Das Leben meiner Großeltern zwischen zwei Weltkriegen














Mit unermüdlichem Fleiß und einer Sparsamkeit, die von den Nachbarn gelegentlich als Geiz interpretiert wird, arbeiten sich die beiden Mochs hoch.

Vom Laden kann man leben, wenngleich kleine Nebenverdienste immer willkommen sind. Gertrud Moch entwickelt sich zur geschäftstüchtigen Mitarbeiterin.

Sie holt ihre Nichte Charlotte, eine Tochter ihrer Schwester Emma, aus Gröditzberg nach Lüben. Gegen Kost und Logis hilft sie in Haushalt und Laden. Zeitweise wird auch noch der Gymnasiast Siegfried aus Ziebendorf in die Wohnung in der Kasernenstraße 13 aufgenommen.

Das lassen die Nachbarn natürlich nicht unkommentiert: Jetzt leben sie schon zu fünft in zwei Zimmern!

Konstantin Moch, links, zu Besuch bei der Schwiegermutter Louise Stein in Gröditzberg, Gertrud Moch und Schwager Marklowsky

Können sie sich keine größere Wohnung leisten? Oder auf den Kostgänger verzichten? Wo schlafen die überhaupt alle? Noch im Jahr 2006 wurden die Fragen von Lübenern an mich weitergegeben. Ich glaube, dass die Herkunft meiner Großeltern aus bescheidensten dörflichen Verhältnissen und ihr großer Wille, ein eigenes Geschäft zu gründen, oft im Widerspruch zueinander standen. Ihr Traum wäre beinahe an den finanziellen Umständen gescheitert. Ihre Ansprüche an die Wohnung blieben deshalb spartanisch. Und als man es sich leisten konnte, brauchte der Geschäftsmann eher ein Auto als eine repräsentative Wohnung: Hersteller: Auto Union AG Typ: DKW F 5 Modell: Reichsklasse Limousine Baujahr: 1936 Motor: Zweizylinder-Zweitakt Leistung: 18 PS Antrieb: Frontantrieb

Wenn die Einschätzung der beiden Autos richtig ist, würde das bedeuten, dass die Mochs sich nach zwei Jahren schon einen neuen Wagen zugelegt hätten. Vielleicht war der erste ein Gebrauchtwagen und nun endlich ein fabrikneuer. Als erstes machen die Mochs einen Ausflug nach Gröditzberg und besuchen dort Mutter Stein, die stolz auf ihre Tochter und den tüchtigen Schwiegersohn ist.

Die Gesichter künden von Stolz und Zufriedenheit. Es geht aufwärts... Mit uns und mit Deutschland... Wie gern wüsste ich, was sie über Hitler dachten, ob seine Politik ihnen - wenigstens manchmal - Angst machte, ob sie mit wachen Augen beobachteten, was den Juden auch in ihrer kleinen Stadt geschah. Ob sie sich fragten, warum Max Hirsch und Familie plötzlich weg waren, warum ein Herr Dudeck deren Destillation (Branntweinfabrik) übernommen hatte. Fragten sie sich, warum der verdienstvolle Bürgermeister Hugo Feige plötzlich 1933 aus dem Amt gejagt worden war? Schämten sie sich, dass fanatisierte Lübener am 9. November 1938 die Synagoge angezündet hatten? Oder waren sie nur glücklich, dass es "keine Arbeitslosen mehr gab", dass Autobahnen gebaut wurden, dass Deutschland wieder eine Wehrmacht hatte?

Ach wir Nachgeborenen! Wie glücklich können wir uns schätzen, dass wir rückblickend urteilen können und dass uns dieser Strudel nicht mit sich gerissen hat.