|
Justin Bieske war zu Beginn des 20. Jahrhunderts der bekannteste Kotzenauer Zahnarzt. Sein Urenkel Daniel Franke bewahrt das Andenken an ihn und seine Familie mit einer umfangreichen Sammlung von Fotos und Dokumenten, die er hiermit der Öffentlichkeit vorstellt.
Justin Bieske wurde am 9. April 1885 in Strzegow (Posen) als Sohn des Rittergutsbesitzers Leo Roman Bieske und dessen Ehefrau Meta geb. Zenkominierska geboren.
|
Justins Vater Leo Roman Bieske (1844-1919)
|
|
Justins Mutter Meta geb. Zenkominierska (1864-1932)
|
Schon als Kind liebte er die Tiere. In frühester Jugend wurde er von seinem Vater im Reiten unterrichtet, und so manches Mal bekam er die "Postilliontasche" umgehängt und wurde zur nächsten Poststelle, 7 km entfernt, geschickt. Dort wurden die Postsachen vom Postmeister in Empfang genommen und angekommene Sachen mitgegeben. |
Nach seiner Einsegnung erhielt er seine Berufsausbildung bei Zahnarzt Dr. Johannes Weickardt in Breslau. Nach beendeter Lehrzeit und einem Techniker-Jahr war er bei Dentist Kaiser in Breslau, danach bei seinen Brüdern Wilhelm und Roman Bieske in Rawitsch und Wollstein und bis November 1909 in Bukarest (Rumänien). Am 1. Januar 1910 ließ er sich mit eigener Praxis in Kotzenau nieder. Zuerst in der Gartenstr. 9 im Haus Manegold. Später verlegte er seine Praxis in die Haynauer Str. 4a (Kaufhaus Krause). |
Eintrag im Adressbuch Breslau 1927 S. 749
|
Zahnarztpraxis Bieske Gartenstr. 9 (Gebäude rechts mit dem Erker)
|
Zahnarztpraxis Bieske Haynauerstr. 4 im Gebäude Kaufhaus Krause
|
Am 23. Juli 1912 heiratete Justin Bieske Elfriede geb. Hübner, die älteste Tochter des Lehrers und Kantors Georg Hübner aus Groß Kotzenau und Seebnitz. Das Hochzeitsbild wurde in dessen Schulgarten aufgenommen. Bekannt sind:
4 Cousine der Braut, 9 Bruder Roman Bieske, 10 Gertrud Hübner, 11 ihr Tischherr, 12 Margarete Margraf geb. Hübner, 13 Martin Margraf, 14 Cousine der Braut, 15 ihr Ehemann, 16 Mariechen Giesel geb. Bieske, 17 Maria Gramsch geb. Gadamer (Großmutter der Braut und Witwe des Forstmeisters Carl August Gramsch), 18 Meta Bieske geb. Zenkominierska, 19 Braut Elfriede geb. Hübner, 20 Bräutigam Justin Bieske, 21 Brautmutter Martha Hübner geb. Gramsch, 22 Brautvater Georg Hübner, 23 Gabriele Bieske (Schwester des Bräutigams)
Justin Bieske (1885-1966) und Elfriede (1889-1977) hatten drei Kinder. Auf diesem Foto von ca. 1920 sind sie zu sehen. Links Tochter Margarete (1913-1958), rechts die beiden Söhne Johannes (1915-2011) und Rudolf (geb. 1917).
Während des 1. Weltkrieges war die Praxis geschlossen. Allerdings arbeitete Justin Bieske jedesmal während seines Fronturlaubs, um allen Verpflichtungen nachkommen zu können und seine Familie zu ernähren. Nach dem Krieg baute er seine Praxis weiter aus und setzte die im Jahre 1911 ins Leben gerufene Schulzahnpflege fort, damals noch keine Selbstverständlichkeit. Aber Justin Bieske setzte sich stets aufopferungsvoll für seine Patienten, insbesondere für die Kinder ein. So hatte er der Volksschule Kotzenau im Jahr 1921 Modelle für den Schulunterricht, darunter ein Modell des menschlichen Körpers, geschenkt. |
|
Tochter Margarete mit Freundin Dora Lehmann 1926
|
Sohn Johannes Bieske 1931
|
Sohn Rudolf Bieske um 1935
|
1929 endlich konnte er sein eigenes Grundstück in der Gartenstraße 1 in Kotzenau erwerben. Im Hof war ein nieversiegender Brunnen, der auch im Neubau seine Verwendung fand, und nach Abbruch des alten Hauses fügte sich sehr bald ein Neubau in das Straßenbild. Durch einige Verzögerungen für die Genehmigung waren inzwischen finanzielle Schwierigkeiten entstanden, aber durch intensive Arbeit, ohne Urlaub und mit größten Einschränkungen, konnte die schwere Zeit überbrückt werden. Mit großem Optimismus und unendlicher Fürsorge für seine Familie erwarb Justin Bieske auch noch das Nachbargrundstück (Bartsch). Leider gibt es davon keine Foto mehr.
Im Jahre 1932 begann der ältere Sohn Johannes seine Berufsausbildung als Dentist in der Praxis seines Vaters. Zum Patientenkreis zählten außer Bürgern der Stadt Kotzenau mit ihren damals ca. 5000 Einwohnern noch ein Dutzend Gemeinden und Siedlungen. Justin Bieske war als tüchtiger Fachmann bekannt und beliebt.
|
Justin Bieske um 1940 in seiner Praxis |
Justin Bieske im Jahrbuch der Zahnheilkunde 1929 |
Familie Bieske, Silberhochzeit 1937 |
Familienfeier 1938
Von links: Henry Bieske (Sohn von Herta und Roman Bieske), Willi Bieske (Bruder von Justin Bieske und Ehemann von Clara Bieske), Justin Bieske, Elfriede Bieske, geb. Hübner (Frau von Justin Bieske), Clara Bieske (Frau von Willi Bieske), Herta Bieske (Frau von Roman Bieske), Günther Bieske (Sohn von Herta und Roman Bieske), Roman Bieske (Ehemann von Herta Bieske)
|
Margaretes Hochzeit am 27.11.1944 in Kotzenau
1 Hanna Dehmel, 2 Eberhard Dehmel, 3 Ursula Bieske geb. Renner, 4 Ernst Alt, 5 Martha Alt, 7 Karl Franke, 9 Gertrud Bernd, geb. Hübner, 10 Hilde Bieske, 11 Elfriede Bieske geb. Hübner, 12 Justin Bieske, 13 Willi Bieske, 14 Clara Bieske, 15 Ruth Halm,
16 Luise Franke, geb. Alt, 17 Martha Hübner (Mutter von Elfriede), 18 Gretel Franke, geb. Bieske, 19 Horst Franke, 20 Christa Dehmel, 21 Georg Hübner, 22 Götz Dehmel, 23 Hannelore Bieske, verh. Barke, 24 Ute Dehmel |
Das Brautpaar. Der Bräutigam kommt direkt von einem Fronteinsatz, bei dem er schwer- verwundet wurde. |
Zwei Monate später begann für alle Schlesier die überstürzte Flucht vor der heranrückenden Front. Der Befehl zur Evakuierung kam in der Regel erst wenige Stunden, bevor es zu spät war. 15jährige Hitlerjungen waren dazu angehalten, jeden, der ohne Befehl der NSDAP flüchtete, zu erschießen. Wir wissen nicht, warum die Familie Bieske dem Evakuie-rungsbefehl keine Folge leistete. Die Familie blieb jedenfalls in Kotzenau. Genau wie auf der Flucht geschahen danach grauenvolle Dinge. Die Bieskes ertrugen alles und überlebten auch diese Zeit.
Da kein deutscher praktischer Arzt am Ort war, mußte Justin Bieske die Betreuung der Zivilbevölkerung übernehmen. Das Haus des letzten deutschen Bürgermeisters von Kotzenau, Arthur Hawranke, neben der Volksschule wurde zum Krankenhaus umfunktioniert. Bald danach mußte er in dem Adam'schen Haus Gartenstr. 3 eine Seuchenstation errichten. In dieser Zeit waren auch Unfälle durch explodierende Minen keine Seltenheit. Viele deutsche Zivilisten und ehemalige Wehrmachtsangehörige, aber auch Familien anderer Nationalitäten mit ihren Kindern erinnerten sich später dankbar der Einsatzbereitschaft und Fürsorge von Justin Bieske für alle seine Patienten.
Alle Hoffnung auf einen Verbleib in der Heimat zerschlug sich jedoch, als die Familie am 9. November 1946 den polnischen Ausweisungsbefehl erhielt. Zwei Jahre nach allen anderen - jedoch unter ähnlich dramatischen Umständen - verließen die letzten Deutschen ihre Heimat und gingen ins Ungewisse. Justin Bieske war zu diesem Zeitpunkt 61, seine Frau Elfriede 57 Jahre alt. Im Treck nach Westen waren auch Elfriedes Eltern, beide fast 80 Jahre alt.
Beinahe unglaublich, dass Justin Bieske im Jahr 1950 - dazu noch im östlichen Teil Deutschlands, in der DDR - noch einmal eine eigene Zahnarztpraxis eröffnete! Bis zu seinem Tod blieb er aktiv und dem Leben, nicht der Vergangenheit zugewandt!
Margarete Franke geb. Bieske starb schon 1958. Sie und ihr Mann hatten fünf Kinder. Die Nachkriegsgeschichte der Bieske-Nachfahren gehört schon nicht mehr zum Thema dieser Website. Es ist jedoch erfreulich, dass sich einer aus der Urenkel-Generation, nämlich Daniel Franke, so sehr für seine Vorfahren interessiert, dass er ihnen hiermit ein Denkmal gesetzt hat.
|
|