Dieses Foto wurde vom Lübener Heimatblatt 1961 mit der Bildunterschrift "Umzug des Stahlhelms in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg" publiziert. Der Verein war ein offener Feind der Weimarer Republik und jeglicher Demokratie. Kurz vor Hitlers Machtübernahme nannten sie sich im Unterschied und in Übereinstimmung mit der NSDAP die "deutschen Faschisten". Im Zuge der NS-Gleichschaltung aller Vereine wurde er 1934 in die SA eingegliedert. (Das Foto zeigt im Hintergrund Conditorei und Cafè Alfred Hilbig in der Breiten Straße 31.) Es folgt die Mitgliedskarte eines Lübeners:
Zum folgenden Foto hieß es im Lübener Heimatblatt 9/1959, es handele sich um den Aufmarsch des Kreiskriegerverbands zum Erntedankfest 1933. Vorn links marschiert in Uniform Ulrich von Heydebrand und der Lasa, (Oberst und Träger hoher Auszeichnungen beider Weltkriege), hinter ihm der Vorstand des Kreiskriegerverbandes. Dahinter folgt der Kriegerverein Lüben, an der Spitze vor der Fahne Baumeister Günther Hübner in der Uniform der kaiserlichen Luftschiffertruppe.
Gerhard-Gerda Weber (1923-2002), bis zum Tod Herausgeber/in des Liegnitzer Heimatblattes, mutig vielleicht gerade wegen der besonderen Persönlichkeit, veröffentlichte zu diesem Bild Gedanken, die 1959 immer noch Mut erforderten:
Als Leser des "Lübener Heimatblattes" sei auch mir einmal gestattet, einige Gedanken zu diesem Bild niederzuschreiben. Vorweg sei ausdrücklich bemerkt, daß diese sich gegen keine der auf dem Bilde zu sehenden Personen richten, von denen ich niemanden persönlich kenne.
Die Aufnahme dürfte historisch eine Rarität sein: Die Veteranen des Kriegervereins im Gehrock und Zylinder im Festzug durch die mit Hakenkreuzfahnen geschmückten Straßen Lübens! Schon ein Jahr später vermutlich wird so ein Aufzug nicht mehr möglich gewesen sein - und, wenn wir ehrlich sind, entsprachen doch die braunen Uniformen mehr den Hakenkreuzfahnen als die feierlichen schwarzen Zylinder.
Zwei grundverschiedene Weltanschauungen sind - das will mir dieses Foto ausdrücken - hier eine scheinbar friedliche Koexistenz eingegangen, zwei Welten, die beide überwunden sind, denn wer könnte sich heute ernstlich vorstellen, daß die Teilnehmer des 2. Weltkrieges in Gehrock und Zylinder hinter einer Vereinsfahne her durch die Straßen marschieren?
Der friedliche Aufmarsch ehrbarer Bürger unter dem Schmuck der Hakenkreuzfahnen will mir in der Rückerinnerung - und ich bin so ehrlich, auch einzugestehen: im zeitlichen Abstand von 14 Jahren nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches - aber auch eines sagen:
So harmlos fing es an. Ich war 1933 ein zehnjähriger Schuljunge, wie einer von denen, die da an der Straße stehen und diesen Festzug der "Großen" staunend betrachten. Sind wir Alten uns immer und in jeder Situation der Verantwortung gegenüber der nachfolgenden Generation bewußt?
Es sollte kein Leser schockiert gewesen sein, im Lübener Heimatblatt ein Foto mit Hakenkreuzfahnen zu sehen! Auch ein solches Foto, das ein Dokument jüngster Geschichte ist, kann zu heilsamem Nachdenken anregen.
Gerhard Weber, September 1959