Über das Lübener Stadtwappen
Lüben auf Abbildungen des 18. Jahrunderts














Lüben hatte einst im Wappen einen Madonnenadler

Stadtwappen am Rathaus Lubin

Die Heidestadt Lüben, nördlich von Liegnitz gelegen, führt kein wirkliches Wappen. Sowohl ihr erstes Stadtwappen als auch das zuletzt gezeigte sind aus Siegelbildern hervorgegangen oder, anders gesehen, sind Wappen, die durch die Stadt selbst geschaffen wurden, wobei man sich nach einem vorher erwählten Siegelbild richtete.

Das erste Stadtsymbol ging aus einem Verschlußsiegel hervor, das bereits im 14. Jahrhundert im Gebrauch war. Dieses Siegel zeigte den schwarzen schlesischen Adler mit Brustmond, aus dem anstatt des Adlerhalses die Mutter Gottes mit dem Kinde hervorwuchs. Leider hat dieser Madonnenadler, eine der schönsten und interessantesten heraldischen Darstellungen, ab 1820 einem anderen Siegelbild weichen müssen. Das neue zeigt eine Burg mit zwei spitzbedachten Türmen, zwischen denen auf einem Thronsessel die gekrönte Gottesmutter sitzt, das Kind auf dem Arm. Im offenen Tor schwebt, nach rechts geneigt, der schlesische Adlerschild. Neben dem Tor steht rechts und links je eine Heilige. Außen, neben den Türmen, schwebt auf jeder Seite noch ein Adler frei im Felde. Der Entwurf zu diesem Siegel dürfte nach Hupp dem Ende des 17. Jahrhunderts angehören. Die beiden Heiligen verkörpern St. Barbara und St. Agnes.

Beim Betrachten des von der Stadt zuletzt geführten Wappens drängt sich unwillkürlich der Gedanke auf, daß es Lüben bedauert haben könnte, zu keiner Wappenverleihung gekommen zu sein, und daß es sich deshalb ein Stadtwappen schuf, das in seiner Gestaltung an ein echtes Wappen heranreicht. Lüben hätte eine Wappenverleihung durchaus verdient. Bereits im Jahre 1170 besaß der Ort Stadtrechte. Im Laufe der Zeit entfaltete er einen Wohlstand, der es ihm ermöglichte, den Herzögen von Glogau aus finanzieller Not zu helfen. In Zeiten feindlicher Bedrängnis leistete die Lübener Schützengilde ihrem Landesherren sogar militärischen Beistand. Während ihrer höchsten mittelalterlichen Blüte war die Stadt äußerst stark befestigt. Eine Stadtmauer mit 17 Wehrtürmen, von Graben und Wall umgeben, machte sie zu einem Bollwerk erster Ordnung. Das Glogauer und das Liegnitzer Tor zeigten besonders starke Befestigungsanlagen. In der preußischen Zeit bestanden starke Bindungen zu Friedrich dem Großen. Er machte Lüben zu einer Garnisonstadt, die es dann bis in den 2. Weltkrieg hinein geblieben ist.

Wie dem aber auch sei, selbst die Wappenverleihungen an andere Städte kamen der alten Heidestadt zugute. Sie belebten allgemein das Interesse für Wappen und Siegel der schlesischen Städte und trugen somit auch zur Erforschung der beiden Lübener Stadtwappen bei.

Otto Zimmermann, 1959


Titelkopf des Lübener Heimatblattes 1952/53 Zum Lübener Stadtwappen

Im Januar 1953 änderte das "Lübener Heimatblatt" den Titelkopf. Bis dahin war das Lübener Wappen allein darauf abgebildet, dann kamen die Wappen von Raudten und Kotzenau hinzu. Zugleich hatte das Lübener Stadtwappen seine Gestalt verändert. Warum? Nun, weil es mehrere Wappen für Lüben gibt und dieses nicht das richtige war. Wie die Sache darum bestellt ist, das soll im folgenden dargestellt werden.

Es gibt nämlich im ganzen nicht weniger als vier Wappen für Lüben. Das älteste, das auf einem Gerichtssiegel erhalten war, zeigte die heilige Hedwig, die als Ahnfrau des Piastengeschlechts bei den Lübener Piasten eine bedeutende Rolle spielte. In der Rechten trug sie das Modell der Trebnitzer Klosterkirche. Wohl gleichzeitig mit diesem bestand ein anderes Wappen: der senkrecht geteilte Schild zeigte rechts den halben schlesischen Adler, links einen Turm mit Holzzaun (wohl das Zeichen für den Hedwigsturm des Lübener Piastenschlosses). Beide Wappen symbolisieren die weltliche Macht in Lüben: das Schloß das Piastengeschlecht. Und die Beziehung zum Lande gibt der schlesische Adler. Nach Klose galt das Wappen mit dem Hedwigsturm noch im Jahre 1310. Ich berufe mich mit diesen Angaben auf: Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Druck und Verlag Paul Kühn, Stadtbuchdruckerei Lüben (nach seinem Tode 1924 herausgegeben).

Als dann Herzog Ludwig I. (1349-1399), der in Lüben entscheidend wirkte, nicht nur 1349 die Schloßkapelle, die spätere katholische Kirche, baute, sondern auch die schon vorher bestehende Stadtpfarrkirche, die spätere Evangelische Kirche, im Jahre 1369 ausbaute, war dies für Lüben ein entscheidendes Ereignis. Es bedeutete den Bau eines für die Stadt ungewöhnlich großen und geistig bedeutungsvollen Gebäudes, (wahrscheinlich zugleich mit dem Kirchturm im Zuge der damals erstellten Stadtmauer). Im Stadtwappen wird dieses Ereignis, diese Wende vom herrschaftlichen Prinzip zur sichtbar werdenden Macht der Kirche und ihres Bereiches dadurch sichtbar, daß nun die Patronin dieser großen Stadtkirche (nicht des herzoglichen Schloßkirchleins) ins Wappen aufgenommen wird, zugleich aber auch die weltliche Macht: aus dem schlesischen Adler und der Jungfrau Maria als Patronin wird durch Zusammenfügung der sogenannte "Madonnenadler" gebildet. Der schlesische Adler trägt hier statt des Kopfes die Halbfigur der Jungfrau mit dem Kinde, wie er früher auf dem 'Lübener Heimatblatt' zu sehen war.

Der Kenner sieht sofort, daß dies eine Formgebung des 14. Jahrhunderts ist, und wir wissen, daß ein Stadtsiegel von 1510 diesen Madonnenadler noch führte. Klose erwähnt auch, daß zwei weitere Gerichtssiegel dieser Art im 15. Jahrhundert und im Jahr 1520 (bis 1566 vom Rat benützt) vorhanden waren. Dieses zuletzt erwähnte Wappen haben wir Lübener alle kaum gekannt. Wer hat es je gesehen? Es gab einen Ort, wo es zu sehen war: am Türsturz des Aufganges zur Kanzel von 1623 in der Evangelischen Kirche, dort war es in ein kleines Giebelfeld eingeordnet und nur zu sehen, wenn man vom südlichen Seitenschiff her auf die Kanzeltreppe zuging. Uns allen aber war nur das andere Wappen bekannt, - das vierte, das nun behandelt sein soll.

Das vierte Lübener Wappen, in dem eine der Heiligen den Schild hält

Dieses vierte ist eine Fortentwicklung des Madonnenadlers im Sinne der neuen anrückenden Zeit, und man kann aus diesem Wappenwechsel ein Stück Lübener Stadtgeschichte herausdeuten. So wie der Madonnenadler einst die vorigen Wappen verdrängt hatte, so will der neue Geist den Madonnenadler beiseite schieben, - aber das dauert lange Zeit. Die Piasten spielen nicht mehr die beherrschende Rolle, an ihrer Statt wächst die "civitas", die Bürgerstadt, an Bedeutung heran und zeigt sich im Wappen neben der Maria und dem schlesischen Adler durch das Sinnbild der Stadtmauer mit Portal. Saurma beschreibt es folgendermaßen: "Stadtmauer mit Tor und zwei spitzbedachten Zinnentürmen; im Tor der gelehnte schlesische Adlerschild, neben demselben an der Mauer stehend zwei weibliche Figuren mit je einem Becher in der einen Hand; es sollen St. Barbara und St. Anna sein. Über dem Tor und den Zinnen sitzt auf einer - durch ihre in zwei hohe Kreuzstäbe auslaufende Lehne auffallenden Bank die Jungfrau in ganzer Figur mit Nimbus, Krone und Szepter und dem Kinde. Außerhalb der Türme schweben zwei Adler". Die zwei Leuchter unserer Abbildung sind nicht angeführt, ebenso nicht die besondere Form, daß eine der heiligen Frauen den Wappenschild mit der Hand hält, - eine für die damalige Zeit unmögliche Sache, daß eine Heilige den weltlichen Schild stützt!

Die drei Adler können nur die schlesischen verkörpern; die Stadtmauer ist die neue Zutat, wie wir sie von Wappen der Städte Frankenstein, Grünberg, Kreuzburg usw. kennen, Städten des 13. Jahrhunderts. Die Jungfrau Maria ist übernommen und erhöht über das Stadttor gesetzt. Ob die beiden Heiligen aber St. Barbara und St. Anna darstellen, möchte ich bezweifeln. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß statt Anna die heilige Agnes zu setzen ist und daß diese beiden Gestalten zusammen mit der "beata virgo" sich auf einen einst in der Evangelischen Kirche befindenden Altar beziehen: auf den Altar mit Maria, Barbara und Agnes, der 1395 "durch Zuwendung von 8 Mark Zins seitens Pastors und Presbyters Petrus und des Bürgers Petzko Knosse aus Lüben" gestiftet wurde. Um diesen Altar hat es schwierige Verhandlungen mit dem Bischof in Breslau gegeben. Nachdem am 23. November 1424 und im Jahre 1490 weitere Zuwendungen erfolgten, überließ der Bischof dem Rat "auf inständiges Bitten der Ratmänner" das Patronat über diesen Altar der Stadt, der ihr so sehr wichtig war, am 12. Juni 1518. Die Geschichte dieses Altares, an dem viel namentlich erwähnte Lübener Bürger und Bürgersfrauen beteiligt waren, ist uns recht gut bekannt, und er wird es sein, der hier zur Wappenformung beitrug. Aus diesem Umstand aber dürfen wir schließen, daß das Wappen in dieser Form im frühen 15. Jahrhundert entstand.

Dieses ist das Wappen, das wir Lübener alle kannten, das einst im Südgiebel des Lübener Rathauses, jenem flachen, stumpfwinkligen Ziergiebel, über der Seitenmitte angebracht war. In beträchtlicher Größe war es auf der Hauptseite des Stadthauses zu sehen (die Nordseite war damals noch durch die in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts in den Gebäudekörper einbezogenen Bürgerhäuser verstellt). In Halbrelief, in farbigem Stuck habe ich es dort, gegenüber wohnend, vom Jahre 1908 bis 1945 gesehen, mit seinem das runde Bildfeld umrahmenden Rankenwerk, dem zierlichen Rokokotürmchen sich im Stil angleichend. Nun war das alte gotische Rathaus im Jahre 1757 mit fast der ganzen Stadt abgebrannt. Gleich anschließend wurde die Stadt wieder aufgebaut, zuletzt im Jahre 1768 das Rathaus selber, dem am 9. November 1768 der Turmknopf aufgesetzt wurde. Das Wappen wurde also in diesem Jahre dort angebracht, und es ist durchaus möglich, daß dieses Wappen zusammen mit anderen auch schon am vorigen Bau zu finden war, wie es die Gotik liebte. In der österreichischen Zeit haben beide Wappen nebeneinander bestanden, aber nach einer Übergangszeit von einigen Jahrzehnten hat dann der preußische Staat mit dieser Wappenvielfalt ein Ende gemacht, und Klose sagt, sich auf: Hupp, Die Wappen und Siegel der deutschen Städte, 1898, beziehend: "Es ist Stadtwappen seit 1820".

Das ist dieses Wappen mit der Stadtmauer und den Heiligen und der Jungfrau Maria. Durch Aufdrucke auf Sparbüchern und auf Zeitungsköpfen kann es allein in dieser Form noch heute belegt werden. Somit dürfte die Alleingültigkeit dieses Wappens ohne jeden möglichen Zweifel erwiesen sein. Es wird zwar berichtet, daß Siebmacher in seinem bekannten Wappenbuch die zwei Wappen mit Madonnenadler und Stadtmauer nebeneinander, das heißt gleichberechtigt, zeigt. Siebmacher hat seine Bände aber im Jahre 1605 herausgebracht (er starb 1611). Er konnte die Entscheidung von 1820 nicht wissen! Aber somit ist erwiesen, daß das Wappen mit dem Madonnenadler seit 135 Jahren nicht mehr gültig ist. Die geschichtliche Wahrheit zwingt uns zur Bereinigung der Angelegenheit in oben behandeltem Sinne, denn diese geschichtliche Frage ist ein Stück Lübener Stadtgeschichte.

Theo Dames, 1955


Das Lübener Stadtwappen

Seit dem Jahre 1820 hat die Stadt Lüben nicht mehr das sogenannte Madannenadler-Wappen. Dieses Wappen zeigte den schwarzen schlesischen Adler mit dem Silbermond auf der Brust, Dieser Adler trug aber nicht den üblichen hingehörenden Adlerkopf, sondern statt dessen zwischen den Flügeln die Muttergottes, als Halbfigur mit dem Jesuskind im Arm. Ab 1820 gilt das sogenannte Stadtmauer-Wappen, das nach Hupp vom Ende das 17. Jahrhunderts stammen soll. Dieses Wappen war zuletzt öffentlich nur noch im Dreiecksgiebel auf der Südseite des Rathauses nachweisbar. Dort war es als Stuckrelief (einst vielleicht farbig) zwischen Rokoko-Ornamenten angebracht. Das Datum dieser Anbringung können wir errechnen, doch davon später. Es ist jedenfalls im Jahre 1766 dort hingesetzt worden, als an Stelle des abgebrannten gotischen Rathauses das neue gebaut wurde. Dort oben haben wir alle dieses Wappen gesehen, und es ist bis zum Jahre 1945 von der Stadt als Stadtsiegel verwendet worden, - als einziges! Die früheren waren seit langer Zeit nicht mehr in Gebrauch, ja - in der Öffentlichkeit nicht mehr bekannt.

Zeichnung von Theo Dames

Wie sah dieses Wappen nun aus? Das hier stehende Bild ist dem Lichtbild nachgezeichnet, das oben wiedergegeben ist, und es ist so getreu dargestellt, wie dies nur irgend möglich war und darf wohl als völlig im alten Sinne abgebildet angesehen werden. Freilich zeigt es wohl nicht die Urform, sondern jene Gestaltung, die es im Jahre 1768 letztmalig erhielt. Das heißt: es zeigt eine Rokoko-Fassung. Hierbei wurde das Bild nicht in einen Wappenschild gesetzt, wie einst, sondern in einen Kreis. Ich habe jedoch das Wappenbild in die entsprechende Schildform hineingesetzt.

Von jenem Wappenbilde, das bisher immer abgebildet wurde, unterscheidet es sich jedoch durch einige recht wesentliche Dinge: Da ist zunächst zu sagen, daß die beiden heiligen Frauen anders hingestellt sind. Sie stehen mit ihren Heiligenscheinen wieder rechts und links des Stadttores, das freilich nicht eines der Lübener Tore sein soll, sondern stellvertretend als Begriff "Stadttor" sogar mit Fallgitter dargestellt ist, wie auch die beiden Türme auf der Mauer keinesfalls Lübener Türme sind! Aber nun haben die beiden Heiligen ein "Attribut" in der Hand. Attribute, das sind zugefügte Kennzeichen ihrer Person, aus ihrer Lebens- oder Leidensgeschichte hergeleitet, wie etwa der Kelch, der Turm, das Rad, das Schwert, die Zange usw. Heilige ohne Attribute gibt es eigentlich nicht, - eine Ausnahme ist die Mutter Maria etwa. Und was in unserem Falle wichtig ist: Die linke Heilige stützt nicht mehr mit ihrer Hand den schrägstehenden (in der Heraldik sagt man "gelehnten") Schild im Stadttor. Heilige Gestalten werden nicht die städtischen, das will heißen: die irdischen Dinge stützend, also ihnen dienend dargestellt, man ordnet sie über, indem sie etwa das irdische Leben beschützend gezeigt werden, - und Stadttor und Turm sind Symbole der irdischen Macht!

Die Stadtmauer zeigt im neuen Wappen nur geringe Veränderungen. So sind die Zinnen, die Zeichen der Wehrhaftigkeit sind, dem Original entsprechend größer gegeben, und das Tor ist nicht mehr spitzbogig, sondern es trägt den Segmentbogen, einen flachen Bogen, der späten Barockzeit. Die Türme, deren Traufrand auch Zinnen trägt, sind aus Kompositionsgründen nun kleiner, - sie sind auch nicht so wichtig wie die darüber thronende Maria. Hierbei ist es interessant, festzustellen, daß der Stukkateur, der dieses Bild am Rathaus anbrachte, für das Tor selber mit seinem flachen Bogen den Zeitstil wählte, zugleich aber das längst nicht mehr übliche Fallgitter beibehielt. Besonders verändert ist nun der Thron der Maria. Maria sitzt nicht auf einem hier nicht sichtbaren Stuhl oder Sessel, sondern, da sie mit der Krone auf dem Haupt als Königin dargestellt ist, auf einem Thron. Und die beiden bisher mit Kerzen gezeigten Leuchter sind in Wirklichkeit die Pfosten ihres Thrones! In dieser Form ist sie früher immer dargestellt worden. In vorgotischer Zeit, als Christus nicht als der Geschundene, Leidende aufgefaßt wurde, als er der König mit der Krone auf dem Haupte auch noch am Kreuze war, da war Maria die Himmelskönigin. So zeigt sie ein Passionale des Klosters Zwiefalten vor 1160, mit Krone und Zepter - vielleicht hat sie in Lüben einst auch ein Zepter in der Hand gehalten? Sie sitzt hier also auf einem Thron, und zeigt die hohen Eckpfosten, wie sie einst üblich waren, dahinter die rundbogige Lehne. Hierzu sagt Saurma 1870 (in seinem Wappenbuch der schlesischen Städte), daß Maria "auf einer durch ihre in zwei hohe Kreuzstäbe auslaufende Lehne auffallenden Bank" sitzt, wobei festzustellen ist, daß Saurma die Art des Thrones doch durchaus richtig erkannt hat. Unser Lübener Stukkateur hat diese Thronform nicht mehr richtig gedeutet, aber die beiden Kreuzstäbe hat er richtig beibehalten - und hier tragen die Pfosten Kreuze, in Zwiefalten sind es Eicheln! Als schlesisches Beispiel für diese Thronform kann das Relief des David Bersabe-Tympanons von Kloster Trebnitz. (um 1230) genannt werden und das Gnadenbild von Wartha.

Ein Wort ist noch zu den drei Adlern zu sagen: Da ist der wichtigste jener auf dem Schilde im Stadttor. Er stellt offenbar den schlesischen dar. Die beiden seitlich der Mauertürme dürften wohl die preußischen sein, Symbol, der damaligen "neuen" Zeit. Dieser Umstand läßt vermuten, daß sie - so in die Ecke gedrückt - Zutaten des 18. Jahrhunderts sind. Eine frühere Zeit hätte nach den Gesetzen der Heraldik die Fläche neben Maria und den Türmen wohl anders aufgeteilt.

Alle diese bisher behandelten Fragen machen (aus dem Lichtbild entnommen) in ihrer Deutung keine Schwierigkeiten, diese entstehen aber, wenn wir die beiden Heiligen am Stadttor auf ihre Person hin deuten wollen. Und in der Tat: Wer sind diese beiden Uralten? Sie halten je einen Kelch in der einen Hand, wie es Saurma angibt, - aber: es gibt nur eine einzige Heilige, die einen Kelch als Attribut hat! Saurma sagt: "Es sollen Barbara und St. Anna sein." Daß St. Barbara mit dem Kelch dargestellt wird, ist richtig. Sie wurde in Schlesien allerdings häufig mit einem Turm dargestellt, und in katholischen Gegenden Schlesiens war jener Spruch bekannt:
"Barbara mit dam Termla,
Margarete mit dam Wermla,
Katharina mit dam Radla,
Doas sein drei schiene Madla."
Barbara mit dem Turm, Margarete mit dem Wurm (dem Drachen), Katharina mit dem Rad, - und hier trägt Barbara den Kelch! Nun ist für Lüben die heilige Barbara - einst - eine wichtige Heilige gewesen. In unserer evangelischen Kirche war sie vor der Reformation fünfmal auf Altären zu finden, die Tuchmacherstadt Lüben verehrte sie sehr (sie ist ja die Heilige der technischen Berufe, der Bergleute, der Mineure, auch der Artilleristen und eben der Tuchmacher) und baute 1447 vor dem Glogauer Tor das Barbarahospital mit der Barbarakapelle. Aber die andere Heilige? Nun: die heilige Anna, die Saurma nennt, kommt nicht in Frage, denn sie ist doch die Anna "Selbdritt", die als dritte mit Maria und dem Jesuskind dargestellt wird. Ohne diese beiden ist sie als Einzelgestalt an ihrem alten Gesicht zu erkennen und an ihrer Haltung als betagte Frau, aber mit einem Kelch ist sie nicht bekannt.

Nun hatte ich es bei meiner Darlegung 1955 für möglich gehalten, daß diese zweite Heilige die Agnes ist. Anlaß zu dieser Vermutung war der Streit um einen Altar in der evangelischen Kirche zwischen dem Bischof und dem städtischen Patronat. Dieser Altar war 1395 gestiftet worden, und bis 1518, also bis kurz vor die Zeit der Reformation, hatte die Stadt gerungen, bis ihr Wunsch, das Patronat über diesen Altar zu erhalten (was als ein Gewinn der Stadt Lüben an Ansehen zu werten ist), erfüllt wurde. Aber das Attribut der Agnes ist das Lamm, und dieses zeigt unsere zweite Heilige nicht. So bleibt in heutiger Sicht, wo Unterlagen fehlen, nur noch die Vermutung (die sich von der formalen Seite des Attributs herleitet), daß es sich hier nicht um einen Kelch handelt, auch wenn das Foto ihn zeigt, sondern um ein sehr ähnliches Gefäß, nämlich um eine Büchse, eine Salbbüchse, und diese ist das Attribut der heiligen Maria Magdalena. Der Stukkateur von 1768 hätte dann die Gefäßform verwechselt! Dieser Kunsthandwerker in preußischer Zeit hätte dann in der damals fast rein protestantischen Stadt Lüben mit dem Attribut der katholischen Heiligen nicht genug Bescheid gewußt, - und das ist immerhin möglich. Das ist zwar keine sehr befriedigende Lösung dieser Frage, die ich hier bringe, aber sie hat die Wahrscheinlichkeit insofern für sich, als (nach Kloses Chronik von Lüben) vor 1500 die heilige Maria Magdalena dreimal öffentlich dargestellt nachgewiesen werden kann. Damit ist es vorläufig so, daß wir die zwei Frauen als Barbara und Magdalena ansehen müssen.

Nun ist noch ein Wort zu der künstlerischen Fassung des Lübener Wappens am Rathaus zu sagen: Nach dem Brande des Rathauses im Jahre 1757 war es 1768 endlich geschafft worden, daß man es bis zum 9. November wiederaufgebaut hatte. Dabei hatte man auf der Südseite über den drei mittleren der neun Fenster breiten Front, die man als Trakt etwas vorgezogen hatte, über der Traufenkante einen griechischen Dreiecksgiebel aufgesetzt, breit und flach, wie es damals üblich war und wie ihn auch die Hauptfront der Ritterakademie zu Liegnitz etwa zeigt. Derartige Dreiecksgiebel trug das Lübener Rathaus auch in verkleinerter Form auf der Ost- und Westseite, mit kleinen Ovalfenstern, sogenannten Ochsenaugen, in der Mitte der Fläche. Hier auf der Südseite aber, der Hauptfront des Rathauses, das auf der Nordseite damals noch völlig mit Bürgerhäusern verbaut war, hier konnte und mußte man mehr unterbringen, sogar etwas Besonderes. Nun waren am vorigen abgebrannten Bau das Fürstlich Liegnitzische Wappen irgendwo an der Außenwand angebracht gewesen - und "das kleine Stadtwappen", die beide bei dem Brand zerstört worden waren. Dieses "kleine" Stadtwappen ist sehr wahrscheinlich das Madonnenadler-Wappen, das also bis 1757 öffentlich dort zu sehen war. So ist es folgerichtig, wenn man 1768 darauf kam, auch hier wieder ein Wappen anzubringen. Das Fürstlich Liegnitzische Wappen war nicht mehr gültig in der preußischen Zeit, aber das Lübener Wappen gehörte dorthin. Und da nahm man das Stadtmauer-Wappen, das nun gültige, das uns bekannte.

Diese Tatsache ist übrigens ein Beweis dafür, daß das Madonnenadler-Wappen, das 1820 durch das Stadtmauer-Wappen abgelöst wurde, schon 1768 nicht mehr Bedeutung hatte. Das oben eingefügte Lichtbild zeigt, wie es im Giebel eingesetzt war. Dieses Wappen ist uns Lübenern aber nicht nur von historischen und heraldischen Gesichtspunkten her bedeutsam, es ist auch von durchaus künstlerischem Wert, und es ist eines der wenigen Beispiele für das Rokoko in Lüben. Bei seiner Einordnung in die breite Dreiecksfläche hatte der Stukkateur einige Veränderungen vorzunehmen, - er konnte nicht nur das vorhandene Wappenbild wiederholen. So hat er als Umrandung für das Bild nicht den sonst üblichen Schild gegeben, sondern er hat als Umgrenzung den Kreis gewählt, der groß und ruhig die Feldmitte einnimmt. Hierbei hat er auch im Innern kleine Abwandlungen vorgenommen, - er hat das Tor verändert und die Heiligen höhergestellt. Das aber hat er nicht immer ganz geschickt gemacht, - so stehen die zwei heiligen Frauen etwas steif neben dem Stadttor. Von Rokoko ist an ihnen wenig zu merken, vielleicht sind sie auch etwas kurz ausgefallen.

Als Ausgleich dafür hat er aber außerhalb des Bildes Ausgezeichnetes geleistet, indem er die Spitzfelder seitlich mit phantastischem, wunderbar gezeichnetem Rankenwerk ausfüllte. Die Zentren dieser Rankenformen bilden je ein Drachentier, mit ausdrucksvollem Kopf, auf langem, geschwungenem Halse, mir vorgehaltenen löwenmäßigen Pranken und Flügeln. Diese Drachentiere haben z. T. Greifencharakter, sie sind dreibeinig (das vierte Bein ist wohl verdeckt) und ein mächtiger Schwanz windet sich der Ecke des Feldes zu. In kühnen Schnörkeln dreht er sich, und das Ganze ist von prächtiger zeichnerischer Feinheit und Fülle der Erfindung. Vielleicht ist es nach irgendeinem zeitgenössischen Schnörkel andernorts nachgebildet, es ist wohl auch von anderem Stil als das übrige Wappen, - oder stammen Bild und Drachenszenen gar von zwei verschiedenen Händen? Von Meister und Geselle?

Hier taucht die Frage auf, wer dieses Stuckrelief gearbeitet hat. Nun, diese Frage kann nicht beantwortet werden, aber es darf gesagt werden, daß der Verfertiger nicht ein Lübener war. Die kleine Stadt Lüben besaß damals nicht derartig fähige Kunsthandwerker, - sie hätte sie nicht ernähren können. Man darf annehmen, daß der Künstler aus dem nahen Liegnitz kam, das schon immer seine umgebende Landschaft künstlerisch versorgt hatte und über genügend Kunsthandwerker verfügte. Dort war ja in Rokoko viel gebaut worden, - und schon zuvor hatte es in der Front des "Wachtelkorb"-Hauses und im Innern der Piastengruft Beispiele von einigem kulturellen Anspruch. Es wäre freilich auch möglich, daß der Erbauer des Rathauses den Stukkateur mitgebracht hat. Dieser Erbauer aber ist der Ober-Baudirektor Hedemann, der zwanzig Jahre zuvor das Rathaus in Hirschberg erbaut hat, - das dem Lübener als Vorbild diente. Dessen kühne, ausgewogene Form erreichte es freilich nicht. Weitere dreizehn Jahre später, im Jahre 1781, wird dann das Württembergische Palais erbaut, mit noch wesentlich größeren künstlerischen Ansprüchen. Und diesen waren die örtlichen Kräfte schon gar nicht gewachsen. Uns aber bleibt diese Frage, welches Wappen wohl jetzt dort oben den Dreiecksgiebel füllen wird!

Theo Dames, 1962

Literatur
Konrad Klose: Geschichte der Stadt Lüben, Druck und Verlag Paul Kühn. Stadtbuchdruckerei Lüben, nach Kloses Tod 1924 herausgegeben
Alfons Teuber: Schlesische Bilderbibel, Verlag Kirchliche Hilfsstelle München, 1949
Historische Kommission für Schlesien: Geschichte Schlesiens, Brentano-Verlag, Stuttgart, 1961
"Liegnitzer Heimatbrief - Lübener Heimatblatt" Nr. 8 vom 25. April 1955

Quelle: Lübener Heimatblatt 8/1955, 24/1959, 17/18/1962