Brief des Bäckermeisters Paul Schreiber vom Juli 1945
an den Stadtmüller Fritz Müller
Emil Schütze, Eisenwarenhändler (1862-1939)














Ein halbes Jahr nach der Flucht aus Lüben, ein Vierteljahr nach dem Ende des Krieges, hatte Bäckermeister Paul Schreiber die Adresse seines Freundes, des Stadtmüllers Fritz Müller ausfindig gemacht und schrieb ihm einen herzzerreißenden Brief über alles, was er und andere Lübener in der Zwischenzeit erlebt und erfahren hatten. Mit einem herzlichen Dank an die Enkelin des Briefempfängers. Beachten Sie bitte auch den Aufdruck am Ende jedes Blattes mit der Aufforderung, Papier zu sparen!

Abs. Bäckermeister Paul Schreiber
z. Zt. Mosel über Zwickau
Gasthof
z. Schönburgschen Haus
(Anmerkung der Post:)
Empfänger verzogen
6.8.

Bäckermeister
Paul Schreiber, Obermeister der Kreishandwerksinnung




Mosel, bei Zwickau, den 31. Juli 1945
Lieber Fritz und Familie! Nach vielem Hin-
& Herfragen endlich einmal deine Adresse
ausfindig gemacht. Gelegentlich eines
Besuches meiner Frau nach Leipzig traf
sie dort mit Fam. Nieke und Frau Baumeister
Hübner
zusammen und brachte mir deine
Adresse mit. Meine Frau war mit Gisela*
beim Treck Lüben-Ost mit Nachbar (?)
Walter gefahren und zwar am Freitag, dem 26.1.
abends 8 Uhr und ich erst Sonntag früh 9 Uhr
mit dem Rodelschlitten in 4 Tagen
bis 20 km von Görlitz nach Tonhain
Kreis Bunzlau gereist. Dort kam Tauwetter
und ich blieb eine Woche daselbst bei
einem Kollegen im Quartier. Von dort
fuhr ich mit dem Zuge über Görlitz -
Bautzen- Dresden bis Grossenhain,
wo ich zunächst übernachtete und bereits
viele bekannte Lübener, z. B. Kurt Lehmann,

*Gisela Schreiber (Tochter von Paul und Helene Schreiber)

senkrecht links: Koll. Biedermann wurde in …
erschossen und auf dem Friedhof beerdigt.





Aufdruck:
Für Stadtmitteilungen gebrauche das Telephon!




Scholz* von der Stadtkasse usw. antraf, die
mir sagen konnten, daß unser Treck
Walter* nur 6 km von Grossenhain
im Dorfe Skäßchen liegt. Sofort machte
ich mich Sonntag früh nach dort
auf den Weg und konnte mit einem
Milchwagen bereits gegen 12 Uhr mittags
meine Frau und Gisela daselbst erreichen.
Hatte also genau 14 Tage dazu gebraucht;
dort konnten wir 2 Wochen bleiben
und es kam der Bombenangriff auf
Dresden
. Jetzt mußten wir den vielen
Ausgebombten Platz machen und wurden
über Meißen in den Kreis Zwickau
verlegt. Nun sind wir seit Anfang
März hier in Mosel in der Schule
untergebracht, die Pferde stehen bei
den Bauern. Bis Ende Juni hatte ich in
meiner Bäckerei nicht gebacken bis
etliche Kollegen nach Kriegsende zurückkamen.

* Alfred Scholz, Stadtinspektor
* vermutlich Fuhrwerksbesitzer Fritz Walter









Aufdruck:
Wegen Tipp- und Schönheitsfehler
keinen neuen Bogen nehmen!




In dem kleinen Ort sind 5 Bäckereien
und keiner hat jetzt volle Beschäftigung.
Nachbar Walter macht ab und zu
mal Lohnfuhren nach Kohlen oder Kar-
toffeln nach Zwickau, sonst hier alles
sehr knapp mit Lebensmitteln, zum
Winter dem Hungertode entgegen.
Ernst Hillmann* vertritt in Zwickau beim
Landrat den Kreis Lüben. Das Dorf Groß Krichen
mit Otto Friese* ist schon abgereist und soll
bei Pulsnitz in Scheunen liegen. Hier hatten
wir uns mit Koll. Friese* gegenseitig besucht,
desgl. Koll. Else*, Gerh. Rauch*, Raudten, hatte
hier im Kreise Zwickau in einer Mühle Arbeit
gefunden, jetzt ist er als ehemaliger Ortsgruppenleiter
festgenommen worden, desgl. Paul Gude*, Lüben.
Meine Schwiegermutter Frau Neumann ist nur bis
Niedercunnersdorf Kreis Löbau gerückt und bei einem
Baumeister Peschel im Quartier. Heinrich Hilgner* und
Frau haben im Gugsch Gute bei den Polen gearbeitet
und sind jetzt zum zweiten Mal aus Lüben weg.

* Ernst Hillmann, Regierungsoberinspektor
* Otto Friese, Bäckermeister, Groß Krichen
* Oskar Else, Bäckermeister in Lüben
* Gerhard Rauch, Mühlenbauer in Raudten
* Paul Gude, Schmiedemeister in Lüben
* Heinrich Hilgner, Kolonialwarenhändler





Aufdruck:
Noch mehr Papier sparen!



Von uns sind beide Grundstücke erhalten
geblieben. In der Bäckerei bäckt mein letzter
Gehilfe für die Polen. Bis zum Waffen-
stillstand hat er in Hirschberg i/R. gearbeitet
und mich durch Koll. Else grüßen lassen.
Nun, lieber Fritz, du hast genug mitnehmen
können, aber unsere Vorräte gehen langsam
zu Ende und was soll dann werden? Unsere
Hannchen ist im Harz bei den Engländern
in Windhausen im Quartier. Deine Mühle ist
auch wieder im Betrieb, wie mir Herr Simmert
ehem. Schriftleiter vom Lübener Blatt mitteilte, dieser
kam vor einigen Tagen hierher seine Familie suchen.
Er war 10 Wochen in Oberschlesien in russ. Gefangenschaft
und 1 Woche lang in Lüben aufgehalten
auf der Durchreise. Kreishandwerker Eigert* wurde
hinter Bunzlau von den Russen in Gegenwart seiner
Familie erschossen. Nun lieber Fritz, wie oft muß ich
an dich denken und wie schön hatten wir alles zu Hause.
Lebe wohl und sei nebst deiner lieben Familie bestens
gegrüßt in alter Treue von deiner Familie
Paul Schreiber


* Ernst Eigert, Kreishandwerksmeister, Tischlermeister






Aufdruck:
Immer wieder: Noch mehr Papier sparen!