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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 160/161
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So war in Lüben der Kampf auf der ganzen Linie entbrannt
und wogte, wenn auch nicht immer mit gleicher Heftigkeit, aber
doch ohne Unterbrechung, hin und her. Erwartungsvoll mögen
sich im Hochsommer des Jahres 1706 die Augen der protestan-
tischen Schlesier nach Osten gerichtet haben, wo Karl XII. von
Schweden hart an der Landesgrenze bei Rawitsch und Fraustadt
gegen August von Sachsen, den Träger der polnischen Königs-
krone, kämpfte. Am 22. August überschritt Karl bei Steinau die
Oder, um seinen Gegner nach Sachsen zu verfolgen. Am 23.
August übernachtete er in Lüben541). An den Durchmarsch der
Schweden erinnert eine Notiz im Taufregister:
"hic infans in ordinario numero non inscriptus ab irruentes
et tumultuantes Suecos".
("Dieses Kind ist nicht bei der ordentlichen Nummer einge-
tragen wegen des plötzlichen Einfalls der Schweden".)
Ein Jahr später, am 22. August 1707, wurde die Konvention
von Altranstädt unterzeichnet. Nun stand auch der evangelischen
Gemeinde in Lüben die Rückgabe ihrer Kirchen in sicherer Aus-
sicht. Schon am 27. August passierten schwedische Truppen auf
dem Rückmarsche abermals die Stadt, und am 5. September kam
Karl XII. an, um den Übergang seiner Truppen über die Oder
zu leiten.
Die Restituierung der Kirchen und Schulen erfolgte nicht so
schnell, wie man gehofft hatte. Eggers, Kretschmer und Liebig,
ein Tuchmacherältester und ein Buchbinder hatten eine geheime
Zusammenkunft, in der anscheinend der Gedanke erwogen wurde,
ein Gesuch an den Kaiser zu richten. Man scheint aber davon
Abstand genommen zu haben. Inzwischen entstand auch in Lüben
jene merkwürdige religiöse Bewegung unter den Kindern, die -
durch die schwedischen Feldgottesdienste hervorgerufen - sich über
ganz Niederschlesien verbreitete, und die unter dem Namen "Schle-
sische Betekinder" bekannt geworden ist. Es fanden unter der
Leitung älterer Knaben täglich dreimal Gebets- und Gesangs-
versammlungen im Freien statt, die allgemein in guter Ordnung
verliefen. In Lüben war der elfjährige Sohn Daniel des Tisch-
lerältesten Sigmund Petzold der Vorleser des betenden Kinder-
haufens. Er studierte später Theologie und wurde im Feldlager
zu Rauschwitz bei Glogau für die schlesische Diaspora ordiniert.

541 So nach König Karls XII. Historia von G. Nordberg-Stock-
holm 1740. Knie und Melcher geben den 1. September 1706 an. Die
Differenz der Daten entspringt der Verschiedenartigkeit des Kalenders.
Schweden führte erst 1753 den Gregorianischen Kalender ein. - Am
27.8.1707 wird eine Wöchnerin ob metum advenientium Suecorum
citius introducta. - Im Lübener Stadtblatt 1879 erzählt der Kanzlei-
rat Gringmuth, ein Lübener Kind, daß Karl XII. in dem Hause des
späteren Kämmerers Jüngling (Ring 29) übernachtet habe. Die Fenster-
scheibe, in welche der König mit seinem Diamant eine Krone und dar-
unter Karl XII. eingeritzt hatte, sei noch 1824 zu sehen gewesen.
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Erst im Winter des Jahres 1707 traten die Bestimmungen
der Altranstädter Konvention für Lüben in Kraft, jedoch behielt
die kaiserliche Regierung die Schloßkapelle zurück, um sie der
katholischen Gemeinde als Pfarrkirche zu überweisen. Avian trat
als Kuratus an diese Gemeinde über. Der Druck der schwedischen
Armee, die in Rußland kämpfte, war für das Haus Habsburg
nicht mehr fühlbar genug; man durfte es wagen, die früher
gemachten Zugeständnisse einzuschränken. - Im ältesten Tauf-
buche findet sich die Notiz: "Anno 1709 den 12 Augusti ist ein
Zeittung kommen, das der König von Schweden mit seinen Sol-
daten von dem Moscowitischen Czar totaliter soll geschlagen sein".
Eine gewisse Sorge mag sich bei dieser Kunde der Gemüter be-
mächtigt haben; man hielt einen Bruch der Konvention für mög-
lich. Der Kaiser hielt indes sein gegebenes Wort.
Die Rückgabe der Pfarrkirche, der Begräbniskirchen und der
Altstädter Kirche erfolgte am Ananiastage, 16. Dezember, 1707;
der erste evangelische Gottesdienst fand am 18. Dezember, dem
4. Adventssonntage, statt. "Sed verbum Domini manet in
aeternum" ("Aber das Wort des Herrn bleibet in Ewigkeit"),
schrieb der neue evangelische Parochus Johann Friedrich Lemberg
unter die Bemerkung Avians "die lutherische fide hat nun ein
ende", und der neue Diakonus und Pastor von Altstadt, Johann
Friedrich Schreiber, bemerkte im Anschluß an den Spruch Klage-
lieder 3, 31-33: "Und dieser allmächtige Gott hat auch das
Hertze Unsers Allerdurchlauchtigsten Joseph's dahin geneiget, daß
nebst andern Kirchen auch diese Alt-Städtische denen Augspurgi-
schen Confessions-Verwandten wieder eingeräumt worden".
Der Status quo (der Zustand von ehedem) war somit der
Hauptsache nach wieder hergestellt, aber die Auseinandersetzung
mit der vormaligen katholischen Kirchenverwaltung zeitigte man-
nigfache unerquickliche Zwischenfälle. Der inzwischen verstorbene
Kirchvater Zachariades hatte die Kirchenrechnungen sehr unordent-
lich geführt, Altstädter und Lübener Vermögensstücke durcheinan-
der geworfen, auch direkte Fälschungen, z. B. eine willkürliche
Abschreibung von 200 rtl. bei dem Kassenbestande vorgenommen,
dazu kam der bereits erwähnte Fehlbetrag von 4410 rtl. bei dem
Kirchenvermögen, der nicht sofort aufgeklärt werden konnte. Es
fehlten auch wertvolle Stücke des Kircheninventars, so die 14 alten
Kaseln, welche 1654 die Bewunderung der Visitationskommission
erregt hatten, zwei Trompeten, ein paar Pauken, 1 silberne, ver-
goldete Kanne, 1 silberne Hostienschachtel, 2 silberne Kelche, eine
Anzahl Kirchenbücher u. a. mehr. Eggers, der den Kirchvaterposten
übernommen hatte, machte den Glöckner Urban für die fehlenden
Stücke verantwortlich. Dabei kam es wohl zu einem heftigen Zu-
stammenstoß, denn Urban beschwerte sich in Liegnitz darüber, daß
er von dem Ratmann Liebig auf Anstiften des Eggers "für einen
Kirchendieb ausgeschrieen und hernach mit Praeterirung der