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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 302/303
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tragen hatte, war 1846 auf 4165 rtl. angewachsen, sodaß die Kirch-
kasse ihren Verpflichtungen nachkommen konnte.
Die Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten lag ent-
sprechend den Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts in den
Händen des Kirchenkollegiums. Es wurde 1821 reorganisiert und
bestand seitdem aus dem Pastor prim., dem Rendanten und zwei
Vorstehern. Die Laienmitglieder wurden von der Patronats-
behörde im Einvernehmen mit dem Pastor gewählt, später wurden
sie auch vereidigt. Am 1. November 1855 trat der Gemeinde-
kirchenrat in Wirksamkeit; er bestand aus den Geistlichen, den
Mitgliedern des Kirchenkollegiums und 16 weiteren Mitgliedern
aus der Stadt und den eingepfarrten Dörfern.
Gelang es Burkmann, in das Äußere des Kirchenwesens
Ordnung zu bringen, so bewies er in der Behandlung innerkirch-
licher Fragen und in der Förderung des innern Lebens keine
glückliche Hand719). Eine wenig beneidenswerte Rolle spielte er
in der christkatholischen Bewegung, die auch nach Lüben hin starke
Wellen schlug. Bekanntlich entfesselte der schlesische Priester
Johannes Ronge mit seinem Protest gegen die Ausstellung des
ungenähten Rockes Christi im Jahre 1844 und mit seinem Aufruf
zur Bildung einer deutsch-katholischen Kirche eine starke religiöse
Bewegung. In Lüben fand am 6. April 1845 eine öffentliche
Zusammenkunft aller für die Angelegenheit interessierten Per-
sonen im Rathause statt. Die Versammlung war sehr zahlreich
besucht, auch aus der Umgegend waren Katholiken erschienen. Am
Schlusse der von Justizverweser Kretschy geleiteten Besprechung
erklärten 22 Männer und 4 Frauen ihren Austritt aus der
katholischen Kirche. Sie schlossen sich bald zu einer christkatholischen
Gemeinde zusammen, die im Stadtverordnetensitzungssaal ihre
Versammlungen abhielt. Ronge versprach seinen Besuch, und
Burkmann stellte ihm die evangelische Kirche für einen Gottes-
dienst zur Verfügung. Dieser fand am 8. Mai statt. Ronge wurde
wie ein Triumphator schon am Vorabend empfangen, am andern
Morgen an der Kirchtür von der Geistlichkeit feierlich begrüßt
und eingeholt. Die Kirche war zum Brechen voll, und die An-
wesenden lauschten mit gespannter Aufmerksamkeit den Worten
des beredten Mannes. Bei dem Festmahle am Nachmittag gingen
die Wogen der Begeisterung sehr hoch. Burkmann feierte in seiner
Tischrede Ronge als Reformator und verstieg sich zu dem Aus-
rufe: "Laß mir nur noch ein halbes Jahr Zeit, dann trete ich
auch über!" - ein Diktum, das ihm später sehr unbequem ward.
Die Regierung in Liegnitz machte ihm Vorhaltungen wegen seiner
Eigenmächtigkeit und rügte auch später sein Entgegenkommen

719 Das Folgende nach meinem Aufsatz "Zur Geschichte der christ-
katholischen Bewegung in Lüben" im Korrespondenzblatt des Vereins
für Geschichte der evang. Kirche Schlesiens Bd. XIII.
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gegenüber der Sekte. In Lüben erlangte Burkmann jedoch eine
starke Popularität, weil er sich dauernd zum Anwalt der jungen
Gemeinde machte, ihr religiöse Vorträge hielt, sie gegen Angriffe
verteidigte und ihr auch die Begräbniskirche als gottesdienstlichen
Raum anwies. Er übersah aber völlig, daß die christkatholische
Gemeinde je länger je mehr unter den evangelischen Gemeinde-
gliedern eine lebhafte Propaganda entfaltete und das ihr ge-
währte Gastrecht dazu mißbrauchte, sich auf Kosten der Gast-
geberin zu vergrößern.
Diese auch sonst geübte Praxis mußte schließlich zum Bruch
führen und der christkatholischen Bewegung das Wohlwollen der
evangelisch-kirchlichen Instanzen entziehen. Auch Burkmann
mußte notgedrungen seine Stellung zu den Dissidenten ändern;
erlebte er es doch, als er dem Jahresfeste der Gemeinde am
6. April 1846 beiwohnte, daß vor seinen Augen eine größere
Anzahl evangelischer Gemeindeglieder ihren Übertritt zum Christ-
katholizismus vollzog, ohne daß er von seinen christkatholischen
Glaubensbrüdern verständigt worden war. Leicht wurde es ihm
freilich nicht, dieser Proselytenmacherei entgegenzutreten, nachdem
er sich solange als begeisterter Förderer der Bewegung aufgespielt
hatte. Er wurde naturgemäß der Doppelzüngigkeit geziehen und
mußte es sich gefallen lassen, daß man den Kuß, mit dem er bei
jenem Jahresfest Ronge begrüßt hatte, als Judaskuß brand-
markte.
In den folgenden Jahren begann übrigens die Bewegung
abzuflauen. Die Stürme von 1848 brachten sie nicht mehr in
die Höhe, obwohl die Dissidenten in hellen Haufen in die Reihen
der Ultra-Radikalen traten. Schon begann die Fahnenflucht,
einer nach dem andern zog sich zurück. Als dann 1851 der
evangelische Oberkirchenrat verfügte, daß allen, welche formell
aus der Landeskirche ausgeschieden waren, die Teilnahme am
Abendmahl, das Patenrecht, die kirchliche Trauung und Beerdi-
gung zu versagen sei, daß den Christkatholischen die Mitbenutzung
evangelischer Kirchen entzogen, ihren Dienern jede Tätigkeit auf
evangelischen Friedhöfen untersagt werden müsse, daß die von
ihnen vollzogenen Taufen, Konfirmationen und Trauungen un-
giltig seien, begann eine starke Rückwanderung aus dem christ-
katholischen Lager zumeist in die evangelische Kirche. Von 1852
bis 1858 wurden in Lüben 26 Personen in die evangelische Kirch-
gemeinde aufgenommen, darunter 8 frühere Katholiken; andere,
welche nicht aus der Landeskirche ausgetreten waren, fanden sich
im Stillen wieder zur alten Gemeinde zurück. Die christkatholische
Gemeinde vegetierte noch einige Zeit, bis 1854 die Gottesdienste
eingestellt wurden und der Gemeindeverband sich löste. -
Unannehmlichkeiten entstanden später für die christkatholisch
getrauten Ehepaare und die christkatholisch getauften Kinder. An-
fänglich wurden die Trauungen in der Weise vollzogen, daß der