Dr. phil. Erwin Anders (1884-1960)
"Man schrieb den 31. August 1884, als ich an einem Sonntage unter dem Mittagsgeläute der ehrwürdigen Stadtpfarrkirche in Lüben als Sohn des späteren Kreiskassendirektors Hermann Anders und seiner ersten Frau Selma, geb. Kukutsch, zur Welt kam. Vier Jahre besuchte ich die Lübener Volksschule und drei Jahre die damalige Höhere Knabenschule, die nur bis zur Quarta reichte. Mit dem Übergang auf das Königliche Gymnasium zu Bunzlau (1898) gesellte ich mich zu den vielen Lübenern, die ihre Heimat wohl verlassen mußten, ohne daß sie die stille Sehnsucht nach der kleinen Stadt an der Kalten Bache aus ihrem Herzen verloren hätten. Sie brennt mich noch heute in meiner Seele.
Nach dem Studium in Halle und in Berlin und dem Abschluß meiner Doktorarbeit im Jahr 1908 wurde Berlin mir zum Schicksal. Wie so viele ehemalige abgewanderte Lübener wurde ich eine Mischung zwischen Schlesiertum und Berlinertum. Der Stadt Berlin habe ich die besten Jahre meines Lebens gewidmet. Es ist daher nicht von ungefähr, daß ich noch heute im Vorstand des Vereins "Berliner Bären" zu Bonn tätig bin.
Ich wirkte zehn Jahre als Oberlehrer am Friedenauer Gymnasium und war 1919 Gemeindeverordneter in Berlin-Friedenau, 1920 Abgeordneter des Kreises Teltow und Mitglied der ersten Stadtverordnetenversammlung der 1921 geschaffenen Großgemeinde Berlin. Ich zog mich aber bald aus der aktiven Politik heraus und wurde zum Stadtschulrat des Bezirks Berlin-Steglitz gewählt. Nach Ablauf meiner Wahlperiode ernannte mich der
Minister 1933 zum Staatlichen Oberschulrat für die Höheren Schulen Berlins.
Am 1. Weltkrieg nahm ich 4 ½ Jahre teil, zuletzt im Armee-Oberkommando der IV. Armee in Flandern. [*U. a. wurde er ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse, mit der Rote-Kreuz-Medaille 3. Klasse, dem Bayerischen Sanitäts-kreuz.] Dort durfte ich dem Kaiser bei einem Besuch Weihnachten 1917 als Führer durch die historische Stadt Gent dienen (siehe Foto unten!), wofür er mich durch sein Bild mit eigenhändiger Unterschrift auszeichnete.
[* Von 1921 bis 1933 war er Stadtschulrat von Berlin-Steglitz. Hier unterstand ihm neben den Schulangelegenheiten auch das Dezernat für Kunst und Volksbildung. Er war ein Förderer der Volkshochschule und betrieb den Ausbau der Volksbüchereien. An der Gründung der Musikbücherei war er maßgeblich beteiligt. 1933 wurde Anders Oberschulrat in Berlin. Im Mai 1945 wurde er seines Amtes enthoben.]
Während des 2. Weltkrieges wurde ich zur Betreuung der in die Beskiden und die Hohe Tatra verlagerten Berliner Schulen abgeordnet. Das Kriegsende hatte auch die Auflösung meiner Behörde zur Folge. Ich schlug mich mit meiner tapferen Frau Elisabeth recht und schlecht durchs Leben, bis ich 1948 wiederverwendet und 1950 vom Westberliner Senat regelrecht in den Ruhestand versetzt wurde.
Wenn ich mein Leben überschaue, so hat es an Rückschlägen gewiß nicht gefehlt. Der schwerste Schlag traf mich, als Anfang 1953 ein plötzlicher und unerwarteter Tod mir meine liebe Frau Elisabeth nach fast 42-jähriger glücklicher Ehe entriß. Unserer Ehe war eine Tochter entsprossen, die als Ärztin tätig ist. Durch sie und meinen Enkel, der gern seine Ferien bei uns verbringt, ist die Verbindung mit Berlin noch immer gewahrt.
Nach dem Tode meiner ersten Frau verlegte ich meinen Wohnsitz nach Bonn, wo ich mit Dr. phil. Olga Kukutsch, einer Verwandten meiner früh verstorbenen Mutter, eine neue Ehe einging. Sie entstammt väterlicherseits einer ostschlesischen Familie, deren Geschichte sie geschrieben hat, und steht mir darüberhinaus durch gemeinsame Interessen innerlich nahe. Hatte ich bis 1939 fast ganz Europa bereist, wobei mich meine erste Frau begleitet hatte, so fand ich bei meiner zweiten Frau die gleiche Wanderlust vor. Sie führte uns nach den drei südlichen Halbinseln Europas, nach Italien, Spanien und Griechenland. Bei all diesen Reisen, besonders auch bei einem dreiwöchigen Besuch der Kanarischen Inseln, diente uns das Flugzeug neben Schiff und Autobus als Kontinente überbrückendes Verkehrsmittel. Über diesen fernen Zielen versäumten wir nicht die Beschäftigung mit dem eigenen Vaterland und seinen Problemen, ganz besonders mit der Frage der Wiedervereinigung. Die Frucht meiner geographischen Tätigkeit bildeten Veröffentlichungen, so eine "Geschichte der Nordsee", eine Studie über "Alexander von Humboldt und seine Weltreisen", sowie eine Abhandlung über "Erdkundliche Grundlagen geschichtlicher Entwicklung", um nur einige der von mir behandelten Themen zu erwähnen.
Seit etwa fünf Jahren bedienen meine Frau und ich uns mit Erfolg der Farbphotographie, die es uns ermöglicht, die Früchte unserer Reisen durch Lichtbildvorträge interessierten Kreisen nahezubringen. Dabei erfüllt es uns mit Dank, daß Gott uns noch Kraft und Gesundheit zu befriedigendem Wirken geschenkt hat.
[*Aus seiner Feder stammen nicht nur Veröffentlichungen auf dem Gebiete der Geschichte und Erdkunde, vor allem über Flandern, sondern er war auch Mitarbeiter größerer Berliner Zeitungen, des Lübener Stadtblattes und des "Lübener Heimatblattes". An seinem 70. Geburtstag gedachten seiner außer dem Bekanntenkreis aus Schlesien und Berlin viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. So erhielt er ein persönliches Schreiben vom damaligen Bundestagspräsidenten Dr. Hermann Ehlers. Tageszeitungen und Verbände würdigten ihn. So der "Berlin-Steglitzer Lokalanzeiger", der "Verein Deutscher Studenten" in seinen "Akademischen Blättern", dessen Vorsitzender des Alte-Herren-Bundes in Bonn Erwin Anders derzeit war, das Nachrichtenblatt des Bundes der Berliner in Bonn, "Der Bär" u.a.]
Erwin Anders, Lübener Heimatblatt 16/1959
[Die ergänzenden Informationen in Klammern aus Lübener Heimatblatt 12/1954]
Enkel und Urenkel von Dr. Anders übermittelten im Jahr 2012 zusätzliche Informationen und Bilder!
"Ich bin bei meinem Großvater Anders in Berlin-Friedenau aufgewachsen und und erinnere mich, dass er zu damals bedeutsamen Leuten Kontakte hatte, wie Dibelius, Ehlers, Egidi, Karl Maßmann, Joachim Tiburtius, Martin Löpelmann und Friedensburg. Diese Namen fielen häufig. Ich besitze das signierte und ihm gewidmete Kaiserbild und ein Foto, wie er der König von Bayern durch Gent führt. Aufgenommen vor der Burg Gravensteen. Ich bin sehr stolz auf meinen Großvater, den ich sehr liebte. Leider konnte ich ihn vieles nicht fragen, was ich heute gerne von ihm wüsste, weil ich noch zu jung war war. Einzig seine furchtbaren Erinnerungen an Flandern sind mir in Erinnerung. Er starb, als ich 16 Jahre alt war. Mit besten Grüßen Klaus Krüger"
"Ich wollte nur schnell meine freudige Überaschung ausdrücken, hier meinen Urgroßvater im Netz zu finden. Und darüber auch nochmal genauer zu verstehen, was meinen Vater (der erwähnte "Enkel, der gern seine Ferien bei uns verbringt") von Berlin nach Bonn verschlagen hat. Danke! Stefan Tzeggai"