Zum Gesamtüberblick Zur vorigen Seite Zur nächsten Seite Zur letzten Seite (Inhalts- und Abbildungsverzeichnis)
Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 438/439
- 438 -

Besitzung in Samitz an der Liegnitzer Chaussee. 1857 zogen wir
in die Stadt, wo mein Vater das Haus Oberglogauer Straße 11
erworben hatte. Von Ostern 1860 ab besuchte ich das Gymnasium
in Liegnitz. Meine Lübener Jugenderinnerungen umfassen also
eine Spanne von 8 Jahren. Doch nicht von mir will ich hier
reden, sondern von der Stadt und den Menschen, die sie
damals bewohnten. Zunächst einige allgemeine Bemerkungen:
In meiner Kinderzeit war Lüben noch eine richtige Tuch-
macherstadt; d. h. die Herstellung von gewebten Wollenstoffen
beschäftigte eine große Menge von Bürgern, die fast alle in den
Vorstädten, besonders in der Steinauer Straße, wohnten, an ihren Web-
stühlen in den eigenen Häusern. Von einer Tuchfabrik war
damals noch keine Rede. Die Tuchmacherhäuser in der Steinauer
Vorstadt waren meist aus Fachwerk, also aus Holz und Lehm
gebaut und mit Schindeln gedeckt. Davon sind jetzt kaum noch
einzelne Überreste vorhanden, denn ein großes Feuer äscherte viele
dieser Wohnstätten ein, und sie wurden dann massiv wieder auf-
gebaut. Hier klapperten also die Webstühle und die ganze
Familie nahm teil an der Arbeit. Die fertigen Stücke wurden
in nassem Zustande im Freien auf verschieblichen langen Gerüsten
- Rahmen - aufgespannt, indem sie mit ihren fester gewebten
Rändern - Salleisten - durch rechtwinklig gebogene Häkchen,
die in den Rahmen eingefügt waren, befestigt wurden. Ein
solcher Rahmhof befand sich in der Gegend zwischen der jetzigen
Post und der neuen katholischen Kirche. Aber die Blütezeit der
häuslichen Tuchmacherei ging damals zu Ende, denn schon drohte
von England her die Konkurrenz der Fabriken. Doch herrschte in
vielen Tuchmacherfamilien noch ein gewisser Wohlstand. Mit
eigenen hochbepackten Wagen waren die Väter, nachdem sie vorher
das hl. Abendmahl genommen hatten, nach Leipzig zur Messe gefahren
und hatten guten Absatz gefunden, auch ihre Weltkenntnis um
ein gutes Stück bereichert. Nun aber lag das einträgliche Ge-
werbe danieder, und die Nachkommen mußten sich ein anderes
Brot suchen. Viele Lübener Einwohner waren neben ihrem
Berufe Ackerbürger, d. h. sie bebauten draußen vor den
Toren ein Stück eigenen oder gepachteten Landes und besaßen
ihre eigenen Scheunen, die oft in einer Reihe aufgestellt waren,
wie in der Nähe des Triebelschen Gutes oder in der Gegend des
Turnplatzes noch jetzt zu sehen ist. In vielen Höfen befand sich
ein Schweinekoben, in dem das Borstenvieh grunzte und frohe
Hoffnungen für den Winter erweckte.
Von großem allgemeinen Vorteil für die Lübener Bürger-
schaft war der Besitz eines ansehnlichen, gut verwalteten Forstes
in der Großen und Kleinen Heide. Damals, als die Zuführung
von Kohlen aus dem Waldenburger Revier mangels der Eisen-
bahn noch sehr schwierig und kostspielig war, wurden die Lübener
Öfen meist mit Holz geheizt, das bei den Auktionen im Walde
- 439 -

verhältnismäßig billig zu haben war; und das verkaufte Nutzholz
brachte soviel ein, daß die Schullasten und noch manches andere
davon bestritten wurden. Schulgeld war in Lüben eine unbekannte
Sache. Der Stadtforst - er mochte damals etwa 4000 Morgen
umfassen - machte den Bürgern aber auch Vergnügen. Von





den Jagden weiß ich freilich nichts, aber von Pilze- und Beeren-
suchen und von manch fröhlicher Fahrt zu den Herrentischen, die
damals in einem hohen Eichwald in der Nähe der Stadtziegelei
lagen, könnte ich berichten. Man fuhr oder wanderte hinaus,
brachte die Zutaten zum Picknick mit, die Damen entzündeten auf