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Immer wieder wurden in letzter Zeit bei einer Internet-Auktion Postkarten einer Jadwiga Ulatowska aus dem Jahr 1944 meistbietend versteigert und gerieten so allmählich in ganz verschiedene Hände. Als Absenderanschrift wurde die Gurkeneinlegerei der Gebrüder Hoffmann in Lüben, Bahnhofstr. 19 angegeben. Ich war sicher, dass es sich um die Post einer polnischen Zwangsarbeiterin handeln musste. Aber ich konnte nicht verstehen, was sie schrieb. Marcin Długosz, ein junger Mann aus Lubin, hat sich redlich um eine Übersetzung ins Deutsche bemüht. Erschwert wurde die Arbeit auch dadurch, dass ein historisch desinteressierter Sammler die Briefmarken herausgeschnitten hat, so dass auf der Rückseite stellenweise der Text fehlt. Dennoch wird das Schicksal einer Zwangsarbeiterin und ihres Kindes in Lüben und ihres Ehemannes in Brwinów im besetzten Polen auf erschütternde Weise deutlich. Vermutlich mussten die Sklavenarbeiter auf offenen Postkarten schreiben, um eine lückenlose Kontrolle über ihr Seelenleben zu gewährleisten. Welche Bosheit, dass sie darüber hinaus Karten mit einem Loblied auf den Diktatur benutzen mussten. Es ist unfassbar, was für ein unmenschliches System in Deutschland herrschte. Wenn polnische Besucher meiner Website dazu beitragen könnten, dass wir mögliche Nachfahren von Jadwiga Ulatowska finden, wäre das eine großartige Geste. Heidi
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Abs. Gebrüder Hoffmann, Lüben, Bahnhofstr. 19, (Gurken-) Einlegerei, Frau Ulatowska Jad.
An Inspektor Ulatowski Konrad über Grodzisk Masowiecki, Brwinów, Warszawskastr. 32
... Wir haben einen Ausflug gemacht und haben dabei auch ein lustiges Spiel gespielt, die Lübener nennen diese Spiel Tip-tip-tip*. Wir sind sehr spät nach Lüben zurückgekehrt. Ich habe gestern keinen Brief geschrieben, weil mir nach der Arbeit mit der Schaufel meine Hände wehgetan haben und ich hatte viel Sand in meinen Haaren. Liebster, schreibe mir bitte, wie es dir geht. In allen meine Briefen frage ich dich so viele Sachen und du antwortest nicht auf meine Fragen. Bitte lies noch einmal meine Briefe und Fragen und antworte mir bitte darauf. Ich muss jetzt schließen. Ich küsse euch viele Male und wünsche euch Gesundheit. Deine Jadzia und Lusi
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* Über ein Kinderspiel mit der Bezeichnung Tip-Tip-Tip fand ich nebenstehende Erklärung. Ob das gemeint war, kann nicht mehr geklärt werden. Doch ich halte es für möglich, dass mit solchen Kinderspielen erwachsene Sklavinnen "unterhalten" werden sollten. |
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Inspektor Konrad Ulatowski, Brwinów über Grodzisk Masow. Warszawska 32
Gebrüder Hoffmann, Lüben, Bahnhofstr. 19, Frau Jadwiga Ulatowska, (Gurken-) Einlegerei Lüben
Piotrków, 7.10.1944
Meine geliebte Jagus und Zosienko, heute habe ich meine Inspektion in Piotrków im Auftrag der Versicherung beendet.
Morgen fahre ich nach Brwinów zurück, wo ich auf euch, meine Lieben, warten werde. Ich rappele mich schon wieder ein bisschen auf nach den schrecklichen Erlebnissen in Warschau. Ich habe auch die Möglichkeit, euch auf dem Dienstweg Nachrichen zu übermitteln und 1/2 kg Speck, 1/2 kg Butter, Zitronenextract für eure Genesung, 200 Zigaretten, Strümpfe, ein Schal und ein kleiner Porzellanhahn für Lusia, den ich in allen schrecklichen Momenten der letzten Monate bei mir hatte.
Ich bin aus Warschau weggefahren in der schlimmsten Kleidung, die ich je hatte, und ohne Mütze. Ich versuche einen Wintermantel zu kaufen, weil es schon kalt ist. Ich küsse euch. Konrad |
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Gebrüder Hoffmann, Lüben, Bahnhofstr. 19, (Gurken-) Einlegerei, Ulatowska Jadwiga
An Frau Zofia Chmielewska, Brwinów, über Grodzisk Masowiecki, Zowickastr. 17
Samstag, 8.10.1944
Liebe Zosiu! Deine Antwort habe ich noch nicht bekommen. Trotzdem schreibe ich dir meinen zweiten Brief.
Mir geht es so schlimm und ich bin so traurig, dass ich nicht weiß, was ich machen soll.
Zosiu, ich danke dir für alle Pakete. Aber ich bitte dich nur, dass du mir oft schreibst, du und deine Töchter, schreibt mir abwechselnd und ich werde auch schreiben, obwohl ich sehr wenig Zeit für mich selbst habe. Aber so kann ich weniger traurige Gedanken haben. Zosienko, schreibe mir bitte, wie es dir geht, ob du gesund bist, und schreibe mit bitte, was mit Konrad ist, ob er gesund ist, was macht er, ob er arbeitet. Schreibe mir bitte, weil er nur über uns schreibt und nichts, wie es ihm geht.
Ich will alles über Konrad wissen, glaube mir bitte. Ich habe jetzt nur ihn und das Kind, sonst niemanden mehr. Meine Liebe, schreibe mir bitte, egal ob gute oder schlimme Nachrichten. Ich küsse euch und warte auf eure Antwort.
Eure Jadzia und Lusi
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Zofia Chmielewska, Brwinów über Grodzisk, Masowiecki, Zowickastr. 17
Gebrüder Hoffmann, (Gurken-) Einlegerei Lüben, Bahnhofstr. 19, Frau Jadwiga Ulatowska
Wir alle sind hier zusammen... Ich kümmere mich jetzt um den Haushalt, es tut mir Leid, dass du mit deinem Kind
nicht hier bist... dass Lusi krank ist... Ihr solltet euch erkundigen, wenn dein Kind krank ist, könntet ihr
vielleicht eine Erlaubnis zur Entlassung bekommen. Schreibe mir bitte, was wir euch schicken könnten und was für euch
am nötigsten ist. Wir werden alles machen, um euch zu helfen. Ich erwarte deine Antwort, ich küsse dich und Lusi
26.9.1944
Liebe Jadziu, Vaters Besuch hat uns große Freude gemacht, aber auch große Sorgen um dich und die
kleine Lusia. Unsere Gedanken waren wie immer bei euch allen und wir sind sehr traurig, dass ihr nicht hier seid. Unsere Beziehung
war immer sehr herzlich und nur der Krieg hat uns getrennt und ich möchte dir sagen, dass ich sehr glücklich sein werde, wenn... geliebte Familie. Ich bete jetzt, weil ich glaube, dass nur Gebete uns helfen können. Eure geliebte Hala Krysia |
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Inspektor Ulatowski Konrad, Brwinów über Grodzisk, Warszawska 32,
Inspector der Allgemeinen Versicherungsanstalt auf Gegenseitigkeit
Gebrüder Hoffmann, (Gurken-) Einlegerei, Lüben, Bahnhofstr. 19, Frau Jadwiga Ulatowska
17.10.1944
Meine liebe Jagus, weil die Nachrichen aus Brwinów leider nicht gut sind, habe ich mich entschlossen, hier noch einen Tag zu bleiben, um dir noch ein Paket zu schicken, das fünfte. Ich befürchte, dass ich später nicht mehr weg kann. Ich nutze die Gelegenheit, in Brwinów gibt es viel seltener Speck und Butter. ... außerdem sind Zigaretten hier am billigsten, 2 Złoty eine... Ich habe alles gut verpackt über das hiesige Arbeitsamt an das Arbeitsamt in Lüben geschickt. Es sind 2 kg Speck, 1 kg Zucker... Du kannst sie auch verkaufen, wenn du nicht so viel rauchst. 3 Paar Socken für dich und die kleine Lusia, es sind warme Strümpfe.
Weiter bekommst du verschiedene Unterwäsche für dich und verschiedene Kleidung für euch. Das Lübener Arbeitsamt wird dich
benachrichtigen... Ich habe das alles an deinem Namenstag gekauft, meine Liebste. Mein Aufenhaltszweck in Krakau ist erfüllt.
Die Stadt ist sehr zerstört. Denkmäler, Magistrat, Rathaus - man kann nicht mehr durch die Stadt fahren... Mit der Anschrift
meiner Filiale kannst du mich aber ohne Probleme finden, auf jeden Fall nehme ich Richtung West... |
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Gebrüder Hoffmann, Lüben, Bahnhofstr. 19, (Gurken-) Einlegerei, Ulatowska Jadwiga
Inspektor Ulatowski Konrad, über Grodzisk Masowiecki, Brwinów, Warszawskastr. 32
… habe ich bekommen und ich mache mir Sorgen um dieses Paket. Wir fahren nach … wird noch eine Evakuierung. Also du könntest uns endlich alle wiederhaben. Ich habe große Sorgen. Das Essen ist so teuer für dich, warum schickst du mir so viel Essen? Ich sorge mich, ob du noch Geld hast. Wir haben hier noch was zu essen, Suppen, Kartoffeln, 1/4 Kilo Butter für 2 Wochen. Also schicke mir bitte kein Essen, behalte das! Papa, schreibe mir bitte, ob das Arbeitsamt weiß, wohin sie mich versetzen sollen. Soll ich selbst beim Arbeitsamt angeben, wohin sie mich versetzen sollen? Schreibe mir bitte alles, weil ich das nicht weiß. Schreibe mir bitte, wie es dir geht, wie es den Mädchen, Zosia und allen Bekannten geht, denn die schreiben nichts darüber. Ich danke dir für alles, was du gemacht hast und ich werde dir anders danken, wenn wir uns sehen können. Ich küsse dich unzählige Male. Für immer deine Jadzia
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Gebrüder Hoffmann, Lüben, Bahnhofstr. 19, (Gurken-) Einlegerei, Ulatowska Jadwiga
Inspektor Ulatowski Konrad, über Grodzisk Masowiecki, Brwinów, Warszawskastr. 32
Samstag 22.X.44, Mein liebstes Kindlein, deine zwei Briefe vom 15. und 17.10. habe ich bekommen. Ich danke dir, dass du meinen Namenstag nicht vergessen hast. Dieses Geschenk ist das schönste, das ich im meinem Leben bekommen habe. Papa, wie lang wird es noch dauern? Soll ich mich selbst beim Arbeitsamt erkundigen oder werden sie mir das von sich aus bekanntgeben? Schreibe mir das bitte so schnell wie möglich. Ich will sofort von hier wegfahren, aber manchmal denke ich, dass es nicht wahr sein kann. Nur ein Traum, ein schöner Traum, der schon 24 Stunden lang dauert. Könnte ich das nur endlich erleben! Ist das möglich? Liebling, schreibe mir bitte, wenn der Vetter diese Paket schicken sollte, weil ich zur Zeit nicht...
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Gebrüder Hoffmann,Lüben, Bahnhofstr. 19, (Gurken-) Einlegerei, Ulatowska Jadwiga
Inspektor Ulatowski Konrad, über Grodzisk Masowiecki, Brwinów, Warszawskastr. 32
Mein Liebling, ich mache mir Sorgen um deine Gesundheit. Warum passt du nicht auf dich auf, warum ziehst du dich nicht besser an? Oder hast du keine passende Kleidung? Wie fühlst du dich heute? Besser bleib zu Hause, es ist doch so kalt, seit Tagen regnet es. Die Tage sind so grau wie mein Leben hier. Liebling, ich freue mich, dass du schreibst, dass wir ein neues Leben beginnen werden. Ich denke, dass jetzt alles anders wird. Von dieser schlimmen Gefangenschaft habe ich mehr gelernt als von allen 26 Lebensjahren in Polen. Jetzt weiß ich, was Arbeit und Trennung bedeuten. Liebling, du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich endlich bei euch sein will. Ich kann einfach nicht glauben, dass es nur ein Traum ist. Wie glücklich werde ich sein, wenn sie mir sagen, dass ich losfahren kann. Über Lusia habe ich leider keine guten Nachrichten. Ich müsste mit ihr zu einem guten Arzt gehen. |
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Das letzte Dokument einer Ulatowska, der Entlassungsschein aus dem Krankenhaus Lüben, nach einer Woche Aufenthalt wegen einer Magen-Darm-Entzündung ohne Schonfrist als geheilt entlassen. Wer war Terese Ulatowska? War es Jadwiga, deren polnischer Name ausgelöscht worden war? War es die kleine Tochter, die Jadwiga in ihren Briefen Lusi nannte? Was geschah danach? Warum enden im November 1944 die Briefe? Wer weiß etwas über das Schicksal der jungen Frau aus Brwinów, die in Lüben zur Zwangsarbeit verdammt war?
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