15.3.1947
Mit großer Freude habe ich Ihren aufschlussreichen Rundbrief erhalten. Es war ein fruchtbarer Gedanke, gerade jetzt in diesen Zeiten der Wirrnis und der Zersplitterung, die alten Schulkameraden um sich zu sammeln und Austausch mit ihnen zu pflegen. Wie erfreulich ist solche treue Kameradschaft, solche Anhänglichkeit an die alte Bildungsstätte, wie beglückend der Inhalt der Briefe: Hier sieht man überall - mitten im grauenvollsten Zusammenbruch unseres geliebten Vaterlandes - junge Menschen tapfer an den Wiederaufbau gehen - ein Trost für uns Alte, Scheidende! Mit lebhafter Anteilnahme habe ich von den Erlebnissen und Plänen lieber ehemaliger Schüler gehört, vielen bin ich ja durch jahrelanges Zusammenarbeiten nähergekommen.
Von mir kann ich wenig Gutes berichten. Ich fühle mich entwurzelt, naturentfremdet in den Schächten dieser häßlichen Großstadt, in dumpfer Erdgeschoßwohnung, fehl am Platze. Vor einem Jahre "beurlaubte" man mich von der Schule, ich habe dann monatelang als "Buchprüfer" einer Großbuchbinderei gearbeitet, war lange Zeit "Mädchen für alles" im Haushalt, bis ich erkrankte. Zur Zeit hause ich als Patient mit 21 Kameraden zusammen im Saale einer früheren Hilfsschule, die jetzt Hilfskrankenhaus ward. Die Meinen schlagen sich tapfer und treu durchs Leben. Über die Zukunft grübele ich nicht, ich weiß mich in der Hand Gottes, er wird mich weiterhin geleiten bis zum Heimgang in eine bessere Welt. Den Verlust meiner äußeren Habe empfinde ich nur insofern schmerzlich, als ich die Handschrift eines fast fertiggestellten "Heimatbuches" und von "Sagensammlung des Kreises Lüben" sowie meinen 3000 Bände umfassenden Bücherschatz zurücklassen musste. Lübener schreiben mir oft, viele besuchen mich. Mit herzlichen Grüßen, Ihr alter Lehrer
15.4.1947
Als Ende Januar Lüben geräumt werden musste, wurden wir als Volkssturm 3. Aufgebot zusammengestellt, dann aber nicht wirksam eingesetzt, weil im entscheidenden Augenblick der richtige Führer fehlte, alle hatten etwas anderes zu tun. Zudem hieß es, der Jahrgang 28 dürfe nicht eingesetzt werden usw. So war ich an dem traurigen Geschehen nur mittelbar, als Meldefahrer, beteiligt. Nachdem ich dann später noch an anderer Stelle meine unerfahrene Nase in den Krieg hineingesteckt hatte, kam dann der planmäßige Rückzug der Heeresgruppe B, der in einem heillosen Durcheinander endete. In den Gebirgswäldern zwischen Hohenelbe und Starkenbach schnappten mich dann am 13.5. tschechische Partisanen und steckten mich wegen allerlei Verdachtsmomente ins Zuchthaus. Nicht einmal meine Haare haben sie mir gelassen. Dieses Vierteljahr werde ich nicht bald vergessen. Später wurde ich zur Landarbeit eingeteilt. Bis zum September 46 ging es dann bunt her. Ich habe mich auf vielen Gebieten versucht, habe Landwirt gespielt, Drogist, Schmied, Stellmacher usw. und zum Schluß sogar Leichenausgräber und -Wieder-Begräber!
Seit Herbst 46 bin ich nun hier in Zwenkau bei meinen Angehörigen. Mein Vater ist seinen Beamtendienst natürlich los. Ich spiele wieder Schuljunge in einer 11. (auf altdeutsch 7.) Klasse einer Leipziger Penne und gedenke, bis zum Abi 1948 durchzubüffeln. Weiter als bis zu diesem Termin wage ich noch nicht zu denken. Aber, mal sehen, wie's wird! So leicht bringen sie mich nicht aus der Ruhe! In freudiger Erwartung des nächsten Briefes grüßt G. K.
15.4.1947
Meiner Familie ging es wie mancher anderen aus dem Osten: Wir wurden in alle Winde verstreut. Glücklicherweise sind nun schon meine beiden Schwestern und meine Mutter vereinigt. Mein Bruder wohnt in Hamburg. Ich selbst habe 1938 mein Abitur gebaut. Bekannt bin ich den meisten Pennälern dadurch geworden, dass ich als Panzerjägeroffizier 1941 in Russland schwer verwundet, wohl der erste Fall einer Beinamputation war. Ich studierte dann während meiner Lazarettzeit und auch noch danach 4 Semester Jura in Breslau; war zwischendurch bei der Truppe, um dort 1944 endgültig wieder dort behalten zu werden. Zuerst als Kompanie-Chef und Gerichtsoffzier beim E-Haufen ging es bald mit meinem Bein so gut, dass ich mich zu jedem Dienst zur Verfügung stellen konnte.
Von Sagan mot. Spähtrupp nach Lüben geschickt. Konnten nicht mehr in die Stadt, versuchten es von zwei Seiten:
1. Von Anstalt her; Hindenburgstraße; mussten jedoch dem mörderischen Beschuss aus allen Gärten weichen. Rauchwolke über Stadt und Flugplatz, Flammen aus dem Dach der Kirche. 2. Versuch Liegnitzer Chaussee. Bataillons-Gefechtsstand Post bereits beschädigt, in den Straßen überall Schüsse, hängende Drähte, Rauch... Im Neißeabschnitt das ganze Elend unserer Heimat erlebt. Kälte und später der aufgeweichte grundtiefe Dreck zerfahrener Straßen, Trecks, endlose Züge Gefangener, geschändete Frauen aller Altersklassen, Durcheinander von sich in Auflösung befindlichen Truppenteilen und andere, die fest und verbissen ihre Pflicht taten. Plünderungen von Freund und Feind! Nachdem ich im Panzer abgeschossen wurde, wie durch ein Wunder unverletzt, mit zerbrochener Prothese, wurden wir abgelöst und ich kam als Panzer-Spezialist nach dem Westen, wo ich an der Spitze meiner beiden Bataillone in amerikanische Gefangenschaft wanderte. Nach Entlassung mittellos, fehlschlagende Berufspläne; durchgeschlagen mit so ziemlich allen Arbeiten vom Holzhacken, Stundengeben, Stundenlohnarbeiter, Jugendamnestie, Geschäftsführer in der Industrie. Augenblicklich bin ich wieder einmal hinter einem neuen Job her. Mit besten Grüßen H.-F. M.
29.8.1947
Meine lieben jungen Freunde!
Es ist einfach wunderbar, daß einer von Ihnen in dieser harten Gegenwart die Freudigkeit und den Mut aufbrachte, die im Januar 1945 so jäh zerrissenen Bande neu zu knüpfen. Und geradezu herzerfrischend ist das vielfache Echo, das ihm nun aus allen Teilen Deutschlands über alle Zonengrenzen hinweg entgegenhallt. Ich bin sehr erfreut, so viele von Ihnen als Berufskameraden begrüßen zu können. Der Beruf der "Pauker" - auf der Penne so verfemt - ist scheinbar im Ansehen gestiegen? Doch Scherz beiseite. Sie finden ein so weites Arbeitsfeld vor sich, das es mit viel Idealismus, viel Liebe und Geduld zu bearbeiten gilt in einer Zeit, da alle sittlichen und moralischen Begriffe schwankend geworden sind.
Als ich am 28. Januar 1945 mein Heimatstädtchen, mein Heim, kurz alles, was mir lieb und teuer war, verließ, wusste ich, dass es ein Abschied für immer war, ein Bruch mit dem bisherigen Leben überhaupt. In Haynau geriet ich in den grauenvollen Flüchtlingsstrom, der mich in Leipzig endlich an Land spülte. Gott sei Dank bin ich ganz am Rande der Großstadt gelandet. Als Bauernkind von Jugend an erdverwurzelt, kam für mich für einen Neuanfang keine andere Tätigkeit in Frage als Dienst an der heißgeliebten Erde. Ich trat deshalb bereits Anfang März 1945 in einer Gärtnerei zur Arbeit an und stehe heute - nach reichlich 2 Jahren mit 48 Wochenstunden auf demselben Platze. Immer in Gottes freier Natur in Wind und Wetter, bei Regen und Sonnenschein. Nur eines empfinde ich schmerzlich. Meine Tätigkeit läßt mir so gut wie gar keine Zeit zum Briefeschreiben, und so blieb mancher liebe Gruß bis heute unbeantwortet. Aber einmal wird alles nachgeholt.
Wir sind alle durch schwere und viele von Ihnen durch schwerste Notzeit hindurch-gegangen, aber keinen hat das Schicksal unterkriegen können, ein jeder versucht mit eiserner Härte, das Leben zu meistern. Und uns alle eint die Liebe zu unserem Schlesierlande, an allen zehrt die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat. Ich grüße Sie alle, nehme regen Anteil an Ihrem Ergehen und freue mich auf die Rundbriefe. M. L.