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sönlichkeiten in Lüben, welche das Unglück gehabt hatten, miß-
liebig geworden zu sein. Er hatte 1713 ein Büchlein drucken lassen
"Biblische Gebette und Seufzer". Anscheinend hatte er verabsäumt,
es der Zensurbehörde vorzulegen, und außerdem hatte er darin
seinen Schwager Zacchäus Kretschmer als Oberkirchvater bezeich-
net, während derselbe nur Adjunkt des Gottfried Liebig war.
Um dieses doppelten Vergehens willen wurde gegen Kirstein ein
Verfahren eingeleitet, dessen Ausgang unbekannt ist. Ohne Strafe
dürfte er schwerlich davongekommen sein. Übel erging es ihm
einige Jahre später. Er wurde Ende 1726 ohne vorherige Be-
nachrichtigung der städtischen Behörden durch zwei Liegnitzer
Glöckner verhaftet und nach Liegnitz überführt. Der Anlaß zu
diesem Vorgehen lag zweifellos auf konfessionellem Gebiet. In
Liegnitz machte man Kirstein vermutlich für eine Schmähschrift
gegen die katholische Kirche verantwortlich, die sein verstorbener
Schwiegervater, der Pastor prim. Lange in Glogau, hinterlassen
hatte, und welche dessen Erben außer Landes in Druck gegeben
hatten. Kirstein selbst hatte sich aber diesem Vorhaben widersetzt
und gedroht, Anzeige zu erstatten. Familienzwistigkeiten und
eheliche Zerwürfnisse mögen dabei mitgespielt haben. Der Lübener
Magistrat beschwerte sich bei der Regierung und stellte dem Pastor,
der monatelang vom Amte suspendiert blieb, das beste Leumunds-
zeugnis aus, "er habe einen solchen exemplarischen Lebenswandel
geführt, daß ein jeder sowohl bey der Stadt als der Gemeinde
zu Altstadt darob ein sattsames Vergnügen gehabt". Wenn seine
anfänglich glückliche Ehe zuletzt habe geschieden werden müssen,
so sei sicherlich das Treiben "friedhassiger" Menschen an der Trü-
bung des ehelichen Verhältnisses schuld gewesen. Über den weite-
ren Verlauf der Sache fehlen die Nachrichten. Übrigens starb
Kirstein bereits am 6. Februar 1728.
Der Streit über die Patronatsbaupflicht des Fiskus ent-
brannte trotz des Vergleichs vom 9. Januar 1714 im Jahre 1725
aufs neue. Es handelte sich um einen fiskalischen Beitrag von
127 fl. zur Reparatur des Primariats. Die Regierung verweigerte
trotz aller Petitionen und Eingaben die Zahlung. Sie berief sich
darauf, daß sich der status religionis (Religionsstand) geändert
habe, und daß das landesherrliche Patronat auf die neu begrün-
dete katholische Parochie übergegangen sei. Ferner seien die
Einkünfte aus dem 1555 eingezogenen Pfarrvermögen so zurück-
gegangen oder überhaupt nie so hoch wie angegeben gewesen, daß
die Regierung auch ihrerseits berechtigt sei, ihre Leistungen ein-
zuschränken. Es erübrigt sich, die einzelnen Phasen des Streits,
der sich durch elf Jahre hinzog, zu verfolgen. Er wurde 1736
zugunsten der Stadt entschieden. Was die Regierung schließlich
zum Nachgeben bewogen hat, ist unbekannt. Sie machte zuletzt -
vielleicht um den Rückzug zu maskieren - die Zahlung des Bei-
trages zu den Reparaturkosten davon abhängig, daß ein Bild "der |
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Seligsten Jungfrau und Mutter Gottes Maria", welches früher
im Pfarrgehöft gestanden hatte, aber 1708 entfernt worden war,
wieder an Ort und Stelle gebracht würde. Das Bild stellte die
Jungfrau Maria mit der Sonne bekleidet dar, unter ihr knieend
ein Altarist mit Rosenkranz. Es hatte sich über der Tür des
unteren Zimmers des Pfarrhauses befunden. Eggers sollte es
beseitigt und durch das steinerne Bild des Kaplans Kölichen ersetzt
haben. Schon 1710 war ihm das vorgeworfen worden; man hatte
aber damals die Sache fallen lassen. Diesmal wurde er trotz aller
Beteuerungen seiner Unschuld zu der außerordentlich hohen Geld-
buße von 100 Dukaten verurteilt. Er wurde anscheinend dadurch
völlig ruiniert und geriet in Konkurs. Das Bild wurde restituiert,
und die Regierung erkannte daraufhin ihre Baupflicht an. Aber
sie verstand, durch neue Winkelzüge das mühsam errungene
Recht der Gemeinde so gut wie illusorisch zu machen. Es wurde
die rigorose Bestimmung getroffen, daß die Ausführung jedweder
baulichen Veränderung oder Reparatur an den evangelischen Kir-
chen fiskalischen Patronats zuvor durch eine Spezialkommission
der Regierung begutachtet werden müßte. Die Spesen dieser
Kommission, die von der Kirchkasse zu tragen waren, beliefen sich
für Lüben auf 60 rtl., während der fragliche Bau selbst oft genug
kaum 20 rtl. erforderte. Wurde doch der Kirchvater Dr. Matthäus
deshalb zur Verantwortung gezogen, weil er auf dem Dache der
Begräbniskirche eine Lucke hatte anbringen lassen, um Schindeln
und dergleichen unter dem Dache aufheben zu können. Er erklärte,
daß die Hinzuziehung der Regierungskommission sich erübrigt
habe, da man doch das Vorhandene bauständig erhalten müsse.
Außerordentlich demütigend für die evangelische Gemeinde
war die ihr auferlegte Verpflichtung, am Fronleichnamstage die
Prozession mit dem Geläut der Glocken der evangelischen Kirche
zu begleiten. Nach dem Einmarsche der preußischen Truppen ließ
man stillschweigend den aufgedrungenen Brauch fallen. Die
Glogauer Kammer verfügte jedoch, daß das Geläut auch fernerhin
stattzufinden habe, daß aber von der katholischen Gemeinde eine
Geldentschädigung zu gewähren sei.
Das Haus Habsburg hat es nicht verstanden, bei den evange-
lichen Schlesiern Sympathien zu erwerben. Seine einseitige und
engherzige Kirchenpolitik entfremdete ihm überall die Herzen der
protestantischen Untertanen. Kein Wunder, daß die preußische
Besitzergreifung von der evangelischen Bevölkerung mit unver-
hohlener Freude begrüßt wurde. Der Jubel, mit dem die Lübener
Jugend am 29. Dezember 1740 den jungen Preußenkönig be-
grüßte, war sicherlich der laute Widerhall der Empfindungen und
Hoffnungen, welche in den Herzen der evangelischen Lübener
Bürgerschaft lebendig geworden waren. |