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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 436/437
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hatte zum Besten geben müssen; "zwar dem Eltisten Tische soll
er schuldig seyn, wegen der Herrn Commissarien eine Schüssel
mit Zwiepack oder andern Confect auftragen lassen". Später
wurde er auch davon befreit, den Ältestentisch mit Wein traktieren
zu müssen. Das Schöpsschießen, welches 1697 zum ersten Male
gehalten wurde, brachte "Verdrüßlichkeit und Widerwillen bei
denen H. Schützen". Die städtischen Hakenbüchsen waren alt und
ungleich, sie funktionierten mangelhaft. Man kam daher überein,
fortan "umb erwehntes Kleinodt auß glatten Röhren" zu schießen.
Größere Sorgen brachte die preußische Zeit; erwuchsen doch der
Gilde im Kampfe um die alten Privilegien mit der Stadt und der
Glogauer Kammer mehr als 70 rtl. Ausgaben für Sporteln und
Gebühren. Freundliche Beziehungen knüpften sich bald mit dem
alten Dragoner-Regiment. Die Offiziere beteiligten sich schon
1774 am Schießen; das König- und Marschallstück konnten sie
freilich nicht erwerben, erst das dritte Stück war ihnen vergönnt.
Auch mit den 4. Dragonern stand die Gilde frühzeitig in einem
herzlichen Verhältnis. Oberstleutnant von Nowakowsky (1850),
Oberst von Raven (1856), Major von Buttlar (1864), Oberst
Hann von Weyhern, Major von Löper, Major von Rosen (1879)
wurden Ehrenmitglieder der Schützenbruderschaft. Eine uner-
freuliche Konkurrenz erhielt sie Mitte der sechziger Jahre durch
die Gründung des Schützenbundes, zu dem sich eine Reihe ange-
sehener Bürger zusammengeschlossen hatten. Der Zwiespalt löste
sich friedlich dadurch, daß die Mitglieder des "Bundes" am
27. August 1869 samt und sonders zur Gilde übertraten. Seit-
dem hat sie unbehelligt ihren Waffensport obgelegen. Nur die
Uniform hat gewechselt, die grünen, betreßten frackartigen Röcke,
der Dreispitz mit den weißen Hahnenfedern, der Hirschfänger, wie
dies alles seit 1849 getragen worden war, machten 1864 den
Joppen und Jägerhut Platz. - Seit 1893 besteht neben der
Schützengilde der Lübener Adlerschützenklub, wetteifernd mit jener
in der Pflege der edlen Schießkunst und froher Geselligkeit.
Unabhängig von der Schützengilde859) vollzog sich das Bürger-
Schießen, zu dem nach alter Ordnung sich jeder Bürger bis zu
60 Jahren einstellen mußte. Wollte er nicht selbst mit Ober- und
Untergewehr erscheinen, so hatte er nach dem dritten Trommeln
einen tauglichen Mann zu schicken. Die Bürgerkompagnien standen
unter dem Befehle eines Stadthauptmanns, dem ein Premier-
leutnant und ein Fähnrich zur Seite standen. Jeder Bürger
unter 60 Jahren entrichtete eine Zulage von 5 sgr., ein Bürger-
sohn, der noch nicht Bürger war, zahlte 10 sgr., mußte aber, wenn
er die Königs- oder Marschallwürde erlangte, das Bürgerrecht
erwerben. Ein Fremder, welcher 15 sgr. erlegen mußte, konnte
Königreich, Marschallstück und Kleinod überhaupt nicht erhalten,

859 cf. zum Folgenden die "Lübener Mannschießfest-Zeitung von 1904".
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sondern bekam erst den vierten Gewinn, nachdem er vor dem
Schuß seine Zulage entrichtet hatte. Das Bürgerschießen dauerte
nur zwei Tage und bestand im Auszug und im Schießen. Voran
marschierte die erste Bürgerkompagnie, dann die Schützengilde mit
eigener Fahne und klingendem Spiel, darauf die zweite Kom-
pagnie. Die beiden Bürgerfahnen wurden zugleich mit der
Schützenfahne vor dem Auszuge abgeholt, wobei der Schützen-
fähnrich von den beiden Junkern der Bürgerschaft in die Mitte
genommen wurde. Damit die Bürgerjüngsten, deren Anzahl
immer 50 betragen mußte, mit dem Gewehr umzugehen lernten,
mußten sie vom ersten Sonntage nach Ostern bis zum letzten
Sonntage vor Pfingsten sich auf dem Schießplatze im Scheiben-
schießen üben. Sonntäglich nach dem Hauptgottesdienste ver-
sammelten sich je 25 Mann unter dem Kommando des Stadt-
wachtmeisters vor dem Quartier des Bürgermeisters und zogen
von dort zum Schießen.
So blieb das Bürgerschießen bis 1856. Damals beschlossen
die Stadtväter, das jährliche Bürgerschießen aufzuheben und
stattdessen unter dem Namen Mannschießen alle drei Jahre
ein allgemeines großes Stadt- und Bürgerfest mit historisch-
gewerblichem Auszuge der Innungen und Vereine abzuhalten.
So ist auch hier der Ernst zum Spiel geworden. Und wer Lüben
und die Lübener kennt, der weiß, daß Mannschießen für sie der
Inbegriff aller Herrlichkeit ist. - In die Freude des Mannschieß-
festes am 28. Juni 1914 klang als erste Fanfare des nahen Welt-
krieges die Kunde von der schauerlichen Ermordung des öster-
reichischen Thronfolgerpaares zu Serajewo.

4. Lüben vor 60 Jahren
(Von Geh. Sanitätsrat Dr. Baer, Hirschberg)
Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Klingt ein Lied mir immerdar;
Ach, wie liegt so weit, ach, wie liegt so weit,
Was mein einst war;

und doch stehen alle Erinnerungen an die Tage meiner Kindheit viel
fester vor meinem geistigen Auge als alles, was ich später erlebte.
Freilich ist das Gedächtnis ein trügerisches Ding, und ich weiß
nicht, ob das, was ich hier über die in meiner Vaterstadt verlebten
Jahre zu berichten gedenke, in jedem Punkte genau mit der
nüchternen Wirklichkeit übereinstimmt. In jedem Kopfe malt die
Welt sich anders, - aber so gut ich kann, will ich bei der Wahrheit
bleiben.
Ich bin am Karfreitag 1847 zu Lüben, in dem schmalsten
Hause der Liegnitzer Straße geboren. Mein Vater war damals
Unteroffizier und Lazarettgehilfe im 5. Kürassier-Regiment, das
1849 zum Feldzug nach Baden ausrückte und dann nach Hamm
in Garnison kam. Dort wohnten wir von 1850-1852. Mein
Vater nahm den Abschied und kaufte vom Großvater Seiler eine