Aus dem Fotoalbum der Familie Siebenhaar
Feldpostbriefe von Erich Siems und Hans Langner an Elisabeth Siems














Erwin Siebenhaar

Erwin Siebenhaar (1882-1963) -
Einziger Hausmeister des Lübener Gymnasiums

Was wäre die Schule gewesen ohne ihn? Hätte es ihn nicht gegeben, so hätte er erfunden werden müssen. Er war der gute Geist des Hauses vom ersten Tage seines Bestehens an. Das verlangte Verantwortungsbewußtsein und verlieh Autorität. Da durfte er schon mal erklären: "Ich und der Herr Direktor haben beschlossen...". Selbstbewußtsein war vonnöten bei der Rasselbande, die da tagtäglich in seinem Revier ihr Unwesen trieb.

Erwin Siebenhaar erblickte am 18. Oktober 1882 in Deschka, Krs. Görlitz das Licht der Welt, besuchte in Zentendorf die Schule und erlernte in Rothenburg/OL das Schlosserhandwerk. In Görlitz legte er die Gesellenprüfung ab. Danach ging er - wie sich das gehörte - auf Wanderschaft.

Seine Militärzeit leistete er beim Husarenregiment Totenkopf in Danzig-Langfuhr. Von 1904 bis 1906 kämpfte er in Deutsch-Südwestafrika.


Am 13. Mai 1907 heiratete er Selma geb. Neu.

Selma Siebenhaar

Mutter Selma Siebenhaar und die Töchter Elsa, Cäcilie und Gertrud

Aus dieser Ehe stammen die Töchter
(von links) Elsa, Cäcilie und Gertrud.

1911 wurde Erwin Siebenhaar für das neuerbaute Lübener Gymnasium als Schuldiener - heute würde man sagen: als Hausmeister - eingestellt. Diese Stelle bekleidete er vom ersten bis zum letzten Tag pflichteifrig, zuverlässig und ordnungsliebend, nur unterbrochen durch seinen Dienst im 1. Weltkrieg, den er als Freiwilliger von Anfang bis Ende mitmachte. In dieser Zeit übernahm seine Frau die Aufgaben als Schuldienerin des Lübener Gymnasiums.

Grab von Selma Siebenhaar

Selma Siebenhaar starb viel zu früh im Jahr 1922 und ließ ihre drei Mädchen als Halbwaisen zurück. 1926 heiratet Erwin Siebenhaar ein zweites Mal.

Dieses Foto aus dem Besitz der Nachfahren von Erwin Siebenhaar stellte Ulrich Grüttner zur Verfügung. Wir wissen nicht sicher, wer die drei Radler sind. Es ist jedoch anzunehmen, dass es Erwin Siebenhaar mit zwei Freunden ist.

Erwin Siebenhaar und Hedwig geb. Schäfer, Lüben 1926

Erwin Siebenhaar und Hedwig geb. Schäfer, Lüben 1926

Erwin Siebenhaar in Husarenuniform 1939

Das Foto zeigt Erwin Siebenhaar bei einem Treffen ehemaliger Husaren in seiner alten Uniform im Jahr 1939.

Hedwig und Erwin Siebenhaar mit Familienbesuch auf dem Schulhof des Lübener Gymnasiums

Auch seine zweite Frau war ihm bei seiner Arbeit im Gymnasium und in der Familie eine große Hilfe. Hedwig und Erwin mit Familienbesuch auf dem Schulhof des Lübener Gymnasiums.

Wie mag unserm Sibi um Herz gewesen sein, als er im Januar 1945 seine Schule im Stich lassen mußte? Seine erste Bleibe auf der Flucht fand das Ehepaar in Münchehagen bei Hannover. 1952 zog es dann zu den Töchtern nach Berlin. Hier verstarb Erwin Siebenhaar am 4. Juni 1963.

Quelle: Das Städtische Gymnasium in Lüben/Schles., Hans-Werner Jänsch, 1988 im Selbstverlag, S. 74.
Für die Fotos Dank an Dr. Dieter Launert. Auch für Elsas Schulzeugnis der Evangelischen Volksschule Lüben aus dem Jahr 1923!

1971 schrieben Siebenhaars Töchter Gertrud und Cäcilie ihre Erinnerungen an das Gymnasium und ihren Vater an das Lübener Heimatblatt.
Hier einige Auszüge daraus:

Besondere Ereignisse im Realgymnasium zu Lüben

Im Mai 1914 operierte der damalige Direktor Dr. Caspari mit zwei anderen Herren und einigen Primanern im Labor an einem chemischen Versuch. Es war an einem heißen Nachmittag, die Oberfenster im Raum waren geöffnet; auf einmal gab es einen ohrenbetäubenden Knall, gleichzeitig zersplitterten Glas und Fensterscheiben. Der Krach war so laut, daß die beiden Töchter Ann und Margaret Caspari aus dem Direktorhaus herbeieilten. Im Labor sah es unheimlich aus und alle Herren hatten mehr oder weniger Schrammen davongetragen, die durch Dr. med. Hübner behandelt wurden. Allerdings wurde damit festgestellt, daß dieses Experiment hundertprozentig funktionierte - aber der Schreck war wahrscheinlich allen in die Glieder gefahren. Bis heute aber dürfte nicht festgestellt worden sein, wie es, trotz aller Vorsicht, zu dieser Explosion gekommen war.

Cäcilie, Gertrud und Elsa Siebenhaar

Cäcilie, Gertrud und Elsa Siebenhaar
Auch auf einigen Klassenbildern
sind die Mädchen zu sehen.

1914 meldete sich Vater Siebenhaar freiwillig zum Heeresdienst, als treuer Husar war es für ihn genau so eine Pflichterfüllung wie für so viele der jungen Schüler, die damals gerade noch ihr Abitur ablegen konnten, und einige, die noch auf die Schulbank gehörten. Die Reihen waren immer lichter geworden und viele sind nicht mehr heimgekehrt, wie es die Ehrentafel in unserer so schönen Aula nachwies.

1916. Mutter Siebenhaar, die nun voll ihren Ehemann zu vertreten hatte, ließ eines Tages das Schlüsselbund irgendwo in einer Tür stecken. Ein Schüler nahm es an sich. Alles Suchen und Nachfragen verlief ohne Erfolg. Dr. Caspari hatte aber nur den Schlüssel zum Haupteingang, nicht für all die andern Türen, die ja abends abgesperrt werden mußten. Nun wurde der alte Stadtarbeiter Wilhelm Heinzel geholt, und mit dessen Hilfe wurde jede Tür mit einer Wäscheleine von der Türklinke zum Treppengeländer (!) und Pfosten festgesperrt. Unter die Türen kamen "Hundekorken", so wurden damals Knallkörper gelegt! Einbrecher wären durch den Knall in die Flucht geschlagen worden. Viele Tage danach wurde das begehrte Schlüsselbund in der Kalten Bache gefunden. Der damalige Polizei-Kommissar Kressin brachte es arg verrostet der geplagten Muttel Siebenhaar zurück. Der Übeltäter konnte nicht festgestellt werden. Deshalb wurden die Schüler der ganzen Schule durch Arrest und mit Strafarbeiten bedacht. Raus kam es trotzdem nie!

Der Stadtarbeiter Heinzel war der Retter in so mancher Lebenslage. Muttel Siebenhaar behauptete damals immer, er sei einfach unverzichtbar und so gehört er zur Geschichte des Lübener Gymnasiums. Er bediente in den Kriegsjahren (1914-1918) die Heizung der Schule, und seinem wachsamen Auge entging kaum etwas. Er war zwar fast taub (um so hellere Augen hatte er), und er benutzte als Hörrohr ein Horn, das wie der Trichter eines Grammophons aussah. Die Verständigung mit ihm war schon schwierig, aber den "Siebenhaars" ist es immer gelungen, mit ihm einig zu werden.

Irgendetwas passierte in so einer Schule täglich... So schlug bei einem schweren Gewitter der Blitz in eine Akazie ein! Mechthild Tscharntke, die Tochter unseres Direktors, fiel beim Spielen im Hof vom Baum (!) und brach sich den Arm... Unser Zwerghahn mopste in den Pausen den Schülern die Brote, aber er fraß sie nicht. Mich mußte Muttel jedesmal nach den Pausen aus irgendeiner Klasse rausholen, dort schien es mir besonders gut zu gefallen. Meine Schwester Gertrud schwärmte für die schönen bunten Mützen der Schüler (wer wohl nicht?); Elsa spielte gern im Sand, der auf diese Weise verstreut wurde, und war immer böse, wenn all ihre Sandbauten zerstört waren - ja, das war Lüben, das war auch die Kinder- und Jugendzeit der Siebenhaar-Kinder - denn der Schulhof stand ab Mittag für uns Mädchen zur freien Verfügung!

Wir erinnern uns noch an die Trauerfeier für den verstorbenen Direktor Dr. Caspari. Sie war der erste ernste Anlaß in der Geschichte der Schule. Später folgte die Enthüllung der Gedenktafel der gefallenen Schüler. Auch die Trauerfeier für den beliebten Bürgermeister Faulhaber wurde in der Aula abgehalten und viele Jahre später für den in Stadt und Landkreis beliebten und geschätzten Oberlehrer Gustav Zingel.

Nach dem Hinscheiden des ersten Direktors des Lübener Gymnasiums kam Direktor Erich Tscharntke. Wir alle hatten mit ihm und seiner Familie guten Kontakt, wir Kinder waren etwa gleichaltrig, wir spielten zusammen und stellten natürlich auch so manchen Unsinn an. Die Absicht, gemeinsam ein Theaterstück zu spielen, wurde von allen begeistert aufgenommen. So suchten wir uns zu diesem Zweck den Zeichensaal aus, rückten die Tische zu einer Bühne zusammen und versuchten nun unsere Kunst, verkleidet mit Kostümen aus Muttels Schrank.

Im Garten des Direktorhauses wurde ein Stall gebaut. Wir hielten ein Schwein und Hühner, die von unserer Muttel versorgt wurden. Die Hühner wurden eines Nachts gestohlen. Aber der Hahn weckte mit seinem Geschrei die Nachbarschaft, bei Baumgärtners wurde es lebendig, und so konnten die Diebe in die Flucht geschlagen werden. Einer der Diebe wurde sogar erkannt.

Eine Ziege gehörte zu unserem Viehbestand, die bei Vater Heinzel im Stall stand, sie war viele Jahre der beste "Milchmann". Als sie einen Haken im Heu verschluckt hatte, mußte sie notgeschlachtet werden. Da gab es, wie es so manchem Tierliebhaber geht, Tränen. Ein Erlebnis blieb auch noch haften: Unsere Enten fraßen gern Schnecken, wir suchten diese überall zusammen. Aber wehe, wenn uns Lehrer Eilert dabei erwischte, er zankte uns jedesmal sehr aus. Unsere "Muckeln" (Kaninchen) hatten wir im Keller untergebracht, um sie vor Diebstahl zu sichern. Unser Vatel hatte uns eine Dohle aus der Feueresse geholt, sie war so gelehrig, sprach sehr bald einige Worte, aber sie pickte und zwickte uns vor allem dann gern, wenn wir barfuß herumliefen. Ihr Tod war grausam: sie kroch ins Feuerloch, wurde im Ofen nicht bemerkt und verbrannte. Meiner Schwester Gertrud passierte das, sie war natürlich untröstlich und hat dieses Erlebnis bis heute nicht vergessen können.

Das Kollegium des Gymnasiums 1941

Wer würde unter den Lehrerkollegen den Hausmeister vermuten? Und doch ist Erwin Siebenhaar auf dem Bild von 1941!

Wir Kinder wissen es, der Name Siebenhaar war in Lüben bekannt, und so konnte einst ein bei uns zu Besuch weilender Neffe, der sich im Städtel verlaufen hatte, dem Polizeibeamten (es war Herr Münster) sagen, daß er bei Onkel Erwin in der Schule sei. Sehr schnell hatten wir den Bengel wieder daheim - das war eben unser Lindenstädtchen Lüben!

Für unseren Vater galten die Schüler als "meine Jungs" - das sagte einfach alles! Eines Tages, als Vater Siebenhaar zur Post ging und zurückkam, lief das Wasser so ganz leicht über den Brunnenrand, hatte aber kein Unheil angerichtet. Da stopfte doch so ein Quartaner die Löcher des Trinkbrunnens im Eingang des Gymnasiums mit kleinen Korkstücken zu und drehte die Wasserhähne leicht auf. Vater Siebenhaar stellte den Sünder, hielt ihm eine Strafpredigt, wobei er dessen "Wascheln" (Ohren) nicht losließ und sicher dadurch dem Quartaner die Angst verstärkte. Aber Vater Siebenhaar hat das nie dem Klassenlehrer gemeldet, auch wenn er Schüler erwischte, die selbst im Heizraum Zuflucht suchten, um Arbeiten schnell abzuschreiben. Vor allem, da er wußte, daß es oft auch schwer war, trotz Fleiß. Und er versagte nie Hilfe; er stand sogar "Schmiere", um "seine Jungs" zu warnen, wenn Gefahr nahte. Vor allem, wenn Dr. Krusche Aufsicht hatte. Wehe, wenn der jemanden erwischte!

Immer wieder könnte man erzählen, so wie es sicher jedem geht, der an seine Kindheit zurückdenkt. Bei uns "Siebenhaars" war es vielleicht lebhafter, abwechslungsreicher. So manches Mal erzählte uns Vater Schulstreiche, wir alle haben herzlich gelacht. Er selbst mußte sich oft, wenn er einen Schüler bei etwas erwischte, das Lachen verbeißen, er zeigte nur seine - sicher von so manchem gefürchtete - Miene. Wir wissen, daß er von manchem Schüler mit Absicht geärgert wurde. Wie oft sauste Vatel aus der Wohnung den langen Gang entlang und nirgends war ein Übeltäter zu sehen. Aber er selbst war im Grunde genommen eine heitere, frohe Natur, und so nur konnte es kommen, daß er von 1911 ab bis zum Weggange von daheim - 1945 - als Hausmeister an der Lübener Schule war - und er, wie auch seine Familie, sich mit allen Lehrkräften die Jahre hindurch irgendwie besonders verbunden fühlte. Er sagte so gern : "Ich und der Herr Direktor !" - das war nie böse gemeint, aber es wurde oft genug sichtbar, wie wichtig auch das Dasein eines Hausmeisters sein kann. - Er tat sehr gern seinen Dienst an der Schule, und das haben wohl auch die Direktoren Dr. Caspari, Erich Tscharntke und Erwin Vetter, wie sämtliche Herren und die letzten Jahre Damen des Lehrerkollegiums festgestellt.


Der ehemalige Gymnasiast Wolfgang Abramowski (1926-2013) ergänzte am 5.2.2009:

Ich kann mich noch gut an den Hausmeister Siebenhaar erinnern!
Er war es, der uns Fahrschüler am 1.9.1939 mit den Worten nach Hause schickte:
"Geht nach Hause, es ist Krieg und die Schule ist geschlossen".
Mit freundlichen Grüßen Wolfgang Abramowski