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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 456/457
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gleich auch malerischer. Die alten Ziegeln aus der gotischen Zeit
waren vielfach angefressen und mit Moos überzogen, das Innere
zeigte auch die Spuren des Alters. Einzelheiten weiß ich nicht
mehr; ich erinnere mich nur, daß alle Emporen mit bunten
Bildern und Sprüchen aus der biblischen Geschichte bemalt waren,
wie das wohl nach der Reformation üblich war. Nun wurde
damals eine große Renovation des Innern ins Werk gesetzt, die
Wände getüncht, die Decke mit goldenen Sternen versehen, sowie
alles Holzwerk mit weißer Ölfarbe angestrichen und mit Vergol-
dung geziert. Zu einer solch gründlichen Erneuerung würde man
sich heute, wo die Ehrfurcht vor dem Altüberlieferten gewachsen
ist, nicht mehr entschließen. Während diese Arbeiten im Gange
waren, wurden die Gottesdienste in der Begräbniskirche - wenn
ich nicht irre, einem Fachwerkbau - abgehalten, die auf dem alten
Kirchhofe, etwas hinter der Stelle stand, die das jetzige Gym-
nasium einnimmt. Das äußere Mauerwerk der alten Hauptkirche
ist viel später ausgebessert worden.
Nicht alle Erinnerungen an diese sind mir erfreulich. In
der ersten Schulklasse mußten wir wohl jeden Sonntag auf dem
sog. Rektorchore, zu dem man vom Turm aus durch den Schwib-
bogen gelangte, dem Gottesdienst beiwohnen und das Gerippe
der Predigt nachschreiben. Die zerfiel gewöhnlich in die Ein-
leitung, drei Teile und den Schluß. Die Teile aber hatten wieder
Unterabteilungen, die mit a, b, c und so fort notiert werden
mußten. Dieses Predigtgerippe wurde dann in ein Heft fein
säuberlich abgeschrieben und dem Herrn Lehrer zur Prüfung über-
geben. Nach ihrem Ausfall, d. h. wesentlich nach der Anzahl der
orthographischen Fehler, erhielt dann der Schüler seinen Platz in
der Klasse. Dieser Brauch hörte natürlich mit der Einführung
der höheren Bürgerschule auf; und er wäre mir nicht lästig ge-
worden, wenn ich nicht im Winter so jämmerlich in der Kirche
gefroren hätte. Ich habe noch den Oberpastor Burkmann und
den Pastor Kunzendorf so predigen hören. Etwa im Jahre 1855
mag dann der Pastor von Cölln nach Lüben gekommen sein, der
als Prediger und Seelsorger gleich beliebt war, etwas später
dann Pastor Petran und Oberpastor Zürn, der sich mit Dr.
Schmidt eng befreundete und auch lebhaften Anteil an der neuen
Schule nahm. Er hat mir immer ein besonderes Wohlwollen
bewiesen, und ich denke gern an den stattlichen Mann mit dem
prächtigen Lutherkopf.
Indem wir das Kirchengebäude umwandeln, gehen wir am
Glöcknerhause, wo Herr Brendel amtierte, vorbei durch die enge
Pforte, den Spitzbogen, der sich von der Stadtmauer zu einem
Strebepfeiler der Kirche hinüberspannt. Hoch oben aus einem
Seitenspalte der Stadtmauer sproß eine Gerte hervor und drängte
sich ans Tageslicht. Es war eine junge Birke, die aus dem Mörtel
und der Luft ihre Nahrung saugte, ein Bild der Genügsamkeit.
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Heute ist sie ein stattlicher Baum, dessen Wurzeln nicht ohne
Erfolg versuchen, das Gemäuer zu sprengen. Möchte doch das
alte Stück Mauer samt der Birke für ewige Zeiten erhalten
bleiben!
Vom Südportal der Kirche aus werfen wir durch die Stadt-





maueröffnung, die früher ein Tor war, einen Blick auf den alten
Kirchhof mit seinen schönen Denkmälern und seinen herrlichen
hohen Bäumen. Unter diesen zeichnete sich eine Riesenlinde aus,
deren Stamm mindestens 2 Meter im Durchmesser hatte und sich
in etwa 5 Hauptäste spaltete. Sie war hohl und oft vom Blitz