Kotzenauer Wappen
Waldlager Kotzenau 1943
Kotzenau














Anfang 2020 wurden auf einer bekannten Auktionsseite Briefe von Hildegard Mattheus aus dem Waldlager Kotzenau (1943) angeboten. Ich war neugierig. Würde ich Neues über die Stadt und ihre Bewohner erfahren? Was war das für ein "Waldlager"? Nachdem ich die Briefe gelesen habe, sind mehr Fragen offen als beantwortet. Was für ein "Waldlager" das war, geht daraus nicht hervor! Wo befand es sich? War es das Zwangsarbeiterlager Raupenau/Kotzenau, über das Karl Littner aus eigener Erfahrung geschrieben hat? War es das RAD Lager? Vieles weist darauf hin, dass es ein Lager mitten im Wald gewesen sein muss, von dem niemand erfahren durfte. Ich weise bei entsprechenden Briefstellen darauf hin.

Dass es sich um ein "Waldlager" handelt, wird nur bei Adressangaben innerhalb des Briefes erwähnt. Zuletzt werden die Empfänger sogar darauf hingewiesen, dass der Name Hildegard Mattheus bzw. die Initialen nicht mehr auf das Kuvert geschrieben werden sollen (dürfen?), sondern nur noch "Block 3 Stube 12". (Die Eltern Emma und Willi Mattheus wohnten in Melaune/Oberlausitz.)

Dies ist der erste Brief, den Hildegard aus dem Lager an ihre Eltern schrieb.

Kotzenau, den 16.3.1943
Meine lieben Eltern und Schwester Charlotte!
Heut bin ich in diesen Verein ein-
getreten. Es ist wie bei den Soldaten.
Jeder hat seinen Spind. Wenn wir
Essen gehen, bekommen wir Essen-
marken. Habe hier viel Bekannte
getroffen. Wie nun alles werden
wird, muß ich erst abwarten. Wieviel
Mädels hier sind, weiß ich noch nicht.
Weiß auch noch nicht, wo meine
Arbeitsstelle sein wird. Ja, liebe Muttel,
dass nun alles anders werden wird,
als wenn ich allein bin, ist mir bewußt.

Liebe Muttel, sende Dir den
Fragebogen über die Abstammung,
bitte fülle mir die fehlenden Stellen
aus. Geburtsurkunde steht nicht mit
in den Urkunden, die ich bereits habe.
Kann Dir noch nicht mitteilen,
wie es mit den Sachen ist. Warte,
bis ich Bescheid geb.
Nun viele liebe Grüße von Eurer
lieben Tochter Hildegard

Dies ist der einzige Brief, den Hildegard noch in dieser Schrift verfasst, die typisch ist für den Übergang von altdeutschen zu lateinischen Buchstaben. Nur wenig später geht sie ganz zu den lateinischen über. Der letzte Brief ist in einer schnörkligen Druckschrift geschrieben.
Sie erwähnt zwar die vielen Bekannten, nennt jedoch nicht einen Namen. Sie nennt es "einen Verein", in den sie "eingetreten" sei, ihre Arbeitsstelle wisse sie noch nicht. Man würde doch annehmen, das sei eine der ersten Informationen am Tag der Anreise gewesen. DARF sie nicht darüber berichten?

Ein Vierteljahr später - eine völlig veränderte Handschrift! Wurden die Mädchen dazu angehalten, ihre Schrift den neuen Verhältnissen anzupassen?

Kotzenau, den 17.7.1943
Meine lieben Eltern und Schwester Lotti!
Ich halte es für meine Pflicht euch zu schreiben,
wie ich jetzt bin angekommen. Bin nicht in
Liegnitz, sondern in Reisicht liegengeblieben.
Nun bin ich es bald gewöhnt mit dieser Reiserei.
Wenn man auch manchmal eine schwere
Nacht hat, so haben [es] die Soldaten noch viel
schwerer. Doch was tut man nicht alles, wenn
man Urlaub hat. Jetzt bin ich noch jung
und frei, später würde ich es bereuen, dass ich die
Jugend unausgenützt verfliegen ließ. Ja,
meine lieben Eltern, heut vor acht Tagen
war ich bei Euch Lieben daheim. Heut um
die Zeit sitz ich hier und schreibe Euch diese
Zeilen. Wir hatten heut bis 16 Uhr von 12 Uhr
Außendienst. Als ich mich gewaschen und
gegessen hatte, hab ich mein Mittagschläfchen
bis 19:30 Uhr [gemacht]. Morgen zum Sonntag sind
nur wenige da. Da ist es auch wieder mal schön.



Auf der folgenden alten Kreiskarte habe ich die Orte eingekreist, auf die sich Hildegard in diesem Brief bezieht: Kotzenau, Reisicht, Liegnitz. Außerdem Raupenau, wo sich das nächste Zwangsarbeiterlager befand.

Aus dem folgenden Brief vom 11.8.1943 zitiere ich nur einiges, was mir wesentlich erscheint.

Hildegard empfiehlt ihren Eltern, die Schwester Lotti als nächstes auf eine Haushaltungsschule zu geben, damit sie selbstständig wird. Sie weist ihre Eltern darauf hin, dass es von seiten der D.A.F. für die Ausbildung der Kinder finanzielle Zuwendungen gäbe. Stolz berichtet sie, dass sie für treue Pflichterfüllung vom Hauptmann eine Prämie von 20 RM erhalten habe, worum sie viele beneidet hätten.

Brief vom 12.9.1943
In der linken oberen Ecke befindet sich noch immer die Spitze eines Heidekrautzweigleins. Hildegard macht ihrer Mutter Vorwürfe, dass sie sich den falschen Mann gewählt hätte und sie ihr nun nicht auch noch einen Mann aufschwatzen solle. Die Mädels seien hier "ganz nett", aber etliche seien schon wegen solcher Sachen von der Polizei abgeholt worden.

Der letzte vorliegende Brief von Hildegard. Ohne Datum. Dass es ein späterer Brief ist, scheint auch die Schrift zu beweisen. Sie hat alle altdeutschen Anklänge verloren. Daneben weist die Schreiberin erstmals darauf hin, dass in der Anschrift nicht mehr ihr Name - nicht mal die Abkürzung H. Ma. benutzt werden dürfe. Warum das wohl? Erst in der Stube wurden dann die Briefe zugeteilt. Der deutlichste Beweis aber, dass dieser Brief zeitlich hier einzuordnen ist, ist die Kritik an ihrer Mutter, die die Trennung von Hildegard und ihrem Freund bedauert... Noch am 12.9. hatte Hildegard behauptet: Du machst Dir mehr Gedanken um einen Mann als ich. Ich habe jetzt keinen Zug zu einem Mann.


Wer hat eine Idee, was für ein "Waldlager Kotzenau" das war? Warum waren offenbar nur Mädchen im Lager? Was machten sie dort? Warum erzählt Hildegard nichts über ihre "Arbeit"? Warum nennt sie keine Namen der ihr angeblich so "gut bekannten Mädel"?

Dieses Video mit dem Titel Waldlager habe ich bei youtube gefunden. Müssen wir uns Hildegards Waldlager so vorstellen?