Botanische Streifzüge durch den Kreis Lüben von Oskar Hinke, 1928
Kreis Lüben














Ackerkamille Balsamine Frauenflachs Fingerkraut Ginster Hartheu Labkraut Leimkraut

Botanische Streifzüge durch den Kreis Lüben
von Oskar Hinke, 1928

Die Flora des Kreises Lüben gilt allgemein als eine ungewöhnlich arme, aber mit Unrecht. Einzig in seiner Art ist der hinter Kaltwasser sich ausbreitende, von Naturfreunden, Botanikern und Insektensammlern viel besuchte Wasserwald. Hochgewachsene Buchen, kraftstrotzende Eichen, an den Rändern Linden, Rotbuchen, Ulmen und Pappeln, tiefbeästete Nadelbäume sind die hervorragenden Bewohner dieses im Frühjahr schwer zu begehenden Waldgebietes.

Wenn draußen auf den moorgründigen Wiesen das Schneeglöckchen geläutet hat, die Pestwurz ihre rötlichen Kelche öffnete und die goldig prangende Blüte des Scharbockskrautes im Sonnenlicht erglüht, dann entwickelt sich tief drinnen im Waldschatten eine Pflanzenwelt, die sonst nirgends im Kreise zu finden ist und einen stark ausgeprägten Vorgebirgscharakter zeigt. Moose bekleiden den Boden um die Baumstämme und deren zu Tage tretende Wurzeln; ihnen entwachsen zahlreiche Farnkräuter. Der Häufigkeit nach folgen dann Seggen, Gräser und Kräuter, letztere oft so hoch, daß sie Schritte und Aussicht hemmen und hindern.

Aus den Lichtungen leuchtet mit seinen pfirsichfarbenen Blüten der giftige Seidelbast oder Kellerhals hervor, und massenhaft schauen die lieblichen blauen Leberblümchen aus dem Grün des Bodens. Später wechseln Hexenkraut, Waldmeister und Knabenkräuter der verschiedensten Art mit dem hier blau-, da weißblühenden Lerchensporn ab, und mancherlei Labkräuter bedecken weite Flächen. In auffallender Menge hat sich hier neben der schmarotzenden Schuppenwurz auch die eigenartig braune, in manchen Gegenden unseres Vaterlandes gänzlich fehlende Vogelnestwurz angesiedelt. Auch das stark riechende Maiglöckchen oder Springauf gedeiht im Wasserwalde in großer Menge. Der Sanikel, der als Heilmittel gegen Husten fleißig gesammelt wird, steht dort reichlich, wie auch die echte Brunnenkresse, ein Kind des Vorgebirges, im Graben der Dominialgärtnerei durch ihr häufiges Auftreten überrascht. Die Einbeere, das Bingelkraut, die Haselwurz, die Waldwicke, das Sumpfblutauge, die Sumpfsternmiere u. a. sind Kinder dieses Waldgebietes.

Unter den krautartigen Gewächsen, die in der schlesischen Ebene entweder als zerstreut oder gar als selten angesprochen werden, weil sie im Gebirge oder doch in anderen Gebieten ihre ursprüngliche Heimat haben, hat der Kreis Lüben noch verschiedene aufzuweisen.

Bezeichnend ist für unsere Gegend das Marienröschen (Melandrium rubrum), das an der Kalten Bach sehr häufig mit der schwarzen und roten Johannisbeere vorkommt. Auf der Triebelwiese, seitwärts der Lübener Heilanstalt, trifft man die stattliche Meisterwurz, Imperatoria Ostruthium an, die sowohl auf moorigen Wiesen kurz vor Petschkendorf als auch in der Nähe von Groß-Rinnersdorf nicht selten ist. Der Straßengraben in unmittelbarer Nähe der Raschkeschen Autowerkstatt an der Hindenburgstraße in Lüben beherbergt das kleinblütige, im Grase hinkriechende Scharfkraut oder Schlangenäugelein, Asperugo procumbes. Ein ebenso seltenes Pflänzchen, das als Naturdenkmal anzusprechen ist, ist die Zannichellia palustris, am Ausflusse des Anstaltsteiches wachsend. Ein Zierstrauch, der in den städtischen Lübener Anlagen und in manchem Bürgergarten wuchert, ist ein Knöterichgewächs, Polygonum orientale, das aus dem Park von Sagan hierher gekommen sein soll. Der efeublättrige Frauenflachs, Linaria cymbalaria, wächst an der alten Stadtmauer am Efeuturm und der Tuffsteingrotte am Springbrunnen beim Schulhause. Aus einer ohne Hilfsmittel nicht erreichbaren Höhe grüßt an der Außenwand der evangelischen Kirche in Lüben ein niedliches Farnkraut, die Mauerraute, Asplenium ruta muraria, und in seiner Gesellschaft entdeckt man ohne Mühe das braunstielige Schwesterchen derselben, den Streifenfarn, Asplenium trichomanes. Die botanischen Handbücher geben dafür so wenig Fundorte an, daß wir es unbedingt als eine Seltenheit ansehen und sorgsam schützen müssen.

Ähnliche Bedeutung hat auch die dichtbeblätterte, in allen Teilen dunkelgrüne Gänsekresse, Arabis Gerardi, welche alljährlich an der Gartenmauer des Bresseschen Grundstücks, Schloßstraße, in Lüben neben wenigen Exemplaren des Hanfes emporragt. Auf den Wiesen bei Altstadt wächst der Kugelranunkel oder Glatzer Rose, Trollius europäus, der auch auf den tiefer liegenden Wiesen der Brauchitschdorfer Domäne die Zierde des scheidenden Maimonats bildet. Hart am Wege, welcher hinter der alten Tieslergrube bei Lüben über den Pfeffergraben zur Liegnitzer Kunststraße führt, hat sich auf der Wiese der Sumpfdreizack, Triglochin palustris, eingebürgert, und am Rande des Bießparkes blickt mit seinen rotbraunen Äuglein die Hundszunge, Cynoglossum viride, aus dem Schatten der Robiniensträucher hervor.

Der rundblättrige Sonnentau, Drosera rotundisolia, und Wassernabel, Hydrocotyle vulgaris, bewohnen den Rand jener Lichtung, die sich an der Linnichtwiese der Brauchitschdorfer Straße ausbreitet. Nicht weit davon steht auch die blaue Schwertlilie, Iris sibirica, die wildwachsend nur in wenigen Gegenden Schlesiens vorkommt. Euphrasia picia, der gezeichnete Augentrost, ist eine Seltenheit, welche aus dem Straßengraben im Walde kurz vor Krummlinde hervorlugt. Das Bergbartheu, Hypericum montanum, und Potentilla alba, das weiße Fingerkraut, sind Seltenheiten des Waldes zwischen Vorderheide und Neurode, erstere auch in den Waldungen von Brauchitschdorf vorkommend. Im Gesträuch bei Erlicht und an den Teichrändern bei Lerchenborn kommen die riesengroßen Vertreter einer Hahnenfußart, des Speerkrautes, Ranunculus Lingua, vor. In letztgenanntem Orte taucht aus morastigem Grunde auch das Pfeilkraut auf. Die Blumenbinse und der Kalmus wurzeln beide in Altstädter Tümpeln und in Gräben am Eingang zum Weidnerschen Gute in Großkrichen. Die Wiesengräben seitwärts Erlicht und die Gräben von Nieder-Gläsersdorf sind Fundorte für die mit federartig zerschlitzten Blättern versehene Wasserfeder, Hotonnia palustris. Das Sumpfblutauge, das Tausendblatt und der als Tee beliebte Bitterklee bevölkern die sumpfige Wiese oberhalb der Sperlingsmühle und Kaltwasser.

Die Wiesen an der Kalten Bach oberhalb der Heilanstalt, auf den Schießstand der Schützengilde zu, leuchten im Frühlinge über und über im zarten Gelb der breitblättrigen Primel, und die mäßige Höhe des benachbarten Leiseberges ersteigt der aufrechte Ziest, dessen gelbe Lippenblume mit blutroten Punkten bedeckt ist. Das großblumige, reichlich 50 Zentimeterhohe Fingerkraut, Potentilla recta, das rechts der Straße nach Polkwitz, kurz vor Friedrichswalde, in größerer Anzahl zu sehen ist, rotblühende Stücke des behaarten Günsels, Ajuga genevensis, in der großen Lübener Heide, des deutschen Ginsters in der kleinen Lübener Heide, der Mondraute im Brauchitschdorfer Fasaneriegelände und am Lübenwalder Meilenstein (Polkwitzer Chaussee), Reseda lutea am Wege zum Bahnhof Groß-Rinnersdorf und beim Koslitzer Bahnübergange, Silene chlorantha, eine Taubenkropfart bei Jauschwitz, Chara hispida - ein Armleuchtergewächs - im Tümpel unterhalb des Pilzes bei Koslitz, die Felsenbrombeere oder Steinbeere, Rubus saxatilis, am Eingang zur Kleinen Heide von Mallmitz her, verschiedene Wintergrünarten, Pyrola, mit ihren weißen, kugelförmigen Blütenköpfchen, der Siebenstern am Haselwege der großen Heide, die Natterzunge im Wäldchen bei Klaptau, woselbst auch die wilde Balsamine weite Flächen bedeckt, dürfen unter den krautartigen Naturdenkmälern nicht unerwähnt bleiben.

Wer noch etwas weiter schweifen will, der findet auf der Wiese hinter dem Walde vor Seebnitz Wiesensalbei, Salvia officinalis, am Rollberge bei Friedrichswalde das rote Waldvöglein, Chephalanthera rubra, und an der Straße nach Heinzendorf wie auch hinter der Petschkendorfer Kirche an der Straße nach Groß-Reichen die Färberkamille, Anthemis tinctoria, an letzterem Orte auch die Weberkarde. Eine durch allgemeine Größe und breite Blätter sich auszeichnende Wolfsmilchart, Euphorbia platyphyllos, bewohnt den Teichrand in Oberau, und auf Kieferstämmen der großen Heide und bei Klaptau schmarotzt eine Mistel, Viscum laxum, die man als Naturdenkmal vor Ausrottung bewahren wolle.

Aus "Führer durch die Lübener Landschaft", Heimatbüchlein der Ortsgruppe des Riesengebirgsvereins Lüben, im Jahr 1928, S. 63-66
Pestwurz Pfeilkraut Scharbockskraut Sanikel Siebenstern Kugelranunkel Waldmeister Wintergrün Ziest
Die Abbildungen sind aus Alois Koschs Pflanzenbestimmungsbuch "Was blüht denn da?", Franckh'sche Verlagshandlung, Stuttgart, 1935