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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 226/227
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Als dann französische Kranke in größerer Anzahl eintrafen, wurde
die Lage noch mißlicher.
Inzwischen waren aber die Nachrichten vom Umschwung der
Dinge durchgesickert. Man raunte es sich zu: Die Große Armee
befindet sich auf der Flucht. Die Preußenherzen schlugen höher,
sie ahnten instinktiv, daß die Stunde der Abrechnung bevorstand.
Es war ein leiser Wellenschlag großer Ereignisse, der Lüben traf,
als am 22. Januar die Kunde in der Stadt laut wurde, der König
und die königliche Familie würden am 26. Januar auf der Reise
nach Breslau hier Nachtquartier nehmen636). Diese Nachricht rief
naturgemäß lebhafte Aufregung in allen Kreisen hervor und
bereitete den städtischen Behörden unruhevolle Tage. Handelte
es sich doch um die Unterbringung des Königs, des Kronprinzen,
der Prinzen Friedrich, Wilhelm und Albrecht, der Prinzessinnen
Friederike, Luise und Alexandrine, neben den Hofdamen, Adjutan-
ten, militärischen Begleitern und der zugehörigen Dienerschaft,
im Ganzen ca. 60 Personen und 99 Pferde. Für den König und
den Kronprinzen bot das Bomsdorffsche Haus ein angemessenes
Quartier, für die Prinzessinnen und ihre Begleitung das dem
Rittergutsbesitzer Schwabe in Braunau gehörige Haus. Die
Prinzen und das sonstige Personal mußte der Grüne Baum
aufnehmen. Indes vereinfachte sich die Beherbergung der hohen
Gäste dadurch, daß der König und der Kronprinz Lüben nicht
berührten, sondern die Straße über Sagan-Bunzlau-Haynau
benutzten. Nur die königlichen Kinder nächtigten in Lüben, die
Prinzessinnen und Prinz Albrecht mit ihrem Hofstaat bei Frau
von Bomsdorff, Prinz Wilhelm, der nachmalige erste deutsche
Kaiser, und Prinz Friedrich im Grünen Baum, wo auch der
Leibarzt, Staatsrat Hufeland, und die Herren des Gefolges
Quartier nahmen.
Kaum waren die fürstlichen Gäste abgereist, da trafen andere
ein. Am 29. Januar schlichen die ersten flüchtigen Franzosen
durch die Stadt; sie kamen nicht in geschlossenen Verbänden,
sondern in kleinen Trupps; ihre Durchzüge dauerten bis zum
15. Februar. Die letzten gingen bereits im Sturmschritt durch die
Stadt, weil sie die Kosacken auf den Fersen glaubten. Am 19.
Februar überschritten die russischen Vortruppen637), das Streif-
korps des Oberst Davydoff vom Korps Wintzingerode und das
Detachement des Oberst Orloff und des Kapitän Geißmar bei
Steinau die Oder und gingen auf Lüben vor. Am 20. Februar
erreichten Orloff und Geißmar Ossig, wo sie in der Nacht ein
Kommando polnischer Ulanen aufhoben, welches die Gegend
unsicher machte. Ein Lübener Kind, der nachmalige Kanzleirat

636 Stadtarchiv Acta betr. Reisen Sr. Majestät Vol. III 1813-1829.
637 Chronologische Übersicht über die Ereignisse 1813 im Militär-
wochenblatt.
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Gringmuth638), kam gerade am 20. Februar von Glogau her als
freiwilliger Jäger durch Lüben, um nach Breslau zu wandern.
"Auf dem Platze vor dem Württembergischen Palais wimmelte
es von polnischer Kavallerie, die vor den nachsetzenden Russen
flüchtete. Das Getümmel mit Schreien, Fluchen, Schimpfen,
Wiehern der Pferde gab einen Vorgeschmack der bevorstehenden
Kriegsunruhen. Dazu kam starkes Schießen, das die Bürger
erschreckte. Es rührte, wie man später erfuhr, davon her, daß die
flüchtenden Franzosen bei Schlichtingsheim mehrere Pulverkarren,
die sie nicht mehr retten konnten, in die Luft gesprengt hatten."
Erst am 25. Februar kamen die ersten Kosacken in die Stadt; bald
folgten weitere russische Truppen. Aber auch preußische Kriegs-
freiwillige gingen, vom Westen kommend, durch die Stadt, um sich
in Breslau einreihen zu lassen, und Ende März zogen preußische
Truppen durch Lüben, um Glogau einzuschließen, das die Fran-
zosen festgehalten hatten. Von dort tönte gelegentlich Kanonen-
donner herüber. Inzwischen war die Kreiskommission zur Orga-
nisation der Landwehr zusammengetreten. Am 28. und 29. März
wurde die Landwehr des Kreises in der Lübener Kirche feierlich
vereidigt. Am Gründonnerstage, den 14. April, überschritt die
russische Hauptarmee in Gegenwart des Zaren und des Preußen-
königs bei Steinau die Oder und marschierte durch Lüben, wo
Kaiser Alexander und Fürst Kutusow Nachtquartier nahmen639).
So wurde die Stadt immer wieder vom Strom der Weltereignisse
berührt. Kein Wunder, daß man hier besonders mit gespannter
Erwartung der Entscheidung harrte.
Die Nachricht von der Schlacht bei Groß-Görschen am 2. Mai
wurde mit Jubel begrüßt, und der Transport mehrerer hundert
französischer Gefangener belebte die Herzen; aber sie wurden bald
wieder mit Bangen erfüllt, als sich die Armee der Verbündeten
wieder der schlesischen Grenze näherte. Am 21. Mai eilte viel
russische Bagage durch die Stadt der Oder zu. Am gleichen Tage
traf ein Landwehrregiment in Lüben ein640), wurde hier in aller
Geschwindigkeit vereidigt und zog nach Gläsersdorf weiter, um an
der Belagerung von Glogau teilzunehmen. Am folgenden Tage
hörte man aus weiter Ferne Kanonendonner; die Schlacht bei
Bautzen wurde geschlagen. Bald mehrten sich die Anzeichen, daß
die Verbündeten auf dem Rückzuge begriffen waren. Immer mehr
russischer Train wurde zurückbefördert, Großfürst Konstantin eilte

638 Er erzählt im Lübener Stadtblatt 1879 von seiner in Lüben
verlebten Kindheit.
639 Die Kosten des kaiserl. Nachtquartiers einschl. derjenigen für
Ehrenpforten, Pyramiden, Illumination, beliefen sich auf 47 rtl 13 sgr
und wurden von der Kgl. Schatulle getragen. Stadtarchiv Acta betr.
Reisen Sr. Majestät.
640 Schlesische Kriegstagebücher aus der Franzosenzeit 1904. Major
J. C. Th. Doercks.