Großvaters Feldpostbrief Nr. 3 aus dem Jahr 1945














Feldpostbrief Görlitz, Montag, 12.2.45
Meine liebste Mama, Ursel, Kinder,
Lottel und Kinder!
Nun sind wir uns ein bißchen
näher, ich hatte solche Sehnsucht, daß ich
alles versuchte herauszukriegen, wo
Ihr steckt. Freitag Abend war ich mit
2 Kameraden in Gröditz, Sonnabend auch
noch übernachtet. Sonntag früh mußte ich
nach Goldberg um mich dort zu melden,
jedoch zog Goldberg gerade auch los*. Den Weg
von Liegnitz über Waldau - Seifersdorf nach
Gröditz haben wir zu Fuß gemacht, aber es
zog mich mit 1000 Ketten. Von Goldberg benutz-
ten wir gleich den Flüchtlingszug und fuhren
bis Merzdorf. Von hier mit einem Trans-
portzug nach Görlitz. Da mir die Gröditzer
leider nicht sagen konnten, wo Ihr jetzt seid,
war mein erster Weg zu Anny Schulz.
Du kannst Dir meine Freude denken,
als sie mir heute erhaltene Karte
zu lesen gab. Ihr müßt ja furchtbar ge-
litten haben. War Tag und Nacht mit den
Gedanken bei Euch.
Wir haben auch Furchtbares mitgemacht.
Unser ganzes Bataillon ist aufgerieben,

* Evakuierung, Flucht vor der heranrückenden Front.

Feldpostbrief gefallen, verwundet, vermißt und in Gefan-
genschaft. Auch Hptm. Weidner ist schwer ver-
wundet durch Brustschuß*. Ich und Herr
Weihrich haben ihn noch helfen aufladen.
Dadurch ist vom Bataillon nichts übrig. Ich lag
mit Herrn Hptm W. und Herrn Weihrich auf
einer Anhöhe vor Rosenig, auf der wir
fürchterliches Feuer bekamen. 5 m
weg lag Hptm. Weidner und schrie auf
einmal auf. Er blutete furchtbar aus
der Brust. Mit Herrn Weihrich haben wir
uns dann nach Liegnitz durchgeschlagen
und mußte Donnerstag Abend bzw. Freitag
früh fluchtartig über den Friedhof
und Zentrum in Liegnitz, sonst fielen
wir den Russen in die Hände. Denke
Dir, ich mußte in Dahme meine sämt-
lichen Sachen in Stich lassen. Habe nur
das, was ich anhatte. Auch die Schreib-
maschine ist fort. Die Russen hatten
den Ort umgangen und uns ein-
geschlossen, sodaß wir nur noch das
Leben retten wollten. 8 Gespanne
mit unseren sämtlichen Sachen und

* siehe dazu auch den Bericht des Landrats

Feldpostbrief die Schreibstube haben wir müssen
im Stich lassen. Auch das Auto vom Htpm.
Es ist schrecklich, wenn man an alles
so denkt. Jedoch bin ich heute tausend froh,
von dir liebste Mama ein Lebens-
zeichen zu haben. Wir sind erst heute
hier angelangt und werden uns
hier melden, schreibe dir sofort wieder.
Gröditzberg mußte gestern leider auch
räumen*. Tante Emma und Fischers wol-
len jedoch dableiben. So nun wißt ihr
wenigstens etwas von mir. Übrigens
ist das ganze Schreibmaterial v. Bataillon
auch den Russen in die Hände gefallen, sodaß
wir nicht mal eine namentliche Liste
haben. Ich war mit einem Busch (Wasser-
promenade) und dem Kutscher von
Hoffmann Brauerei in Gröditzberg. Herr
Weihrich wollte nach Haynau um sich
nach seiner Frau zu erkundigen. Bezügl-
ich einer Adresse an mich schreibe ich
Dir noch, da ich nicht weiß, wie lange
ich hier bin. Entschuldige nur die

* evakuiert werden, flüchten

Feldpostbrief Schrift, aber ich bin so vor Freude
aufgeregt. Hast du den Brief, den ich
an Lottel schrieb, erhalten? Ich hoffe, daß
ich Dir meine Adresse gleich schreiben
kann. Für heute sei Du, meine liebste
Mama, Ursel, Lottel und alle Kinder
herzlichst gegrüßt und geküßt von
Deinem lieben Papa,
Onkel und Opa
Mag alles verloren sein, Hauptsache
ist, daß Ihr da seid. Eins wollte ich
Dich noch fragen, hast hoffentlich das
Geld in der Kassette nicht vergessen.
Wenn nicht, solls auch weg sein.
Wir sind jetzt heimatlos und obdachlos.
Wenn nur Gröditz erhalten bliebe.
Ich freue mich mit Sehnsucht auf
Deine netten Zeilen an mich.
Herzl. Küsse Papa