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Am 12. Februar 1945 wird meiner Großmutter und ihren Angehörigen vom "Oberbürgermeister der Reichsmessestadt Leipzig" dieser Flüchtlingsausweis ausgestellt. Es wird mitgeteilt, dass "gegen Überlassung eines Privatquartiers keine Bedenken bestehen."
Auf der Rückseite vermerkt das "Amt für Familienunterhalt", dass die Flüchtlinge 250 Reichsmark "Vorschuß" erhalten haben, außerdem 1 Liege, 1 Kasserol, 1 Waschschüssel. Von der Bezugsscheinstelle des Wirtschaftsamtes wird die Ausstellung eines Bezugsscheins für 1 P. Schuhe festgehalten. Die traurige Grundausstattung einer Flüchtlingsfamilie im Februar 1945.
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Die beiden Fotos müssen in den ersten Tagen des Friedens 1945 aufgenommen worden sein. Es ist Frühling. Im Hintergrund die Hannoversche Straße Nr. 27 in Leipzig, wo wir Quartier bekommen hatten. |
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Wie modebewusst war meine Mutter auf allen Bildern, die es aus Lüben gibt, zurechtgemacht gewesen! Und hier tragen Großmutter und sie offensichtlich gespendete Kleidung: Großmutter ein warmes Wollkleid, Mutter eine alte Trainingshose und einen viel zu kleinen Wollpullover. Nur Tante Hilde hat einen Wintermantel an. Ich bin wohlgenährt. Meine Schwester Gabi liegt ein paar Schritte von der Gruppe entfernt im Kinderwagen neben dem Hauseingang. |
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Was mir an dieser Registrierungskarte der US-Besatzungsbehörde vom 23. Mai 1945 - unterzeichnet von Staff Sergeant John J. Paccione - besonders auffällt, ist das Verbot, sich aus Taucha zu entfernen. Für Zuwiderhandlungen wird sogar Arrest angedroht. Ist das eine weitere Erklärung dafür, weshalb Großmutter und Mutter trotz ihrer Angst vor den Russen in Sachsen blieben? Oder blieben sie dort in Erwartung ihrer Männer, die nur die Tauchaer Anschrift kannten? Oder waren sie einfach zu müde und erschöpft vom alltäglichen Kampf ums Überleben, um noch einmal weiterzuziehen?
Seit der Flucht aus Lüben und dem Ende des Krieges hatte Mutter nichts mehr von ihrem Kampfflieger, unserem Vater, gehört. Ob er (vom Himmel) gefallen oder anderweitig ums Leben gekommen war, ob er in Gefangenschaft war - keiner wusste es. Mutter verzehrte sich nach ihm und trug die ganze Last der Sorge für die beiden Kinder in der schweren Nachkriegszeit allein. Eines Tages im Februar 1947 erhielt sie eine Nachricht aus Viersen. Aber ganz anders als erhofft oder befürchtet:
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Wenn auch Mutter jahrelang nicht wahrhaben wollte, was das hieß, waren damit die Weichen für ihr und unser Leben gestellt. Sie würde allein bleiben und ihre Kinder würden ohne Vater aufwachsen. Die politische Situation zwischen den Besatzungsmächten und später den beiden deutschen Staaten trug ein übriges dazu bei, dass der Theateransager nicht wenigstens zu Unterhaltszahlungen verpflichtet wurde. |
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