Vermutlich war Konstantin Moch schon vor seiner Eheschließung bei Eisenhandlung Emil Schütze in Lüben angestellt. Nur so erklärt sich, weshalb er mit seiner jungen Frau 1915 überhaupt nach Lüben gezogen war. Da Emil Schützes Sohn Erich kein Interesse für das Geschäft hatte, bot der über sechzigjährige Inhaber meinem Großvater Konstantin Moch irgendwann die Übernahme des Geschäfts an. Vielleicht ging es ihm gesundheitlich nicht mehr gut und er war froh, einen fleißigen und versierten Nachfolger gefunden zu haben.
Gemeinsam überlegten Konstantin und Gertrud, ob sie sich die Verschuldung durch einen Bankkredit zumuten wollten. Die Zeiten versprachen den Aufschwung der "Goldenen Zwanziger", keine Krise, keinen Krieg. Sie wollten es wagen. Der Traum von eigenen Geschäft sollte endlich wahr werden. Am 1. Juli 1925 war es so weit! Aus der "Eisenhandlung Schütze" wurde die "Eisenwaren E. Schütze Nachfolger Constantin Moch".
Auf diesem Ausschnitt eines Fotos der Mochschen Ringseite ist der Laden gut zu erkennen. In den Schaufenstern und davor auf dem Gehweg sind Eisenwaren ausgestellt, auch verzinkte Gegenstände wie Eimer, Bottiche, Kannen, sogar eine aufrecht gestellte Badewanne, ein Liegestuhl, Gartengeräte. Aufschriften über dem Schaufenster und auf der Fensterscheibe besagen: Emil Schützes Nachfolger Constantin Moch. (Das C von Constantin ändert er gemäß der Rechtschreibreform von 1901 später in ein K für Konstantin). Dahinter im Schaufenster noch einmal: Eisenwaren Werkzeuge.
Da entdecke ich das kleine Mädchen zwischen der Ladentür und dem Opel. Sie schaut konzentriert auf etwas in ihrer Hand. Mich überfällt der Gedanke, das könnte Ursula Moch sein, die Tochter des Eisenwarenhändlers, die einmal meine Mutter werden wird. Das Mädchen auf dem Bild ist vielleicht sieben, acht Jahre alt. Sollte es möglich sein, dass der Fotograf sie zufällig festgehalten hat, als sie aus dem Laden ihrer Eltern sprang? Sicher war sie oft dort, um nicht allein zu Hause bleiben zu müssen. Dort lernte sie Leute kennen und entdeckte die Warenwelt des Ladens.
Mir scheint, dass das Bild am frühen Morgen aufgenommen wurde. Mit dem Pferdewagen werden gerade die Milchkannen gebracht. Milch wurde damals noch lose verkauft. Der Kunde brachte ein Gefäß in die Molkerei mit, in das die Verkäuferin mit einer Kelle die gewünschte Menge schöpfte. Milch wurde zeitig frühmorgens in die Molkerei gebracht. Dass auf dem Foto noch keine Kunden unterwegs sind, ist ein weiterer Hinweis auf die Tageszeit. Die Geschäftsleute sind schon mit den Vorbereitungen zur Ladenöffnung beschäftigt. Sie sind mit Auto, Motorrad oder Fahrrad gekommen. Es ist unwahrscheinlich, dass zu dieser Zeit ein kleines Mädchen einfach so durch die Stadt spaziert. Alles deutet darauf hin, dass der Fotograf Ursula Moch unbeabsichtigt vor dem Laden ihrer Eltern geknipst hat.
Alles? Ein Indiz spricht dagegen. Der Opel vor dem Laden... Ich hatte das Foto an eine bekannte Autofirma mit der Bitte um Identifizierung des Modells geschickt. Mir wurde mitgeteilt, es handele sich um einen 1,2 Liter-Opel, Baujahre 1934/1935, Vierzylinder-Reihenmotor, Hubraum: 1.193 ccm, 23 PS in der Ausführung als Spezial-Limousine, damaliger Preis: 2.200.- Reichsmark.
Baujahr 1934 oder 1935? Tja... Dann kann das kleine Mädchen nicht Ursula Moch sein. Sie wäre dann schon 14 Jahre alt gewesen. Oder stimmen die Angaben zu dem Auto nicht? Es soll mir gleich sein. Für mich ist das kleine Mädchen meine künftige Mutter. Denn so war es wirklich: Als kleines Mädchen verbrachte sie viel Zeit im Laden ihrer Eltern und ein paar Schritte weiter in der Tiefen Straße bei ihrer gleichaltrigen Freundin Annemarie, Tochter des Fleischers John.
Später bildete mein Großvater selbst Lehrlinge aus. Einer von ihnen war Fritz Prüfer. Er lernte von 1941 bis 1944 bei meinem Großvater den Beruf des Eisenwarenhändlers. In einem Lübener Heimatblatt von 1961 fand ich eine Annonce mit seiner damaligen Anschrift: Düsseldorf-Rath, Rather Kreuzweg 74.
Lebt Fritz Prüfer noch? Wer kennt ihn oder seine Nachfahren und hilft bei der Kontaktaufnahme?
Ein weiterer Lehrling meines Großvaters in den 1930er Jahren war Ernst Maywald. Er hatte gemeinsam mit meiner Mutter (geb. 1920) die Volksschule in Lüben besucht. Er ist ganz jung im Krieg gefallen. So kann es nicht einmal Nachfahren geben. Aber vielleicht gibt es in der großen Maywald-Familie jemanden, der das Andenken an Ernst bewahren will.
Heidi T.