Ein Gang durch die Stadt
Oskar Hinke, 1928
Aus "Führer durch die Lübener Landschaft", herausgegeben von der Ortsgruppe Lüben des Riesengebirgsvereins, 1931.
Oskar Hinke war seit 1907 Lehrer, später Konrektor an der Volksschule Lüben. Im Ruhestand betätigte er sich u. a. im Lübener Riesengebirgsverein und schrieb für den "Führer durch die Lübener Landschaft" mehrere Artikel. Siegfried Klose, Sohn von Konrad Klose und Herausgeber der Lüben-Chronik, dankte ihm 1924 im Vorwort für seine "unermüdliche und freudige Unterstützung" der Arbeit an dem Buch. Oskar Hinke starb 1928 noch vor der Herausgabe des Büchleins des Riesengebirgsvereins. Auf der Titelseite wurde seiner gedacht.
Vom Bahnhof aus führt die mit Linden bepflanzte Bahnhofstraße an der Piano-Mechanikfabrik der Aktiengesellschaft Langer & Co. und in ihrer Biegung nach der Stadt zu am Denkmal der Bredow-Dragoner, am Kriegerdenkmal von 1870/71, an der Gasanstalt und Post vorüber. Bei der Apotheke mündet die Straße in den Ring ein, der sich im Wandel der Zeiten sehr verändert hat. Vor 40 bis 50 Jahren sah der Markt mit seinen Häuserreihen recht altväterisch aus. An blurnengeschmückte Balkons und an mit der Großstadt wetteifernde Schaufenster war nicht zu denken. Zwei Gebäude haben hier allem "umstürzlerischen", Walten widerstanden. Das eine ist das Rathaus, ein einfacher, nach dem Brande 1757 errichteter Bau, das über dem Portale auf der Eingangsseite das Stadtwappen in bunter Ausführung zeigt. Das alte Rathaus, das im Stadtbrand 1757 zu Grunde ging, stammte aus dem Jahre 1515 und war wie der größte Teil der anderen Häuser, aus Holz gebaut und wie anderwärts von den öffentlichen Verkaufsstätten, den Bänken, umgeben.
Dies alte Rathaus enthielt im Erdgeschoss die Salzkammern und später die Branntweinstube, im ersten Stock die Ratszimmer, im zweiten die Rüstkammer. In einem Anbau befanden sich die Brot- und Schuhbänke. Der obere Stock enthielt den großen Saal für die Versammlungen der Bürgerschaft und die Schöppenstube. Auf der hölzernen Galerie, die unter dem vorspringenden Dache des Rathauses entlanglief, musizierten bei Freudenfesten und Jahrmärkten die Kunstpfeifer. In einem dritten Anbau am Rathause war die Stadtwaage untergebracht und darüber lag eine andere Schöppenstube, darunter der Ratskeller. Im Rathausturme lagen verschiedene der damaligen Raubritter gefangen. So meldet eine Urkunde, dass von 1429-30 in eisernen Ketten und Banden "mit Halse, Händen und Füßen verschlossen" Petrasch von Rabenau wegen Raubes und Beschädigungen, im Lande des Fürsten Ruprecht begangen, gefangen lag.
Das zweite alte Gebäude am Ring ist das Hotel "Zum Grünen Baum", mit seinem charakteristischen Säulenvorbau an die Lauben anderer schlesischer Städte erinnernd. Der frühere Besitzer des Hotels, Samuel Hahn, hat diese Laube 1733 über vier Pfeiler massiv wölben lassen; sonst war der Ring von hölzernen Lauben umgeben, die an der Baumseite - die Frauenlauben hießen. An der Ostseite lagen die Fleischlauben, unter denen die 28 Fleischbänke standen; an diese schlossen sich die Gewandlauben an und an diese, zwischen den beiden Glogauer Straßen gelegen, die Kornlauben. Noch manches andere Haus mit seiner Fassade fällt uns am Markte auf, wie auch die Sandsteinverzierungen am Portale des F. Schumannschen Hauses in der Niederglogauer Straße auf ein hohes Alter schließen lassen und die Front des dem Droschkenbesitzer Weiß gehörigen Hauses die Bildnisse der deutschen Kaiser Maximilian und Ferdinand I. zeigt. Des öfteren soll ja auch dieses Haus eine Gaststätte für durchreisende Fürstlichkeiten gewesen sein. In der Oberglogauer Straße zeigt das dem Kaufmann Uhlich gehörige Haus an seiner Seitenfront die viel sagende Inschrift: "Anno 1726 den 15. Juni ist der Anfang des Baues in diesem Hause gemacht worden, da ward der Scheffel Korn gekauft vor 4 Thaler 12 Sgr. Den 24. Juni dieses 1727. Jahres ist der Bau dieses Hauses dem sei Dank ohn alles Unglück geendet worden. - Bis hierher hat der HERR geholfen".
Weit über die Stadt hinweg schaut der mächtige Turm der evangelischen Kirche. Er ist in die alte Stadtmauer hineingebaut und war der Wartturm der ehemals befestigten Stadt. Die mit ihm durch einen Torbogen verbundene Kirche birgt wertvolle Kunst- und Altertumsschätze, z. B. einige Klappaltäre und Sakramentshäuschen. Die Kirche selbst hat manche Wandlungen durchgemacht: 1369 geschah ihr erster Umbau, ihre gegenwärtige Gestalt erhielt sie am Ende des 15. Jahrhunderts. Die genannten Klappaltäre sind die Reste der 17 Altäre, die in vorreformatorischer Zeit vorhanden waren. Sie wurden 1899 bis 1902 renoviert und sind Kunstdenkmäler ersten Ranges aus der Zeit der Frührenaissance. Die Kirche war von einem Kirchhof, dem jetzigen Kirchplatz, umgeben, der bis ins 14. Jahrhundert als Begräbnisplatz diente.
Wo die Promenade in die Liegnitzer Straße mündet, steht auf dem früheren Weisegarten, einem mit Rosen bepflanzten Platze, die neue katholische Kirche, in der das hölzerne Altarbild, ein Kunstwerk der Warmbrunner Holzschnitzschule, sehenswert ist. In der Schloßstraße liegt das alte katholische Kirchlein, das 1349 vom Piastenherzog Ludwig I. als Schloßkapelle zu Ehren der heiligen Hedwig und Magdalena erbaut wurde und bis Ende 1908 kirchlichen Zwecken diente. Das danebenliegende alte Herzogsschloß ward im Dreißigjährigen Kriege zusammengeschossen und brannte 1757 ab. Nach seiner Wiederherstellung ward es zum Amtshaus für die Mallmitzer Domäne. Es ist selten herzogliche Residenz gewesen. Ludwig I. und sein Sohn Heinrich haben dort gewohnt, später Katharina von Glogau, das Fräulein von Lüben genannt, und zuletzt die Herzoginwitwe Anna von Brieg, die von 1521 - 1550 hier ihren Witwensitz hatte.
Wie auf dem Ring hat das Stadtbild auch sonst ein anderes Gesicht erhalten. Die ehemals um die Stadtmauer führenden Wallgräben sind längst zugeschüttet, die die Schuljugend zu fröhlichen Spielen reizten, und auf dem Wall - gegenüber der Stadtbrauerei, jetzt Hoffmanns Getreidegeschäft - steht jetzt das Postamt, das 1887 bezogen wurde. Das frühere Postgebäude befand sich auf der Hindenburgstraße im jetzigen Hause der Frau Zschau. Dem unmittelbar ans Postamt angrenzenden großen Wohngebäude sieht man es nicht an, dass auf seinem Platze früher das Stockhaus stand, das außer sechs Gefängniszellen noch einen Keller enthielt, in dem die hochnotpeinliche Tortur an manchem Gefangenen vorgenommen wurde. An der Schulpromenade lag, bis man das Gymnasialgebäude errichtete, ein alter Kirchhof, der, in den letzten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts angelegt, bis 1878 Beerdigungszwecken diente. Die auf ihm stehende Begräbniskapelle wurde vermutlich von den Hussiten eingeäschert und als Kirche zu Allerheiligen wieder hergestellt. Dem Gymnasium gegenüber steht in dem der Stadt gehörigen Garten in der Nähe des von Efeu umrankten Mauerturmes ein Pavillon, der einst inmitten des Lagers der französischen 39. Division, die vom 11. Juni bis 15. August 1813 bei Lüben kampierte, stand und vom Divisionskommandeur Marchand bewohnt wurde. Der spätere Wirt des "Grünen Baums", Jüngling, hat ihn dann in den ihm gehörenden Garten versetzen lassen.
Auf der Breiten Straße steht neben dem Pulverturm - dem früheren Glogauer Torturm -, in dem jetzt, wie ein Veilchen im Verborgenen, das Altertumsmuseums untergebracht ist, das neue Amtsgerichtsgebäude.
Die früher Gugsche Schmiede hat ihm weichen müssen. Neben dem Amtsgericht sieht man das Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Hier sucht man das von Efeu umsponnene Häuschen vergeblich, wie es noch in der Erinnerung der älteren Lübener und derjenigen, die unser Städtchen kannten, lebt. Das Kriegerdenkmal, das Anfang der siebziger Jahre errichtet wurde, steht neben der städtischen Gasanstalt, die vor einigen Jahren, um den gesteigerten Ansprüchen gerecht zu werden, durch einen neuen Gasometer vergrößert wurde. Die Weidengasse ist nicht mehr; dort hat man eine neue Straße angelegt, die dem verstorbenen Bürgermeister Faulhaber zu Ehren Faulhaberstraße benannt wurde. An ihr stehen schöne Ein- und Mehrfamilienhäuser. Die von der Bahnhofstraße ausgehende Faulhaberstraße mündet in die Hann von Weyhernstraße, die ihren Namen nach dem verstorbenen Ehrenbürger Lübens führt. Neben dem "Hotel zum Löwen" in der Hindenburgstraße erblicken wir ein Gebäude, das zwar nicht als ein öffentliches anzusehen ist, dafür aber einer gewissen historischen Bedeutung nicht entbehrt. Es trägt, weithin sichtbar, an seiner Stirn das Wappen des Königs von Württemberg. In ihm wurde, während sein Vater hier als Generalmajor in preußischen Diensten stand, am 21. September 1781 der vormalige König von Württemberg geboren. Jetzt beherbergt das Grundstück das Hübnersche Bau-und Sägewerk. Gegenüber dem "Löwen" befindet sich das Kreisständehaus und ihm schräg gegenüber kannte man früher einen Platz, auf dem mancher Rekrut saure Schweißtropfen vergossen haben mag, den so genannten kleinen Reitplatz; ihn ziert jetzt das vornehm erbaute Landratswohnhaus.
Nach der Kaserne zu führt die Kasernenstraße zur großen Kaserne und in der Bredowstraße nach dem neuen Militärlazarett. Die Kasernenstraße erinnert mit ihrem früheren Namen "Kreuzhofstraße" an den Kreuzhof, der um 1899 an der Stelle des heutigen Gerichtsgefängnisses stand und eine uralte Niederlassung der Kreuzherren war.
Der Orden zum heiligen Geist war im 12. Jahrhundert entstanden, die Ordensbrüder, Brüder vom Heiligen Geist, trugen auf der linken Seite ihres schwarzen Ordensgewandes ein doppeltes weißes, zwölfspitziges Kreuz und wurden darum vielfach Kreuzherren, Kreuziger, genannt, ihre Niederlassungen Kreuzhöfe. Sie unterhielten in Lüben wie anderwärts ein Hospital, verbunden mit einer Herberge für Fremde. Das Hospital ward das reiche Spital genannt; zu ihm gehörte ein Vorwerk, das nach dem Eingehen des Klosters in städtischen Besitz überging. Die Ländereien wurden dabei in "Löser" geteilt und verpachtet, worauf wohl der Name "Kreuzlöser", der noch heute für einzelne Ackerstücke gebräuchlich, zurückzuführen ist. Zum Spital gehörte die Hospitalmühle, auch Arme-Leute-Mühle genannt, die jetzt der Heil- und Pflegeanstalt gehört. Der letzte Propst, der im Kreuzhof gebot, war im Jahr 1525 Tielemann. Kulturgeschichtlich ist der Kreuzhof in Lüben bedeutungsvoll geworden. Hier entstand eins der wichtigsten schlesischen Kunstdenkmäler des 14. Jahrhunderts, die älteste Darstellung des Lebens der Heiligen Hedwig mit deutschem Text und 61 Bildern. Ihr Verfasser ist Nikolaus von Preußen. Im Jahre 1353 verfasste er das Werk, und zwar "außerhalb der Stadt Lüben". In Frage kann nur der Kreuzhof kommen. Herzog Ludwig I. hat die Veranlassung zu diesem Werk gegeben; er besaß starken Familiensinn und suchte das Gedächtnis seiner edlen Ehefrau auf alle Weise lebendig zu erhalten. Die vom Garnisonlazarett an der Scheikeschen Gärtnerei vorbeiführende Kirchhofstraße weist seit 1927 zwei stattliche neue moderne Bauten auf: das städtische Altersheim und daneben stehend das vom vaterländischen Frauenverein gegründete "Augustaheim".
Die tief gelegenen Wiesen zwischen der Kaserne und der Wasserpromenade waren ursprünglich Fischteiche. Die Verlängerung der Bredowstraße ist in geradliniger Richtung nach der Hindenburgstraße vorgenommen worden und führt auf dieser nach dem Kommunalfriedhof und davor links abbiegend an einer Neusiedlung vorbei zu der in gärtnerischen Anlagen eingebetteten Heil-und Pflegeanstalt, der größten Schlesiens. Nichts deutet auf die schweren Leiden hin, die hinter den Mauern der villenartigen Gebäude sich bergen. Das schmucke Kirchlein, das man dem Eingang gegenüber bemerkt, steht auf dem so genannten Kavalierberg, dem früheren, von den Kreuzherren angelegten Kalvarienberg, der, bevor das Kirchlein entstand, von den Lübenern gern besucht wurde, um in der Baude bei Mutter Kühn den Kaffee genießen zu können.
Von der Breiten Straße nach den Schießhausanlagen und dem Turnplatz führt die Schützenstraße am Schießhaus vorbei, das schon um 1530 erwähnt wird. Es war gemeinsamer Besitz von Stadt und Schützengilde und wurde 1687 erweitert. 1850 schuf die Gilde die gärtnerischen Anlagen, und 1867 ging das Schießhaus in Privatbesitz über. Seit 1921 ist der Schießstand hinter das Wasserwerk verlegt und dort von der Schützengilde ein neuer Schießstand angelegt worden. Hinter den Schießhausanlagen und dem Turnplatz befindet sich der Schillerpark, der als Denkwürdigkeit die Schillerlinde, die Jahneiche und einen mächtigen Findling birgt, der vom Verschönerungsverein von der Mallmitzer Flur hierher befördert wurde. Bei einem Rundblick vom Schillerberg aus sieht man die Irrenanstalt in ihrer ganzen Ausdehnung und den Wasserturm mit dem darunter liegenden Wasserwerk, das die Stadt selbst in dem heißen Sommer 1911 mit Nass in reichem Maße versorgte. Am Wasserwerk ist eine Neusiedlung von einer kleinen Anzahl Ein- und Zweifamilienhäusern entstanden, die den Namen "Neu-Lüben" führt. Von der Kotzenauer Straße führt die neu angelegte Benjamin-Schmolck-Straße an neueren Einfamilienhäusern vorüber zur Güterstraße und dem Deumertschen Sägewerk.
An den Schillerpark anstoßend und hinter der großen Kaserne liegen die von der Stadt eingerichteten Schrebergärten, zu denen 1920 noch neue an der neu angelegten Bredowstraße gekommen sind. Dass die frühere alte Umwallung abgetragen und Promenade daraus geschaffen wurde, ist schon erwähnt; die Schulpromenade und der Rosengarten an der katholischen Kirche sind an Stelle der alten Wälle getreten. Die von der Liegnitzer Straße ausgehende Windmühlenstraße weist zurzeit schon fünf Ein- und Mehrfamilienhäuser auf. Neben der Schulpromenade, an der das neue Feuerwehrdepot steht, haben wir noch die Schloß- und die Wasserpromenade. An der letzteren sind 1920 die Regulierungsarbeiten an der Kalten Bach, die bei Hochwasser immer Schaden anrichtete, beendet worden und geben der Wasserpromenade nun ein verändertes, schöneres Aussehen. Die Wasserpromenade kreuzt auch die als Notstandsarbeit von der Kaserne aus angelegte Dragonerstraße, an der auch neue Häuser entstanden sind.