Zum Gesamtüberblick Zur vorigen Seite Zur nächsten Seite Zur letzten Seite (Inhalts- und Abbildungsverzeichnis)
Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 156/157
- 156 -

besetzte man nur zwei Lehrerstellen, das Rektorat mit Bernhard
Haucke und das Kantorat mit Friedrich Reuschel. Man versprach
ihnen für die Mehrarbeit, die sie übernehmen mußten, den Bezug
der Konrektorats- bzw. Auditoriatsgebührnisse. Sie sind jedoch
nie in den Genuß derselben getreten, obwohl sie wiederholt laute
Klage darüber erhoben, daß ihnen "der rechtmäßig zukommende
Bissen Brodt vor dem Maule weggeschnitten würde". So oft die
Auszahlung der betr. Deputate von der Regierung verfügt und
vom Rate angewiesen wurde, ward sie von den Geschworenen ver-
boten, denen die Kontrolle der Kassenverwaltung zustand. Stellte
die Regierung den Magistrat zur Rede, so schob dieser die Schuld
auf die Geschworenen, während diese wiederum mit erneuten Ein-
gaben und Protesten antworteten. Bei dem langsamen Geschäfts-
gange, der in allen Verwaltungszweigen herrschte, wurde die
Sache von einem Jahr zum andern verschleppt. Ähnlich erging
es einer andern Beschwerde, die von Rektor und Konrektor bezgl.
der Winkelschulen erhoben wurde. Die Bürgerschule wurde von
den evangelischen Familien gemieden; bedurften doch entsprechend
einer Regierungsverfügung die in der Schule benutzten Lehrbücher,
die Gebete, Gesänge usw. der Genehmigung des Pfarrers, "damit
sie keiner Religion zum Nachtheil gereichten". Wohlhabende Bürger
hielten sich evangelische Hauslehrer, an denen Pater Avian wenig
Freude hatte, da er in ihnen - gewiß nicht mit Unrecht -
Agenten des Luthertums erblickte. Bei dem Kaufmann Eggers
war Johann Samuel Neander, nachmals Pastor in Harpersdorf,
Hauslehrer, bei Kretschmer, Johann Friedrich Blum "informator
haereticus" (Hauslehrer, der Ketzerei beibringt"), bei Christoph
Brendel in Muckendorf Christoph Linke, "luthericula catholicismo
valde nocivus" ("ein dem Katholizismus äußerst schädlicher Luthe-
rischer"); bei Frau von Falkenhayn in Kniegnitz Johann Melchior
Krönig u. a. Unangenehmer noch als die Hauslehrer machten sich
für den Betrieb der Stadtschule die Winkelschulen fühlbar. Der
Bäcker Gottfried Schmidt, der Kürschner Christian Riediger und
der Tuchmacher Florian Furkert fungierten als deutsche Schul-
halter. Ihre Schulen, so dürftig auch ihre Leistungen sein moch-
ten, blühten, während die Stadtschule leer blieb. Infolgedessen
drängten Haucke und Reuschel unablässig auf die Beseitigung der
lästigen Konkurrenz. Der Magistrat berief sich aber darauf, daß
die deutschen Schulen bereits vor der Kirchenreduktion bestanden
hätten, und daß die Reduktionskommission gegen ihr Fortbestehen
keine Einwendungen erhoben hätte. Alle Verfügungen, die in
dieser Angelegenheit ergingen, fanden passiven Widerstand und
gelangten nicht zur Ausführung, da die Stadt auf ihrem Rechts-
standpunkt beharrte. Leider gewöhnten sich aber in der Zeit von
1701-1707 die Bürger daran, ihre Kinder der Stadtschule zu ent-
ziehen. Sie gelangte von da an nie mehr zur rechten Blüte und
ging langsam aber stetig ihrer Auflösung entgegen.
- 157 -

Den kläglichen Mißerfolg erlebte der neue Kurs auf kirch-
lichem Gebiete. Avian zählte in einer Gemeinde von 3000 Seelen
etwa 100 katholische Kirchkinder537). Alle andern sahen in ihm
den geborenen Feind und organisierten, geführt von Eggers538),
Kretschmer539), dem Ratmann Gottfried Liebig, dem Postmeister
Friedrich Neumann und den andern Männern den Widerstand gegen
die Bestrebungen der kaiserlichen Regierung. Auf den Dörfern
übernahmen die Herrschaften den Schutz der evangelischen Sache.
So sah sich Avian einer geschlossenen feindlichen Phalanx gegen-
über, gegen die er zumeist vergeblich ankämpfte. Die Kirche blieb
leer, der Klingelbeutel erbrachte nur noch 26 rtl. jährlich, während
der frühere Ertrag durchschnittlich 190 rtl. gewesen war. Auch
die andern Einnahmen gingen zurück. Grabstellen auf dem alten
Kirchhofe wurden so gut wie garnicht gelöst; die Zinsen gingen
unregelmäßig ein; man blieb geflissentlich mit allen Leistungen
gegenüber der Kirche in Rückstande. Der Oberkirchvater Zacha-
riades klagte bitter über das chronische Defizit in der Kirchkasse,
zumal die Herrichtung der Kirche für den katholischen Gottesdienst
erhebliche Kosten verursacht hatte. Er verlangte eine genaue Fest-
stellung der kirchlichen Kapitalien und eine sorgfältige Nach-
prüfung ihrer Sicherheit sowie Zwangsmaßregeln gegen die
säumigen Hypothekenschuldner. Ob seinem Begehren entsprochen
worden ist, ist unbekannt. Avian ging jedenfalls noch weit über
diese Forderungen hinaus und ließ durch den Notar Schubert
eine 365 Nummern umfassende Nachweisung der kirchlichen Stif-
tungen, Fundationen usw. aus der ehemaligen katholischen Zeit
aufstellen und der Regierung einreichen, wohl in der Absicht, soviel
als möglich davon zu restituieren. Er kam damit zu spät; nach
einem Jahre ließ die Ankunft Karls XII. diese Träume zerrinnen.
Das kirchliche Kassenwesen geriet von Jahr zu Jahr in größere
Zerrüttung. Unter dem letzten evangelischen Kirchvater, Michael
Purrmann, hatte das Kirchenvermögen 11 211 rtl. 16 sgr. 10 pf.
betragen, während Avian im Jahre 1707 nur 6801 rtl. 5 sgr. 9 pf.
abliefern konnte; es fehlten somit 4410 rtl. 11 sgr. 1 pf. Das
Meiste mag später wieder eingegangen sein; nicht wenig blieb
verloren.
Die evangelischen Gemeindeglieder mieden nicht bloß den
katholischen Gottesdienst, sondern vornehmlich auch die katholische
Taufe. Man fuhr mit den Kindern in die benachbarten Parochieen,
anfänglich sogar bis Schlichtingsheim in Polen, weil den evange-
lischen Geistlichen des Fürstentums die Vornahme von Amtshand-
lungen an Gliedern anderer Kirchspiele verboten war. Im Jahre

537 1758 zählte die katholische Gemeinde in der Stadt 131 Seelen.
538 Sein Epitaph über der Tür der Sakristei; geboren 14. April 1663,
gestorben 24. Januar 1735.
539 Sein Epitaph am ersten Pfeiler gegenüber der Sakristei; ge-
boren 15. Mai 1666, gestorben 20. Juli 1736.