Der Evakuierungsbefehl der NSDAP Lüben
Flucht aus Schlesien














Meine Lübener!

Wir haben bisher größte Ruhe und Ordnung bewahrt, wir tun dies
auch in den nächsten Tagen. Dann werden wir gemeinsam die uns
gestellten Aufgaben lösen.

Wir lockern nun in aller Ruhe unseren Kreis auf. Ziel und Marsch-
befehl sind den Führern der Trecks bekannt.

Alles Nähere erfahrt Ihr durch Eure Ortsgruppenleiter.

Zuerst gehen die Frauen mit Säuglingen und Kleinkindern fort.
Danach alle Frauen und Kinder.

Gesondert folgt das Gepäck. Mitgenommen wird das Allernotwendigste
bis 70 Pfund.

Sorgt, daß Ihr für drei Tage Verpflegung bei Euch habt.

Schützt und fettet die Gesichter Eurer Kinder gegen Frost und Kälte.

Bleibt im Treck!
Jedes wilde Fortfahren ist unberechtigt und gefährdet alle!

Währt also Kameradschaft und Gemeinschaft.
Wir haben genügend Zeit.

Es wird alles getan werden, was irgend möglich ist, Euch diesen Weg
nicht zu schwer zu machen.
Ihr selbst helft am besten mit Ruhe und Disziplin.
Die Männer des Kreises rufe ich hiermit zur Verteidigung unseres
Kreises auf. Es meldet sich jeder sofort bei seinem Kompanieführer
bzw. Ortsgruppenleiter.

Die Volkssturmmänner 1. und 2. Aufgebot verbleiben in ihren Orten
bis sie von mir weitere Marschbefehle erhalten.

Bis zuletzt bleiben meine Ortsgruppenleiter. Ich befehle diese Selbst-
verständlichkeit nochmals ausdrücklichst.

Unser Weg geschieht für unsere Kinder, unsere Heimat, unsere Zukunft!
Für Deutschland! Heil Hitler!
Alfred Jonas, Kreisleiter
Lüben, den 26. Januar 1945


Evakuierungsbefehl Lüben


Dass der NSDAP-Kreisleiter die Lübener als sein persönliches Eigentum - "MEINE" - betrachtet, macht nicht nur die Anrede deutlich. Die verlogene Argumentation (Wir LOCKERN den Kreis auf...Wir haben genügend Zeit...), der Hinweis "Näheres durch die Ortsgruppenleiter", die Drohungen ("wildes" Fortfahren ist unberechtigt, die Forderungen nach Ruhe und Disziplin!) - alles zeigt, wie eine ganze Stadtbevölkerung nur noch Figuren im Spiel einer untergehenden Clique sind.

Eine angebliche Selbstverständlichkeit wird in dem Evakuierungsbefehl "nochmals ausdrücklichst" befohlen: Der Verbleib der NSDAP-Ortsgruppenleiter, die die Stadt als letzte verlassen sollen. Bürgermeister Rudolf Trenk, der 1937 seinen Namen Trzeciak in Trenk geändert hatte, der 1934 von der NSDAP - nach kommissarischer Besetzung der Stelle 1933 mit dem Lehrer Vetter - anstelle des gewählten Bürgermeisters Hugo Feige eingesetzt worden war und der gleichzeitig Ortsgruppenleiter der NSDAP Lübens war, flüchtete entgegen dieser Anweisung, bevor er von Kreisleiter Jonas grünes Licht zum Verlassen der Stadt erhielt. Nachdem man seiner habhaft geworden war, beging er am 2. Februar 1945 Selbstmord.