lehr kann recht sein, es sey denn, das lehr vnd leben mit
einander stimme." "Er hette dieselbe lehr gefuret wie sie durch
die schrifften der apostel vnd propheten confirmiret vnd be-
festiget, deßgleichen auch der augsburgischen Confession vnnd aller
rechten scribenten sehr gewest, so hett er auch den frommen
Christen vnd bußfertigen allezeit mit den Sakramenten nach dem
Brauche Christi gedient, daneben sich beflissen, das sein leben der
lehr gemes gewesen, wie ihm denn auch kein Mensch derohalben
keine Sünde oder Makel zeihen oder nachsagen dürfte". Endlich
betonte er, daß dies die einzige Ursache seiner Entlassung wäre,
daß er es nicht mit denen hätte halten wollen, welche "die leutte
auf ihre blossen wordte hin absolvirten vnd zum Abendmal gehen
ließen, so sie nur anzeigten: sie weren arme Sünder, setzten ihre
Hoffnung auf Gott, ja ihre Sünden weren ihnen herzlich leidt,
vnd folgete doch keine rechtschaffene buße, blieben einmahl wie
das andere." Es ist also keine Frage, daß man Rosentritt deshalb,
weil er stark die Lebenserneuerung und die Übereinstimmung
zwischen Lehre und Leben betonte, verdächtigte, er lehre nicht
mehr lutherisch. Die damalige Zeit war ja erfüllt von heftigen
Kämpfen zwischen den Philippisten und den orthodoxen Luthe-
ranern.
Zu den einheimischen und auswärtigen Gegnern Rosentritts
gesellte sich noch ein dritter, Christoph von Zedlitz, der Inhaber
des Lübener Pfandschillings, ein einflußreicher Mann. Vielleicht
stand er mit dem Pastor auf gespanntem Fuße, vielleicht erkannte
er, daß einzig dessen Rücktritt die Lösung der schwierigen Lage
bringen konnte. Jedenfalls drang er darauf, daß Rosentritt seine
Entlassung erhielt. Im Laufe des Jahres 1570 erging an den
Pastor die Aufforderung, sich über den beabsichtigten Wechsel zu
äußern. Prinzipiell stellte er sich in seinem Schreiben372) auf den
Standpunkt, daß seine Verabschiedung ein Unrecht sei, einmal
gegenüber der Kirchgemeinde, die man um etlicher Leute willen
ihres Seelsorgers beraube, sodann ihm selbst gegenüber, da man
ihn dadurch in den Verdacht der untreuen Amtsverwaltung
bringe, endlich den wohlgesinnten Gemeindemitgliedern gegenüber,
deren Gewissen man verwirre. Zudem schaffe man damit, daß
man einen gewissenhaften Prediger der Feindschaft einer Minori-
tät opfere, einen bedenklichen Präzendenzfall. "Lieber Gott, sollte
ein trewer Prediger vmb derer willen, die Gottes Wortt nicht ge-
372 Rep. 28 O.A. Lüben I Akta betr. kirchl. Angelegenheiten 1559
bis 1737. Der Bericht trägt nur das Jahresdatum.
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horchen, aus seinem ordentlichen beruff vnd stelle, dahin ihn
Gottes Son gesetzet hatt, transferiret vnd versetzet werden, so
würde kein trewer Diener Christi nirgend keine stelle vnd ortt
haben können, dieweil allezeitt der Ungehorsamen vnd Wider-
spenstigen allenthalben der meiste Teil ist." Da aber Rosentritt
fühlte, daß seine Entfernung beschlossene Sache wäre, erklärte er
sich zum Verzicht bereit, wenn ihm die Möglichkeit gewährt würde,
sich mit dem Nachfolger und der Gemeinde über verschiedene
Punkte auseinanderzusetzen, und wenn er von seinen Kirchkindern
in Stadt und Land freigegeben würde.
Der Wechsel sollte zu Martini erfolgen. Indes ging der
Termin vorüber, ohne daß Rosentritt Lüben verlassen hätte.
Bereits am 13. November wandte sich nunmehr Christoph von
Zedlitz an den Herzog 373) und erinnerte ihn daran, daß nach dem
ihm vom Hauptmann gewordenen Bescheide der Herzog "des
Vorhabens waren, auff verflossenen Tag Martini mit bemelten
Pfarrherrn eine Veränderung zu machen". Er möge die Ange-
legenheit doch möglichst bald zum Abschluß bringen. Daraufhin
wurde wohl Rosentritts Entlassung verfügt. Am 1. Advents-
sonntage (3. Dezember) hielt er vermutlich seine Abschieds-
predigt374). In ziemlich scharfen Worten kritisierte er das Ver-
halten seiner theologischen Gegner und der weltlichen Obrigkeit,
welche die Wahrheit und Gerechtigkeit verfolgt und damit recht-
schaffene Christen irregeführt hätten. "Wer reich ist, viel geldt
hatt vnd eines grossen ansehens ist vnd grossen beistandt hatt, der
hatt eine rechts sache, ob es gleich offentlich vnrecht ist..." Er
habe 12 Jahre in Lüben gewirkt und nach dem Worte Gottes
seines Amtes gewaltet, ohne Ansehen der Person; er werde bei
seiner, von den Widersachern geschmähten Lehre bleiben und Leib
und Leben daran setzen. "Was er hierüber erlitten, wie ihm
schmelich vnd viel were nachgeredet worden, was er von Verfol-
gung vnd Kreutze ausgestanden, were jedermann wohl wissentlich".
Mit beweglichen Worten mahnte er die Hörer, bei der von ihm
verkündigten Lehre zu bleiben, auch wenn ein Engel vom Himmel
käme und ihnen eine andere Lehre brächte. Dann las er die
Abschiedsworte Pauli aus Apostelgesch. 20 und bat die Gemeinde,
ihm nachzufolgen, wie er ein Nachfolger Christi gewesen sei. Der
Hauptmann von Kanitz, der dem Herzog über die Abschiedspredigt
Bericht erstattete, behauptete Rosentritt habe sich mit dem Apostel
Paulus völlig auf eine Linie gestellt und betont, daß vor und nach
ihm kein rechtschaffener Prediger in der Stadt gewesen sei noch
kommen werde, er allein habe die Wahrheit gelehrt. - Am Sonn-
abend vor dem 2. Advent verließ Rosentritt Lüben, um nach
373 Rep. 28 O.A. Lüben XIV.
374 Bericht des Hauptmanns von Kanitz vom 10.12.1570. Rep. 28
O.A. Lüben XV. |