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Schulzeit in Brauchitschdorf
Zu Ostern 1930 kam ich in die Schule, und damit begann, wie meine Mutter immer sagte, der Ernst des Lebens. Er begann allerdings nicht so aufwendig wie heute, denn die ganze Ausrüstung bestand aus einer Schiefertafel, an der Lappen und Schwämmchen hingen, zwei Griffeln, einer Schachtel Malkreide und einem Lesebuch, in dem in Sütterlin-Schrift nur einzelne Worte in Silbentrennung standen. Bis man einigermaßen lesen konnte, vergingen bei dieser Methode gut zwei Jahre, wobei man Zeitungen und Bücher, die damals überwiegend in Fraktur gesetzt waren, kaum flüssig lesen konnte. Die Schule war zweiklassig, d. h. es waren immer vier Jahrgänge in einer Klasse zusammengefaßt. An die erste Hausaufgabe kann ich mich noch erinnern, es waren Ostereier zu malen, und sie schien mir sehr schwer. Der Lehrer war Herr Scholze, ein noch jüngerer, immer ernster Mann, der, mit einem gleichbleibenden ruhigen Temperament ausgestattet, den Unterricht mit sachlicher Strenge gestaltete. Prügel waren damals ein durchaus gebräuchlicher Teil der Kindererziehung. Lehrer Scholze jedoch schlug wenig. An die ersten beiden Schuljahre habe ich kaum Erinnerungen, wahrscheinlich verliefen sie ziemlich eintönig mit Lesen, Schreiben und Rechnen. Erst danach wurde es anders, teils angenehm, teils weniger schön. Nachdem wir einigermaßen einzelne Wörter und primitive Sätzchen lesen und schreiben konnten, begann die Grammatik, für die ich mich überhaupt nicht erwärmen konnte. Auch im Rechnen wurde es nun erheblich schwieriger und blieb zeit meines Schullebens eine ungeliebte Wissenschaft. Auf der andern Seite begann der Heimatkundeuntenricht, in dem alles zusammengefaßt war, was noch übrig blieb: Geographie, Geschichte, Biologie, natürlich in stark vereinfachter Form.
Lehrer Scholze hatte Talent für seinen Beruf und war nicht zu bequem, seinen Schülern auf abwechslungsreiche Art etwas beizubringen. Nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch auf kurzen Exkursionen in die freie Natur, dazu gehörte auch die Besichtigung des blühenden Tulpenbaumes im Schloßpark. Zwei Höhepunkte waren die Einrichtung eines Sandkastens und eines Eichhörnchen-Käfigs, beides im Klassenzimmer. Im Sandkasten formte der Lehrer die gesamten Sudeten, vom Isergebirge bis zu Waldenburger Bergland, mit allem, was dazwischen lag, dabei mit blauem Pulver die Flüsse markierend. Auch die Oder innerhalb Schlesiens mit den rechten und linken Nebenflüssen, die wir auswendig lernen mußten, wurde einmal in Sand dargestellt. War das jeweilige Thema beendet, wurde der Sandkasten wieder entfernt. Der Eichhörnchen-Käfig, recht geräumig, mit verschiedenen Zweigen, einem hölzernen Kobel und Laufrad ausgestattet, war für uns Kinder ein voller Erfolg, aus der Sicht des Lehrers wohl weniger. Denn der Käfig sollte für längere Zeit im Klassenzimmer bleiben, wir uns aber bei anderen Unterrichtsstoffen nicht von dem Treiben des Eichhorns ablenken lassen. Das war natürlich zuviel verlangt, selbst ein paar Backpfeifen erzwangen keine Aufmerksamkeit, so daß der Käfig bald wieder abgebaut werden mußte.
Das Klassenzimmer lag im ersten Stock. Im Sommer sorgten weit geöffnete Fenster für frische Luft, im Winter strahlte ein großer Kachelofen gemütliche Wärme aus, nasse Schuhe umstanden ihn zum Trocknen, der Mief war oft zum Schneiden dick. Hatte eines der Kinder Erbsen oder Bohnen gegessen, mit entsprechenden Folgen, meldete das der Nachbar, worauf der Übeltäter - das Mißgeschick passierte fast nur den Jungs - eine Weile vor die Tür geschickt wurde. A1s das einmal dem Gotthard Wolf passierte, lautete die Meldung: "Herr Lährer, der Wulfe Gottl hot sich uffgefiehrt." Ich sehe noch den "Gottl" mit feuerroten (weit abstehenden) Ohren das Klassenzimmer verlassen.
Gesang und Turnen hatten wir beim Schulleiter, dem Kantor Kreutziger (er spielte sonntags in der Kirche die Orgel). Hierbei waren mehrere Altersstufen zusammengefaßt, wir saßen im Parterre-Klassenzimmer dicht gedrängt, der Mief war entsprechend dick. Erst lernten wir im Nachsprechen den Text, dann die Melodie, die Kreutziger auf der Geige vorspielte. Er hatte einen harten Strich dabei, denn es ging nicht um Wohlklang, sondern allein um die richtigen Töne. Sang einer falsch, zwängte er sich durch die Reihen, lauschte kurz und sang dann dröhnend die Melodie in das Ohr des Falschtöners. In einem besonders hartnäckigen Fall hielt er dem Jungen die Geige ans Ohr und ratschte ihm den rechten Ton hinein. Vergeblich allerdings, der Junge brummte weiter, was Kreutziger für Böswilligkeit hielt und ihn deshalb mit dem Bogen traktierte. Auch sonst hatte er eine lockere Hand, sie flog nach allen Seiten, wenn sich einer muckste, die Mädchen nicht ausgenommen. In schweren Fällen griff er zur Sente (Rohrstock). Die Jungen bekamen ihre Abreibung auf die Sitzfläche, die kleinen Damen auf die Hand, die Kreutziger mit geübtem Griff am Daumen bereithielt.
Rupprecht Grzimek in LHB 3/2002 |
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Konfirmanden aus Brauchitschdorf (1921)
hintere Reihe von links: Frieda Pilz (1907-1984), Marie Jakob, Ella Scholz, Ernst Engel, Bruno Meirich, Max Zobel, Hermann Zobel
vordere Reihe: Gertrud Tschäpe, Anna Reichert, Frieda Zobel, Erich Schmidtchen, Frieda Zobel, Alfred Hahn, Alfred Hellwig
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Konfirmation in Brauchitschdorf 1932
obere Reihe von links: Kurt Wandrock, Frieda Dehmel, Elsbeth Grosser, Erna Klüm, Hannchen Hahn, Lenchen Hahn, Hilde Röhricht, Fritz Marx
vorn: Paul Feder, Else Kuhlmann, Frau Poelchau, Pastor Poelchau (1866-1938), Hildegard Horn (1918-2004), Otto Lehmann
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Schule Brauchitschdorf mit Kantor Wilhelm Kreutziger und Lehrer Erich Scholze im Jahr 1934
1 Ida Knappe, 2 Emma Knappe, 5 Lisbeth Ressel, 9 Lehrer Erich Scholze, 17 Helmut Pietschmann, 18 Kantor Wilhelm Kreutziger, 26 Anni Ressel, 30 Elfriede Fichtner (* 1925), 32 Inge John.
Ein herzliches Dankeschön an Inge Böhm geb. John, deren Schwiegersohn Matthias Schläpfer das Foto übermittelt hat. Inge Böhm erklärte dazu, dass es in Brauchitschdorf ein Schulhaus mit zwei Schulräumen und zwei Lehrern gab. Der eine unterrichtete die Klassen 1–4, der andere 5–8. Auf diesem und dem folgenden Bild aus dem Jahr 1934 sind zwar alle Schüler abgebildet, jedoch nicht nach den beiden Klassen geordnet. Inzwischen sind weitere Namen mitgeteilt worden. |
Schule Brauchitschdorf mit Kantor Wilhelm Kreutziger und Lehrer Erich Scholze im Jahr 1934
1. Reihe oben von links: Gertrud Kühn, Liesbeth Klüm, Irmgard Hoffmann, Margarete Kühn, Ursel Heinze, Liesbeth Pilz, Gerda Heinze, Erika Weidner
2. Reihe: Heinz Sauer, Heinz Zedler, Walter George, Walter Wandrach, Lehrer Erich Scholze, Kantor Wilhelm Kreutziger, Herbert George, Walter Stephan, Willi Rothert, Helmut Rothert
3. Reihe: Ruth Wandrach, Frieda Marx, Werner Tschäpe, Walli Schmidt (* 1922), Liesbeth Rothert, Liesbeth Kühn, Gertrud Pilz (1925-1962), Helga Reinsch, Liesbeth Nixdorf, Anna Jaschonek (1920-2001), Elfriede Weidner, Ruth Klüm, Ella Scholz
4. Reihe: Manfred Weidner, Hoffmann, Werner Sauer, Liesbeth Rieger, Stephan Else, Gerda Weidner, Ilse Schmidt, Gertrud Jaschonek (†, verw. Krah), Brigitte Reinsch, Meta Marx, Marie Jaschonek (1924-2005), Kurt Weidner, Ernst Tschäpe
5. Reihe: Walter Tschäpe, Heinz Baum, - , Heinz Kühn, Gerhard Scholz, Heinz Rothert, Günter Baum, Hoffmann, Werner Klüm, Walter Weidner, Hoffmann, Helmut Zedler, Herbert Rieger
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Inge John absolvierte ihr Pflichtjahr nach der Schule auf dem Bauernhof der Familie Grosser in Brauchitschdorf.
Danach wurde sie als Haushalthilfe bei der Familie ihres ehemaligen Lehrers Walter Dittrich eingestellt.
Die Familie wohnte in einer Wohnung im Schulhaus. Lehrer Walter Dittrich war im Krieg.
Das Foto von 1941 zeigt links Liesbeth Klüm
(ehemalige Klassenkameradin von Inge John)
und Inge John mit den Töchtern der Lehrerfamilie Hannelore und Marlies Dittrich.
Herzlichen Dank an Inge Böhm geb. John und ihren Schwiegersohn Matthias Schläpfer für weitere Bilder und Informationen. |
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