Meine Großeltern Konstantin und Gertrud Moch














Der 1. Weltkrieg beendete abrupt die glückliche Zeit im Leben der beiden. Konstantin Moch wird einberufen. Ich bin nicht sicher, wo Konstantin Moch im Krieg war. Ich glaube mich zu erinnern, dass von Frankreich gesprochen wurde. Mehr zu sagen war ein Tabu in unserer Familie. Manchmal wurde erwähnt, dass Großvater zweimal verschüttet gewesen sei. Als Kind konnte ich mir darunter nicht wirklich etwas vorstellen. Verschüttet... Jemand hat Wasser verschüttet... Ein Loch wird mit Sand zugeschüttet... Der Regen gestern: Es hat geschüttet...

Zu Beginn des Krieges gingen die meisten davon aus, dass es sich um einen kurzen "Bewegungskrieg" handeln würde. Aber die moderne Waffentechnologie zerstörte diese Erwartungen schnell. Durch Maschinengewehre, Granatwerfer, Handgranaten, Flammenwerfer, Stacheldraht und später auch Giftgas verwandelte sich der "Bewegungskrieg" innerhalb kurzer Zeit in einen "Stellungskrieg", der entsetzliche Opfer forderte. Angesichts der hohen Verluste gruben sich die Soldaten in Schützengräben, Unterstände bzw. Bunker, die mehrere Meter tief lagen, ins Erdreich ein. Dort mussten sie bei schwerem Artilleriebeschuss mitunter tagelang ausharren. Bei Volltreffern großkalibriger Geschosse wurden sie oft verschüttet und hatten dann kaum eine Chance, lebendig wieder ans Tageslicht zu gelangen.

Zweimal erlebte Konstantin Moch die Todesangst, bewegungsunfähig unter Erd- und Geröllmassen verschüttet zu sein. Zweimal schloss er mit seinem Leben ab. Zweimal wurde er aus dem engen dunklen Grab gerettet. Wen wundert es, dass er nie mehr davon sprechen wollte. WIE hätte er davon sprechen sollen?! Was er erlebt hatte, war kein Abenteuer gewesen!

Dass er Todesangst erlebt hatte, war kein Grund, ihn aus dem Kriegsdienst zu entlassen. Das hatten Millionen junge Männer an allen Fronten erlebt. Aber bevor er ins Gras beißt, will er seine Gertrud heiraten. Es muss schnell gehen. Niemand weiß, wie lange ein Soldat das Grauen überlebt. Am 18. Dezember 1915 heiraten Konstantin und Gertrud. Die Einberufung ermöglichte eine "Kriegstrauung" ohne vorheriges Aufgebot.

Auch die Eheurkunde ging bei der Flucht aus Schlesien verloren. Das polnische Standesamt schickte mir auf Nachfrage eine Übersetzung der Urkunde ins Polnische! Eine Dolmetscherin erstellte mir eine Abschrift des Originals! Alles sehr fremd und erinnert unweigerlich an das, was 1945 passieren wird...



Der gleiche Standesbeamte Jäkel, der vor fast vierundzwanzig Jahren die Geburtsurkunde von Gertrud Stein in Wilhelmsdorf ausgestellt hatte, unterzeichnete nun die Heiratsurkunde der beiden. Die Trauzeugen waren Hermann Fischer, der Ehemann von Gertruds älterer Schwester Elisabeth. Der zweite Trauzeuge, Hermann Bunzel, war Gertruds Onkel, der Bruder ihrer Mutter, ebenfalls aus Obergröditz.

Ob auch Konstantins Mutter aus Badewitz gekommen war? Niemand weiß es mehr. Es gibt keine Fotos, keine Berichte über die Hochzeit. Konstantins Vater war, wie aus der Eheurkunde zu erfahren, nicht mehr am Leben. Es ist auch unwahrscheinlich, dass eine richtige große Dorfhochzeit gefeiert wurde. Wahrscheinlich hatte Konstantin Moch nur ein/zwei Tage Fronturlaub. Sicher ist nur, dass auch ein Gottesdienst stattgefunden hat. Um sich auf evangelische Weise trauen zu lassen, brauchte der Bräutigam die Erlaubnis eines katholischen Priesters. Dies war wohl der letzte Akt, der Konstantin Moch als katholischen Glaubens auswies. Seitdem verbarg sich sein wirklicher Glaube hinter der Teilnahme an evangelischen Ritualen und Gottesdiensten.

Konstantin, Gertrud und Ursula Moch im Jahr 1921

Bald nach der Hochzeit musste Konstantin Moch wieder an die Front. Seit mehr als einem Jahr war Krieg. Er war nicht - wie erhofft - in wenigen Wochen entschieden worden. Maschinengewehre, Panzer, Flugzeuge und Giftgas verbreiteten Angst und Schrecken. Wo früher ein tödlicher Kampf Mann gegen Mann stattgefunden hatte, war der Mensch diesmal der Technik und ihrer Zerstörungskraft ausgeliefert. Bis Kriegsende verloren mehr als zehn Millionen Menschen ihr Leben. Darunter auch Fritz, der jüngste Bruder von Gertrud Stein.

Nach dem Krieg vollzogen sich unglaubliche Umwälzungen in Deutschland. Nicht nur der Krieg, eine Epoche ging zu Ende: Revolution, Flucht des Kaisers, Waffenstillstand, Weimarer Republik, Versailler Vertrag, wirtschaftlicher Niedergang, Arbeitslosigkeit, Hungersnöte, Krankheiten...

Konstantin Moch war noch stiller aus dem Krieg zurückgekehrt, als er es von Natur aus schon war. Viel Zeit musste vergehen, ehe er nicht mehr von Explosionen, abstürzenden Flugzeugen und zusammenbrechenden Gebäuden und immer wieder von Sterbenden und Toten träumte. Schwer fiel es ihm, sich in den neuen politischen Verhältnissen zurechtzufinden. Den "Dolchstoß durch die Novemberverbrecher" hielt er bis an sein Lebensende für die Ursache des ungerechten und harten Friedensvertrages von Versailles, der seine Heimat Oberschlesien besonders hart treffen sollte.

Konstantin Moch nahm sofort nach seiner Demobilisierung 1918 wieder eine Arbeit auf. Es könnte bei Eisenwarenhändler Schütze in Lüben Am Ring Nr. 6 gewesen sein. Belege dafür gibt es zwar erst für einen späteren Zeitpunkt. Aber die Frage, warum sich das junge Paar in der Kasernenstraße in Lüben niederließ, lässt vermuten, dass Konstantin Moch nach dem Krieg eine Arbeit in der Eisenhandlung Emil Schütze fand oder wieder aufnahm.

Das erste Foto, das von meinen Großeltern und meiner Mutter existiert. Sich fotografieren zu lassen, war noch etwas ganz Besonderes. Man musste in ein Photo-Atelier gehen. Dafür machte man sich extra fein. Großvater - nein! diesen schönen jungen Mann kann man doch nicht Großvater nennen - Konstantin Moch, mit einem kleinen Lächeln und dem offenen Blick, scheint voller Tatendrang und neuer Hoffnung zu sein. Seine immer noch ziemlich in der Mitte gescheitelten Haare, sein Bärtchen und der Vatermörder-Kragen weisen ihn als konservativen, vielleicht sogar immer noch kaisertreuen, disziplinierten und pflichtbewussten Mann aus. Er ist ganz Beschützer seiner kleinen Familie. Ich staune, wie sanft und zart Gertrud hier wirkt. Das Leben lehrt sie erst später, allein Entscheidungen zu treffen und sie auch allein durchzusetzen. Auf diesem Bild neigt sie sich liebevoll ihrem Mann und ihrem Kind zu und schaut ein wenig verunsichert zum Fotografen. Die enge Bindung zwischen Mutter und Tochter wird ein Leben lang anhalten. Konstantin Moch blieb in der Familie immer im Hintergrund wie auf diesem ersten Foto.