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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 440/441
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dem steinernen Kochherd das von den Herren gesammelte Reisicht,
kochten Kaffee und Eier, und die ganze Gesellschaft trank und
schmauste in den aus Naturholz zusammengefügten Lauben.
Dann wurden Spiele gespielt, Lieder gesungen, vielleicht auch
getanzt, und in der Dämmerung zog man dann frohgemut, zu
Pärchen gesellt, singend, lachend, scherzend der Stadt zu, in der
bereits die Öl-Laternen, an Ketten quer über die Straßen
baumelnd, spärlich leuchteten. Doch nun wollen wir bei hellem
Tageslicht im Geist einen Gang durch unser Städtchen machen.
Lüben zeugte damals viel deutlicher als heutzutage, daß es
früher eine befestigte Stadt gewesen war; fast überall waren noch
die Stadtmauern sichtbar, wenn auch der Zahn der Zeit gewaltig
an ihnen genagt hatte. Auf ihrer zerklüfteten Krone wuchsen
Ebereschensträucher; wir Jungen krochen hinauf, gingen da oben
spazieren und guckten in den tiefgelegenen breiten Wallgraben,
der die Mauer umzog und jetzt mit Parken und Gärten ausgefüllt
ist. Wie fast alle diese im 13. Jahrhundert von Deutschen ge-
gründeten Städte war Lüben im Winkel von zwei Bächen
gebaut, die nun die Aufgabe hatten, im Kriegsfalle die Wall-
gräben durch Schleusenvorrichtungen mit Wasser zu füllen. Vom
Norden kam die Kalte Bache, vom Westen der Pfeffergraben, die
sich hinter der Zitadelle mit dem alten Herzogschlosse bei dem
sogenannten Postgute vereinigten.
Der ganze von der Stadtmauer umgebene Kern der Stadt
bildet ein dem Kreise sich näherndes von Südost nach Nordost ge-
richtetes Oval von etwa 300 Meter Länge und 250 Meter Breite.
In Liegnitz betragen dieselben Abmessungen 800 und 600 Meter,
in Breslau 1400 und 1200 Meter. Hieraus ergibt sich, daß Lüben
von vornherein als eine sehr kleine Stadt gedacht war. Aber es
hat seine Vorstädte weit hinausgestreckt; zu meiner Zeit zählte es
4000 Einwohner, jetzt etwa doppelt so viel, und man kann hoffen,
daß es sich immer noch vergrößern wird.
Wenn wir uns nun um etwa 60/70 Jahre zurückversetzen, so
ziemt es sich, daß wir den Spaziergang durch das Lüben unserer
Väter und Großväter im Mittelpunkt der Stadt, am Rathause
beginnen. Dieses Gebäude, an das sich noch einige Bürgerhäuser
anschmiegten, stand mitten auf dem Ringe und mag, nach seiner
nüchternen Bauart zu schließen, erst nach dem großen Brande im
Siebenjährigen Kriege entstanden sein. Das Dachreitertürmchen
auf seinem pyramidenförmigen Dach war früher viel kleiner als
jetzt. Es trug die Stadtuhr, die der Obhut unseres Nachbars
Ulrich anvertraut war. Sein Sohn Emil, mein Schulfreund,
mußte sie täglich aufziehen, und oft kroch ich mit ihm bei dieser
Gelegenheit hinauf in das Gebälke. Durch ein Guckfensterchen
konnte man so bequem auf den Markt herniederschauen, wo in
späteren Jahren ein blonder Mädchenkopf oft der Gegenstand
meiner sehnsüchtigen Blicke war. In der Gastwirtschaft des Erd-
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geschosses waltete Herr Schütze, der vormals Seifensieder gewesen
war, mit seiner Tochter Amalie. Im ersten Stock aber saß der
Herr Bürgermeister Gleist, ein eleganter Herr mit rotem Bart,
energisch und ehrgeizig. Die Gemeinde war wohl nicht ganz mit
seiner Regierung zufrieden, denn eines schönen Tages wurde die
ganze Stadt in Aufruhr versetzt durch ein namenloses Pasquill,
das mit den schönen Versen anhub: "Ist doch niemand fast so
dreist - Als der Bürgermeister Gleist; - Um 'nen Orden zu
erlangen, - Ist er nach Bad Ems gegangen." Alle Nach-
forschungen nach dem Urheber dieses gedruckten und in alle Häuser
geschickten Gedichts sind vergeblich gewesen. Wenig später hat
der Herr Bürgermeister, wenn ich mich recht erinnern kann,
keinen sehr rühmlichen Abschied von Lüben genommen.
Ihm stand zur Seite der Kämmerer Röhrich, ein ungewöhn-
lich langer, schlanker Herr mit glattrasiertem Gesicht. Er besaß
eins der schönsten Häuser in der Stadt, gegenüber dem Goldenen
Löwen
mit einem wundervollen Obstgarten. Ich war der Schul-
freund und Gespiele seines ältesten Sohnes und habe als solcher
viel Gutes bei ihm und durch ihn genossen. Seine Frau, eine
geb. Seidelmeier aus den "Drei Mohren" in Polkwitz, das Muster
einer deutschen Hausfrau, war mir mütterlich zugetan. Ich
denke noch heute mit Vergnügen und Dankbarkeit an ihre Butter-
semmeln und an die Honigbirnen ihres Gartens.
Das Rathaus diente aber nicht nur dem Bürgertum, sondern
auch der militärischen Macht, denn damals, als unsere Dragoner
noch keine Kaserne hatten und in Bürgerquartieren lagen, befand
sich die Hauptwache auf der südwestlichen Seite des Rathauses,
dem Gasthofe zum "Schwarzen Adler" gegenüber. Da stand ein
Schilderhaus, vor dem beständig ein behelmter Kriegsmann auf-
und ab spazierte. Auf der Hauptwache befand sich auch das Arrest-
lokal; ich bin einmal darin gewesen, um unsere eingesperrte Ein-
quartierung zu besuchen, und erinnere mich sehr wohl noch der
hölzernen Pritsche, die dem armen Stechbart - so hieß er - als
Bettstadt diente. Mehrmals täglich blies ein Trompeter vor der
Hauptwache die Signale und besonders feierlich geschah das in
mehreren Absätzen abends um ¾ 9 Uhr, wo sie fast wie ein in
Musik gesetztes Gebet klangen.
Auf der anderen nordöstlichen Seite des Ringes, wo Mittwoch
und Sonnabend der Wochenmarkt in Feld- und Gartenfrüchten
abgehalten wurde, stand eine Reihe prachtvoller Linden, die den
Marktweibern guten Schatten gaben. Ich habe immer bedauert,
daß diese herrlichen Bäume, ein unersetzlicher Schmuck des Platzes,
der Säge zum Opfer fielen, und ebenso, daß man nicht an Stelle
der beiden Pumpen, die auf den beiden anderen Seiten des Mark-
tes standen und durch die neue Wasserleitung überflüssig geworden
sind, wenigstens je einen schönen Baum gepflanzt hat, etwa
Friedenseichen zur Erinnerung an die glorreichen Kriege von