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Laut Fotorückseite aufgenommen am 28.6.1944 in den Karpaten
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Nr. 24 Galizien, den 22.7.1944
Ihr Lieben zu Haus!
Habt recht vielen Dank für Euer
liebes Päckchen und für Muttels
Brief. Zwar ist vor einer Stunde
zufällig von uns Post abgegangen.
Leider hatte ich bis zu dieser Stunde
keine Zeit ein paar Zeilen zu
schreiben. So will ich es jetzt in der
Mittagsstunde schnell machen.
Bei uns ist heut schon den ganzen Tag
ein tolles Gewitter. Meine Wäsche
ist natürlich wieder naß geworden.
Nun soll sie auch weiter draußen
hängen bleiben, die Wege sind
vielleicht wieder in einem
Zustand. Heut Morgen war ich
nun schon wieder auf einer
Meßstelle, Dort war ein PKW in Ordonanz zu bringen. Der I-Trupp
wußte nun keinen Weg, so blieb
nichts anderes übrig als daß ich mit
fuhr um den Weg [zu] zeigen.
Aber so eine Fahrt habe ich noch nicht
mitgemacht. Von dem vortägigen
Regen war noch alles aufgeweicht.
So ging es nun auf eine Höhe von
650 m. Wenn der Wald nicht voller
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II. Bäume wär, lägen wir jetzt in
einem Abgrund. Wie schon gesagt,
durch den Schlamm kamen wir
ins Rutschen. Nun war aber der
Abhang so steil, daß keine Bremse
noch kein Gang aufschalten half.
Der Wagen stob den Berg hinunter.
Sobald wir aber zuviel Tempo
oben hatten, fuhren wir einfach
an einen Baum, der uns dann
wieder abstoppte. So landeten
wir dann doch endlich bei der Meß-
stelle. Auf dem Rückweg htten
wir uns dann die Schneeketten
über die Räder gespannt, so schafften
wir es und kamen beim schönsten
Gewitter wieder hier an. Sonst ist
weiter nichts Neues von hier zu berichten.
Jürgen ist nun auch Soldat geworden und zwar nach Breslau,
das ist immerhin viel wert, denn
wer weiß, ob der Engländer dorthin
kommt. Erst muß er ja nun das
Lager beenden und dann
würde ich auch noch nicht gleich
losbrausen. Zum 1.8. kommt er
immerhin noch zurecht.
Seine Anschrift soll er mir gleich
mitteilen. Dann also viel Spaß
mein lieber. |
III. Der Dicke kommt nach Lüben
in die Garnison. So schön möchte
ich es auch gehabt haben. So weiß
er wenigstens, wo er den Ausgang verbringen darf, denn Ziebendorf ist ja nicht weit.
Er soll sich mal sein
Rad mitbringen. Sonst ist
dauernd einer von uns in der
Kaserne drin.
Papas Ferien haben also erst am
15.7. begonnen. Raupen habt ihr
also auch wieder und wie steht es
mit dem Futter? Dieses Jahr muß
Siegfried wohl daran glauben.
Nun beginnen bei Euch erst die
Kirschen zu reifen? Bei uns gab es,
wie ich schon mal schrieb, Unmengen
von diesem Zeug und viele Bäume
blieben ungepflückt. Mir
schmecken sie schon gar nicht mehr.
Kirschen können mich also nicht
mehr reizen. Seitdem ich den Dünnschiss davon hatte, rührte ich sie nicht
mehr an. Jetzt sind wir alle Mann
am Kartoffeln buddeln, denn sonst
haben wir nichts zu "fressen".
Die Verpflegung ist jetzt auf einmal
wieder schlechter geworden. Das Obst hilft
uns aus der Klämme. So hatten
wir uns neulich eine herrliche |
| Kirschsuppe gekocht und dazu schöne
Spätzle, Knödel. Hat wunderbar
geschmeckt.
Du schriebst hier, ich hätte ein Päckchen
nicht erhalten? Nach meinem
Rechnen war das gestrige das vierte,
das ich erhalten habe.
Im ganzen drei mit Plätzchen
und eines mit Briefpapier.
Wenn Papa so notwendig
etwas zu rauchen braucht, soll
er mir es schreiben. Ich habe bloß
Angst, daß die Päckchen nicht ankommen. So muß er eben erst meinen
Urlaub abwarten.
Von mir aus könnt Ihr Sieg-
fried auf die Volksschule
schicken.
Bald kommt Marketenderware
für Juli. Auf sie warten tun wir
ja schon lange.
Der Putsch gegen den Führer, das hat
uns vielleicht erschüttert. So sieht es
also in der Heimat aus, aber Himmler
wird die Burschen schon aufräumen.
Nun grüße ich euch alle
Euer Wolfram
Bevor dieser Brief seine Eltern und Brüder erreichte, fiel Wolfram "im festen Glauben an den Sieg", wie sein Vorgesetzter den verzweifelten Angehörigen schrieb...
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Slowakei, den 23. Oktober 1944
Sehr verehrte Frau Schnabel!
Gerade als mich Ihr Brief erreichte, beabsichtigte ich
Ihnen einen Bericht zu geben von dem Einsatz, bei dem
Wolfram sein Leben gab für Führer, Volk und Vaterland. Als Truppführer Ihres Sohnes erlaube ich mir
Ihnen meine und aller Kameraden Anteilnahme
zu Ihrem großen Verlust auszusprechen. Seit März
war Wolfram in meinem Trupp. Trotzdem er der
jüngste unter uns war, hatte er sich schnell eingelebt
und war von allen gern gelitten. Aus diesem
Grunde hat uns alle sein Opfer, das er brachte am
28. Juli durch die Hingabe seines Lebens schmerzlich
berührt. Sein Mut und seine Tapferkeit wird uns
allen immer ein Ansporn sein, wenn es abermals
heißt, dem Ansturm des Feindes standzuhalten. So
wird Wolfram bei uns weiterleben bis zu unserem
Tod.
Ihrem Wunsche entsprechend gebe ich Ihnen eine genaue
Schilderung des Kampfverlaufes. Zunächst kann ich
Ihnen die Mitteilung machen, daß die Nachlaßsachen Wolframs etwa 8 Tage unterwegs sind.
Was die Fotos anbetrifft, so kann ich Ihnen heute
einige beilegen. Negative wird Wolfram wohl
nicht gehabt haben. Mit meinem Chef habe ich bereits Rücksprache genommen und er hat mir
genehmigt, Ihnen alle Negative, die in Frage kommen,
schicken zu dürfen. Es ist mir allerdings nicht möglich, diese umgehend zu besorgen, aber ich werde sie Ihnen
bestimmt zuschicken, sobald ich sie besitze. Eine genaue
Zeit kann ich Ihnen nicht angeben, weil ich nicht
weiß, wann eine Verbindung zu unserem Troß
besteht, bei dem sich das Fotogerät befindet.
Über unseren Infanterieeinsatz kann ich Ihnen folgendes
berichten. Am 2. Juli erhielten wir einen neuen
Einsatzbefehl nördlich Namslau. Der Russe griff
mit starken Kräften in unserem Abschnitt an und
es gelang ihm nach hartem Kampf ein Einbruch in
unsere Stellung. Da ich mit meinem Trupp keine
Einsatzmöglichkeit hatte, erhielt ich den Befehl, mich
mit Fahrzeug und Besatzung zu unserem Troß zu
begeben. Diese Fahrt war mit großen Schwierigkeitn
verbunden, aber es gelang. Eine Möglichkeit zu
schreiben bestand nicht, es wurde auch keine Post befördert, was ja auch verständlich ist. Der Feind
verstärkte von Tag zu Tag seine Angriffe und so kam
es, daß wir am 27. zum infanteristischen Einsatz
kamen. Meine Gruppe, in der sich Wolfram befand,
hatte den Auftrag eine Straße zu sichern, um das
Zurückführen eigener Verbände zu ermöglichen. Der
Feind versuchte unter allen Umständen die Straße
in Besitz zu bekommen, was ihm am 28. nach-
mittags gelang. Ein sofort geführter Gegenstoß
unsererseits warf den Russen über seine Ausgangsstellung zurück. An diesem Erfolg hatte
Wolfram großen Anteil. Als erster stürmte er
eine feindliche MG-Stellung und es gelang
ihm die Besatzung in die Flucht zu schlagen, unter
Zurücklassung ihrer Waffen. Als Wolfram diese
MG-Bedienung weiter verfolgte, um sie gefangen
zu nehmen, erhielt er plötzlich aus der Flanke
Feuer und es traf ihn ein Infanteriegeschoß in
den Unterleib. Wir waren sofort bei ihm und
fragten, wo er verwundet sei. Wolfram zeigte mit
der Hand nach der Verletzung, im gleichen Augenblick trat auch schon der Tod ein, (28. Juli 15:00 Uhr).
Am 29. wurde Wolfram in derselben Gegend beerdigt.
Über den Einsatzort selbst und über die Grabstelle
Wolframs kann ich Ihnen leider keine Auskunft
geben aus Geheimhaltungsgründen (milit.). Ich bin
gerne bereit Ihnen später, nach Beendigung dieses
Krieges auch hierüber genaue Auskunft zu erteilen.
Aus diesem Grunde gebe ich Ihnen meine Privatadr.
bekannt: Architekt Josef Seng, Mainz-Bretzenheim Wilhelm-Straße 22.
In der Hoffnung, Ihnen vorerst Ihre Wünsche
erfüllt zu haben, bin ich zu weiterer Auskunft
gern bereit und erwidere Ihre Grüße recht
herzlich,
Josef Seng, Uffz.
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Es ist unfassbar, wie diese Dokumente zu mir gelangt sind! Tief berührt danke ich Klaus Lister, der mich im Dezember 2020 über das Gästebuch von seinem Fund in Kenntnis setzte! Als Kind habe ich Wolfram Schnabels Eltern kennengelernt! Von ihm und seinem sinnlosen Sterben wusste ich nichts. 75 Jahre später möchte ich an ihn erinnern und einen Beitrag dazu leisten, dass nie wieder junge Männer in Kriegen verheizt werden. Hier nicht und nicht woanders! Heidi T. |