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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 450/451
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zukommen, denn die Haustür war immer geschlossen. Aber neben
ihr befand sich ein Fenster, das durch einen grünen Gazevorhang
dem Vorübergehenden den Einblick wehrte. Erst wenn man ganz
nahe herantrat, erkannte man einen bärtigen, mit einem schwarzen
Sammetbarett geschmückten Kopf, der dem Draußenstehenden
freundlich zunickte. Dann hörte man das Knacken eines Riegels
an der Haustür und konnte nun zum "Maler Schalm" eintreten.
Als er ein kleines Kind war, soll ihn die Kindsmagd haben
fallen lassen, und danach sei er verkrüppelt. Aber an solches viel-
erzähltes Märchen, das alles, z. B. alle Rückgratsverkrümmungen,
erklären soll, glaubt heute kein Arzt mehr; wahrscheinlich hat es
sich bei Schalm um eine sog. essentielle Kinderlähmung gehandelt,
also um eine Rückenmarkskrankheit, die ihm die Beine gebrauchs-
unfähig machte, zum Teil aber auch die Hände, sodaß er Bleistift,
Pinsel und Feder zwischen Daumen und den Mittelhandknochen
des Zeigefingers einklemmen mußte. So erinnerte er fast an den
Ausspruch Lessings, daß Rafael auch ohne Arme ein großes
malerisches Genie geworden wäre. - Schalm mußte als Knabe
in die Schule getragen werden, hat aber jedenfalls den Unter-
richt gut genützt, denn er galt als einer der gebildetsten Männer
Lübens. Ob er im Zeichnen außer der Schule noch einen beson-
dern Lehrer gehabt hat, weiß ich nicht: wahrscheinlich hat er die
Theorie aus Büchern, die Praxis durch technische Selbstübung
nach Vorlagen gelernt. Jedenfalls gab er einen ganz ausgezeich-
neten Unterricht, den ich jahrelang - Mittwoch und Sonnabend
je 2 Stunden, 15 sgr. für den ganzen Monat - mit großem Vor-
teil für mein späteres Fortkommen genossen habe. Stufenweis
ging er vorwärts, mit der geraden Linie anfangend, auf treuste
Nachahmung der Vorlage haltend. Jede Technik war ihm ver-
traut; wir arbeiteten mit Bleistift, Kreide, Feder und Pinsel,
aber kaum je mit Lineal und andern Hilfsmitteln; wir lernten
sogar Planzeichnen nach der Müfflingschen Methode. Ohne diesen
Zeichenunterricht wäre mein Lebensweg in der Studienzeit ein
ganz andrer geworden.
Aber das mit Bildern und antiken Gipsbüsten geschmückte
Zimmer des gelähmten Malers war auch der Sammelpunkt für
viele Männer und Frauen Lübens, die auf einer höheren Bil-
dungsstufe standen. Denn Schalm las Bücher und Zeitschriften,
und was draußen in der Welt vorging, bewegte auch ihn. Natür-
lich beschäftigte er sich auch mit der wunderbaren Kunst der
Daguerreotypie und Photographie, die damals noch in ihren un-
beholfenen Anfängen steckte. Wie er es fertig brachte, die Kamera
und die chemischen Prozeduren zu handhaben, ist mir unverständ-
lich, aber jedenfalls besitze ich von ihm eine Photographie meines
Großvaters aus dem Anfang der fünfziger Jahre auf Papier, die
er selbst mit Aquarellfarben ausgemalt hat. Das Silberoxyd ist
ausgeblichen, die Farben sind in voller Frische erhalten.
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Damals, nach dem Revolutionsjahre, spukte in den Köpfen
eine Art Spiritismus. Tischrücken wurde in allen Gesellschafts-
kreisen geübt, und von England kam die Kunde von sog. tierischem
Magnetismus, den man heute Hypnose nennt. Schalm hatte oft


Blick von der Schulpromenade auf den Glogauer Tor-Turm



mit meinem Vater von dem betr. Buche gesprochen und ihn gereizt,
Versuche anzustellen. Ich war vielleicht das erste Versuchskarnickel
und schlief richtig ein, aber dann gab es auch Damen, die in einen
somnambulen Zustand gerieten und hellseherische Gaben entwickel-