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In einer führenden deutschen Tageszeitung der 30er Jahre stand ein ganzseitiger Aufsatz über berühmte schlesische Gaststätten. An dritter Stelle nach Alter und Ruf war der Lübener Grüne Baum genannt. Das einzige Haus, das den Schmuck seiner Lauben aus dem Brande der Stadt im Anfang des Siebenjährigen Krieges gerettet hatte. Im weitoffenen Eingang stand ein lachender, untersetzter Mann im gutsitzenden Cut, die kurzgeschnittenen, ergrauten Haare sauber gescheitelt, und begrüßte die eintretenden Gäste mit der gleichen freundlichen Höflichkeit, ob es sich um einen Reichsgrafen handelte, der Viere lang von seinem Rittergut aus dem Kreise zur Landbundversammlung kam, oder um einen kleinen Handwerker, der seinen Durst schnell mal mit einem freundlichen, kleinen Hellen löschen wollte. "Max, eine Flasche von deinem Besten!" rief aus dem Vorderzimmer, das einstmals Pferdestall gewesen war, die befehlsgewohnte Stimme des Barons Geyr. Die ehemaligen Offiziere der 4. Dragoner pflegten den Herrn des Hauses mit seinem "Ober"-namen zu rufen, Und er ließ sich von ihnen diese Vertraulichkeit gern gefallen. Er hatte nun mal seit dieser Zeit, vor dem 1. Weltkrieg, wo das Offizierskorps sein Kasino im "Baum" hatte, eine Schwäche für die Bredow-Dragoner und den mit ihnen verbundenen Adel. Voller Stolz zeigte er gelegentlich die ihm vom Grafen von Thurn und Taxis geschenkten, mit Brillanten geschmückten Manschettenknöpfe. "Hier, eine Spätlese, Herr Baron! Die wird den Herren schon zusagen." "Max, bring dir auch ein Glas!"
Im Mittelzimmer das Bürger- und Mittlere Bauerntum, an den Bauernsonntagen vor allem die Inspektoren der großen Güter, Stadt und Land in trautem Verein - eine vorbildliche kleine Kreisstadt eines überwiegend landwirtschaftlichen Kreises: einer lebt von und mit dem anderen - Skat, Knebeln, eine Runde Bier, eine Runde Schnaps, und wenn es spät wurde und die richtigen Spielratten sich zusammenfanden, wohl auch ein Jeu. Und immer war Reinhold Liebich dabei, nie ein Spielverderber, immer versöhnend, ausgleichend, wenn es nötig war, wollte er doch nie gewinnen; er war nur für seine Gäste da.
Es war vor 1914. Herr von Weigel aus Fauljoppe, ein trinkfester Herr und trefflicher Schachspieler, saß seit 24 Stunden mit guten Kumpanen beim Pommery. Schließlich war er allein - im Spiel hatte er bereits drei Fuder Roggen verloren -, da erfährt er, daß ein Kandidat der Theologie, ein Schachspieler, im Hotel übernachte. Der Kandidat muß unter allen Umständen aus seinem Schlaf geweckt und heruntergeholt werden. Und als der alte Spieler schließlich in dieser Nacht seinen Meister gefunden hatte, ließ er den Sieger vor dem Morgengrauen nicht wieder ins Bett. Das alles aber war harmlos. Es kam nie etwas Unmoralisches in diesem wirklichen Hotel vor.
Harmlos war auch der Spaß, den Reinhold Liebich an seinen oft köstlich erfundenen Geschichten hatte. Er hat nie einem damit geschadet. Er machte sich selbst damit eine Lust und machte sich lustig über die, die seinen Phantasien glaubten. Als eine Karte nach Lüben kam: an den größten Lügner von Lüben, ohne Angabe von Namen und Anschrift, wurde die Karte an Reinhold Liebich abgegeben. Ein kleiner Münchhausen.
Schweineschlachten im "Baum"! Ein Fest für Lüben. Sämtliche Tische waren vorbestellt, im Vorder-, im Mittel- und im Hinterzimmer. Zwei selbstgemästete Schweine von mindestens je 3 ½ Zentnern und zehn dazugekaufte Schweinsköpfe. Für die Person 1,50 M und auf jedem Tisch eine Flasche Korn, die nie leer wurde. Wo gibt's das noch heute? Seine Kellner, die "befrackten Affen", wie er sie selbst nannte, obwohl oder weil er aus ihrem Stande hervorgegangen war, spritzten unter seiner Aufsicht. |
Reinhold Liebichs Stempel in meiner Klose-Chronik, deren erster Besitzer er war!
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Alles fühlte sich wohl und war in bester Stimmung bei Reinhold Liebich. Er war eben nicht nur Geschäftsmann, sondern in erster Linie und immer der gute Mensch, nicht der Gastwirt, sondern der Gastgeber.
Sein früherer Chef und Vorgänger im "Baum", Dressler, der Sänger und Dirigent, dessen Bild in Schützenuniform im Mittelzimmer hing, wußte schon, wem er seine Tochter zur Frau gab. Sie waltete mit ihrem Koch Cechnie in der Küche, und alles von dort war aufs beste. Und in einem waren diese beiden guten Menschen nie uneins: im Wohltun. Wie viele von den Ärmsten, Männlein und Weiblein von der Steinauer Straße, wüßten noch heute ein Loblied auf das Ehepaar Liebich zu singen! Und woher kam diese soziale Einstellung? - Wenn wir einmal allein zusammen waren, dann erzählte er mir von seiner kärglichen Jugend in einer kinderreichen Familie in Wüstegiersdorf. Das hat er sein Leben lang nicht vergessen.
Am Leben und Sterben jedes einzelnen Lübeners, ganz gleich welchen Standes, nahm Reinhold Liebich Anteil. Es gingen wohl nur wenige Trauerzüge an seinem Hause vorbei, in denen er nicht selbst unter dem Gefolge des Verstorbenen war. Und gar bei freudigen Anlässen! Wie hing er an den Kindern, gerade weil er selbst keine hatte. Das wußten die Kleinen. Bei Onkel Liebich gab es immer eine Apfelsine oder eine Tafel Schokolade. Und selbst die Scharen der Sommersonntagssänger gingen nie leer aus dem "Grünen Baum". Bei Verlobungen, Hochzeiten, bei wesentlichen Geburtstagen und Jubiläen, immer nahm er teil. Am 7. März 1938 schickte er meiner älteren Tochter zum bestandenen Abitur einen wundervollen Strauß roter Rosen. Das war sein letzter Nächstendienst. Am selben Abend starb er. Wohl ihm, er ist vor vielem Übel bewahrt geblieben.
Erwin Vetter, 1952
Trauerzug durch Lüben zu Ehren des am 7.3.1938 verstorbenen Reinhold Liebich.
Diese Aufnahme verdanken wir Ernst-Karl Müller (1931-2014), dessen Unterstützung ich mich dankbar erinnere.
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Im Nachrichtenblatt des Vereins ehemaliger Offiziere e. V. und der Kameradenvereine des Dragoner-Regiments von Bredow Nr. 26/1932 fand ich folgende Verse auf Reinhold Liebich, in dessen Hotel zum grünen Baum sich die ehemaligen Dragoner regelmäßig trafen. Das "Gedicht" der Ehefrau eines Dragoner-Offiziers verdeutlicht in vielerlei Hinsicht die Denkweise dieser Leute und erinnert an einen berühmten Lübener!
"Am 23. August 1931 konnte Kamerad Reinhold Liebich mit seiner lieben Frau das schöne Fest der Silbernen Hochzeit bei bester Gesundheit feiern. Der Vereins-Vorsitzende Herr Graf von Sauerma-Zülzendorf und drei Kameraden überbrachten dem Jubelpaare die Glückwünsche des Vereins. Auf Veranlassung des Schriftführers A. Engel des Dragoner-Vereins hatte seine Frau Hedwig Engel folgende Verse gedichtet, die von einem Dragoner-Kameraden in Paradeuniform dem Jubelpaare vorgetragen wurden."
Auf dem Foto: Hedwig Engel (1879-1964) mit ihrem Sohn Wilhelm, dem Ehemann der Freundin meiner Mutter Annemarie geb. John, und Enkelin Barbara im August 1943 |
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Reinhold Liebich und Ehefrau zur Silberhochzeit vom Verein ehemaliger Bredow-Dragoner! |
Zum fröhlichen Fest, wie könnts anders sein,
Stellen wir Bredow-Dragoner uns pünktlich ein,
Und wünschen dem silbernen Jubelpaar,
Viel Heil, Glück und Segen noch manches Jahr.
Ich dachte, was ziehe ich heute an,
Das unsern Liebich erfreuen kann.
Was wird ihn versetzen in herrliche Zeit?
Doch nur unser liebes blau-gelbes Kleid.
Und daß all sein Denken, Reden und Tun,
Am liebsten bei diesem Pole wird ruhn.
Dieses wissen wir alle sehr genau,
Bestätigen wirds seine liebe Frau.
Und sehn wir so recht ihm ins Angesicht,
Ist's nicht, als ob Erinnerung flüsternd spricht,
Als ob die Zeit, da man trug dies Gewand,
Leuchtend und herrlich vor jedem entstand.
Und man schaut im Geiste im gastlichen Haus,
Blaugelbe Reiter gehn ein und aus.
Hört draußen am Markt den Paradeschritt,
Und unsere Beine gehn federnd mit.
Und man hört Musik, die sich schmetternd erhebt,
Daß tiefernsten Männern das Herz erbebt.
Und man sieht die Fähnlein im Wind
Und fährt übers Auge sich ganz geschwind.
Ja, das alles vor unserm Geist wird erstehn,
Wenn wir unsern Liebich so vor uns sehn.
Es ist auch kein Wunder, denn vierzig Jahr,
Haben verankert mit ihm uns ganz und gar.
Daß unser Liebich humorvoll begabt,
Schon sein Eintritt in dieses Haus ja besagt.
Damals, da saßen im grünen Baum,
Etliche Herren, die konntens erwarten kaum,
Daß der Ober Maxe tritt an,
In Liegnitz schon war man ihm zugetan.
Und wie sie so bei dem Reden noch sind,
Herein tritt der Neue behende, flink.
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Im Eifer da sah er die Stufe halt nicht,
Flog lang, es landet sein Angesicht,
Im Spucknapf mit Eleganz und Macht.
Ein jeder ob dieses Eintrittes lacht.
Ja, damals war eine andere Zeit,
Nicht machte sich Kummer und Sorge so breit.
Herr Ober bald ward von jedem begehrt,
Mit der Zeit er ward noch tiefer geehrt.
Daß er ward Besitzer nach fünfzehn Jahr'n,
Damit hat der Baum sehr gut gefahr'n.
Was er anfaßt, wird ein ganzes Ding,
Und alles stets wie am Schnürchen ging.
Die Biere so frisch und die Weine so klar,
Und alle Speisen stets wunderbar.
Und wer bei Liebichs erst mal war zu Gast,
Stets Sehnsucht nach dieser Heimstätte faßt.
Und über Schlesiens Grenzen hinaus,
Man lobt und schätzt dieses gastliche Haus.
Als man im Krieg, zog auch Liebich ein,
Konnt's nur als Bredow-Dragoner sein.
Macht den Vormarsch mit ins Russenland,
Ward mit Pferdetransport nach Frankreich gesandt.
Dort kam er grad zum Schweinschlachten zurecht,
Das paßt einem hungrigen Krieger nicht schlecht.
Nun ist längst vorbei der traurige Krieg,
Die Zeiten sind schlimm, die Zeiten sind trüb.
Doch heut, da wollen wir mal denken dran nicht,
Und zeigen ein fröhliches Angesicht.
Ein warmes Herz für'n Dragoner-Verein,
Bei Liebichs wird immer zu finden sein.
Nun wünschen wir noch einmal viel Glück,
Viel Segen und ein frohes Geschick
Zum lieben silbernen Hochzeitstag.
Es kommt, glaubt's, vom Herzen, was ich hier sag.
Mög Euch der Himmel behüten vor Pein,
und noch lange gesegnet und glücklich sein."
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