Zu Lüben bei der Kirche
wächst mir ein lieber Baum,
Der treibt nicht aus der Erde
hinauf zum Himmelsraum;
Hoch oben auf der Mauer,
die rings die Stadt umwallt,
Sprießt er empor zum Lichte
aus einem Mörtelspalt.
Als man mich einst zur Taufe
trug in das Gotteshaus,
Da streuten wohl die Winde
den Blütenstaub hier aus.
Und als ich ging zur Schule
durchs alte Pfortentor,
Da drang ein Birkenreislein
aus einem Spalt hervor.
Und immer höher wuchs es,
je mehr ich selber wuchs,
Und immer neue Blätter
in jedem Jahre trug's.
Nun ist's ein Baum geworden
und Steine hat's verdrängt,
Und tief durch alle Fugen
die Wurzeln eingezwängt.
Alljährlich, wenn ich komme
zur lieben Vaterstadt,
Da staun' ich, wie die Birke
im Stein gewuchert hat;
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Schon bin ich grau geworden,
sie steht in voller Kraft,
Woher nimmst du, o Birke,
stets neuen Nahrungssaft?
Sie schüttelt leis' die Blätter
und raunt im Flüsterton:
"Auch unter euch, ihr Deutschen,
Gibt's manchen Menschensohn,
Der seit der Kindheit Tagen
ums karge Leben kämpft
Und dem doch nur der Mangel
das hohe Streben dämpft.
Denkt an den edlen Schiller!
Des Sein war Sturm und Drang,
Und doch wie kühn sein Geist sich
bis zu den Sternen schwang!
Nicht lähmen, nein, nur stählen
konnt' ihn des Lebens Not.
Arm war, der seinem Volke
die reichsten Gaben bot."
So trostvoll spricht die Birke
noch heut zu jedem Kind,
Drum mag sie weiter nähren
Der Himmelstau gelind!
Wahrzeichen soll sie werden
für meine Vaterstadt,
Und samt der Mauer stehen,
so lang' sie treibt ein Blatt! |