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sehr über Staats- und Lokalpolitik erhitzten. Als der Herbst mit
seinen langen Abenden nahte, regte sich der Tatendrang. Die
Stadtverordneten beschlossen die Reorganisation der Bürgerwehr
und die Feier eines allgemeinen Volksfestes, das zu einem Ver-
brüderungsfeste werden sollte. Daraufhin bildete der Gerichts-
aktuar Locken ein bewaffnetes Korps aus jungen Leuten, welches
die Sicherheitspolizei übernehmen sollte. Das Fest kam nicht
zustande, da es an der nötigen Einigkeit fehlte. Inzwischen kehrte
der Bürgermeister Krause, der am 9. Mai zum Abgeordneten für
die Berliner Nationalversammlung gewählt worden war, aus der
Landeshauptstadt zurück. Die radikale Liegnitzer "Silesia" be-
gleitete seine Rückkehr mit folgenden freundlichen Worten: "Am
10. Oktober traf der Bürgermeister Krause aus der Berliner
Nationalversammlung wieder in Lüben ein. Der Mann der
Rechten Seite - der Vertreter (?) des Volks! Giebt's denn in
Lüben keinen armen Bürger, keinen gedrückten Stand, der in dem
alten Regime heruntergekommen, die durch Fabriken und
Maschinen zu Bettlern geworden? - Man denke sich: Der Bürger-
meister Krause wurde eingedenk seiner Verdienste (?) feierlichst
eingeholt und mit verschiedenen Hochs und Vivats empfangen! -
Aber in Lüben lassen auch die Offiziere bei ihren Gelagen neben
dem Könige den Exminister Schreckenstein hochleben, und nach
diesen Schreckensteinern müssen sich auch die Bürger, das Volk
richten." - Zu diesem Eingesandt bemerkt der Redakteur d'Oench:
"In Lüben will sich nun mal kein andrer Geist einfinden; es
beliebt den alten Sauerteig zu lieben; denn es hat sich noch nicht
in die Reihe der Städte gestellt, welche andre als reaktionäre
Tendenzen verfolgen. Das machen aber die Kürassiere mit ihren
langen Schlachtschwertern; da ist nicht mit zu spaßen. Ein
Demokrat würde guten Schutz finden, wenn er sich dort sehen ließe.
Gott bewahre mich vor einem solchen verzwickten Städtlein, wo
das Säbelregiment mehr Gewicht hat, als der Bürger gilt. Ja,
und wenn der Bürger und der Landmann nicht wäre, die in den
mehrsten Städten jetzt Hand in Hand gehen: wo wäre die liebe,
leidige Soldateska! - Nun liebes Lüben, bleibe in deinem
beschränkten Untertanenverstande und liebe Deine Soldateska bis
zum Abend Deines Lebens, wo die Abendsonne Deinen Grabhügel
blutrot bescheinen wird!"
Die Lübener zeigten aber, daß sie doch etwas konnten. Andere
Städte hatten ihre Katzenmusiken gehabt, warum sollte Lüben
zurückstehen? Am 17. Oktober, abends 10 Uhr, zog eine radau-
lustige Menge vor das Haus eines Tuchkaufmanns in der Schloß-
straße, der sich irgendwie mißliebig gemacht hatte. Es blieb aber
nicht beim bloßen Spektakel, man schlug die Fenster ein, brach die
Tür auf, und ein händelsüchtiger Schneider riß die Tuchvorräte
heraus und verschleuderte sie draußen unter die Menge. Die
geängsteten Bewohner flüchteten durch die Hintertür in den |
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Schloßgarten. Endlich nahte die Bürgerwache; in dem Handge-
menge zertrat der Schneider dem Bürgertrommler die Trommel.
Nach der Heldentat kam die Ernüchterung. Der Schneider bestritt
lebhaft jede Schuld, auch das Attentat gegen die Trommel und
legte ein Bekenntnis seiner Überzeugung in dem dichterischen
Erguß nieder: "Ich habe die Waffe als Bürger und werde sie
benützen - Und mein und meiner redlichen Mitbürger Ehr' und
Eigentum schützen; - Auf den Schall der Trommel wird mein
Blut in den Adern nicht stocken, - Ich werde feststehn und rufen:
Hoch leber unser Führer, Herr Aktuarius Locken!" Das Gericht
beurteilte die Sache anders; der Schneider und sein Genosse muß-
ten ihre Großtat mit Haftstrafe büßen.
Nun berief der Magistrat die Bürgerwehr, deren Errichtung
gesetzlich neu geregelt worden war; sie war 121 Köpfe stark und
stand unter dem Befehle Lockens. Die Wachtstube befand sich im
Rathause; Trommelwirbel bildeten das Alarmsignal. Da die
Freude am Lärm erwacht war, mußte die Wehr gelegentlich in
Tätigkeit treten. Aber nicht jeder war mit ihr zufrieden. Der
Kreissekretär und Leutnant der Landwehr Fengler forderte vom
Magistrat 50 Bajonette und 3 Trommeln, dann würde er mit
diesem Korps den Schutz von Person und Eigentum übernehmen;
der Bürgerwehr fehle die Disziplin. Das wurde ihm sehr übel
genommen. So war Lüben mit einem Male in den Ruf gekom-
men, eine unruhige Stadt zu sein. Sie erhielt zwei Kompagnien
des Freystädter Landwehr-Regiments als zeitweilige Einquar-
tierung. Aber militärischer Schutz tat so wenig not wie bürger-
licher. Als man 1849 schrieb, hatten sich die Wogen geglättet.
Der Sturm im Glase Wasser war vorüber.
3. Die Schützengilde.
Als ein Denkmal aus altersgrauer Zeit, in der der wehrhafte
Bürger noch selbst die Stadt schützen mußte, ragt die Schützengilde
in die Gegenwart hinein. Die Übung im Armbrustschießen, welche
einst eine blutig-ernste Notwendigkeit werden konnte, wie in den
Tagen der Hussitenkämpfe, ist jetzt zum Sport und Spiel gewor-
den, aber es besitzt noch immer Anziehungskraft genug, um die
Mannen der Gilde zusammenzuhalten.
Das älteste Datum für die Geschichte der Lübener Schützen-
bruderschaft ist das Jahr 1447853). Der silberne Vogel an dem
damaligen Vogel-Pacem trug diese Jahreszahl. Vermutlich liegen
aber die Anfänge der Gilde viel weiter zurück. Mußte doch in
jenen Zeiten, wo stehende Heere fehlten, jeder Bürger mit Wehr
und Waffe umzugehen wissen. Aber nicht immer herrschte Krieg
853 Benutzt ist der Artikel von Dr. Schönaich (Jauer) "Die Lübener
Schützengilde" in der Schles. Schützenzeitung vom 1.3.1899 Nr. 4, die
Akten betr. Stadtgerechtsame im städtischen Archiv, die Akten und das
Protokollbuch der Gilde. |