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Die letzten Tage des Finanzamts Lüben Dumpf und schwer lastete die Stimmung der Januartage 1945 auf der Stadt Lüben. Der täglich deutlicher werdende Kanonendonner und die sich immer mehr nähernde Front ließen die kommende Gefahr ahnen. Im Finanzamt nahm der Dienstbetrieb seinen Lauf, wenn auch die bange Sorge um die Zukunft bei dem einen oder anderen lähmend gewirkt haben mag. Die Sturmzeichen hatten sich in den letzten Wochen vermehrt. In den vergangenen Monaten war die gesamte Gefolgschaft in jeder Woche einmal mit Hacke und Spaten zum Schanzen jenseits der Oder ausgerückt, zu einer Tätigkeit, die der sonstigen Verwaltungsarbeit fernlag, wenn auch deren Zweckmäßigkeit schon damals bei so manchem Bedenken hervorgerufen hatte. Anfang Januar 1945 fand eine Dienststelle des Ukrainischen Volksdienstes, die dem russischen Druck gewichen war, Unterkunft in den Räumen des Amtes, und der Führer einer G.K.mot., ein Reichsbahnbaurat, nahm Wohnung in den Diensträumen des Amtsleiters. Immer bedrohlicher wurde die Lage, als die ersten Flüchtlinge aus dem Warthegau eintrafen und mit ihnen ein großer Teil der Beamten des Finanzamts Guhrau, das unter feindlichem Druck nach Lüben verlagert worden war. Immer enger mußte im Amt zusammengerückt werden. Als dann der Hauptstrom der Flüchtlinge eintraf, hörte der Dienstbetrieb im Finanzamt gänzlich auf. Sämtliche Diensträume, ja selbst die weiten Korridore des Amts, waren belegt, das nun eher einem Heerlager als einer Verwaltungsbehörde glich. Endlose Ferngespräche mit dem Landesfinanzamt in Breslau und Verhandlungen mit den örtlichen Verwaltungen versuchten Klarheit zu schaffen über eine Verlagerung des Amtes und die Sicherstellung der hier eingelagerten Vermögenswerte - es war aber vergeblich! Als man am 27. Januar 1945* zum ersten Male lange Zeit keinen Kanonendonner vernahm, wollte man von einem Zurückweichen der Russen wissen. Da setzte aber abends 10 Uhr schlagartig eine heftige Kanonade ein, wie wir sie noch nie erlebt hatten. Abschuß und Einschlag lagen fast gleichzeitig, die Fenster klirrten und der Himmel rötete sich, nach kurzer Zeit erlosch das Licht und die Telefonverbindung hörte auf! Jetzt wurde es ernst. Der von der Wehrmacht gesprengte Flugplatz brannte und auch in einem nördlichen Vorort züngelten die Flammen. Sämtliche Flüchtlinge und auch die Angehörigen des Finanzamts Guhrau hatten bereits im Laufe des Tages oder am Abend das Amt verlassen. Sie waren in Richtung Haynau weitergezogen, meist unter Zurücklassung der bisher geretteten Habe. In den Diensträumen sah es wüst aus - Kleidungsstücke und erhebliche Mengen wertvoller Lebensmittel waren zurückgelassen worden. Wir waren allein in den weiten Räumen des Amtsgebäudes und warteten schicksalergeben die weitere Entwicklung der Dinge ab. Nach Mitternacht hörten wir von der Hauptstraße her das Geräusch schwerer Raupenfahrzeuge, nach einiger Zeit bog eines in die Hann-von-Weyhern-Straße ein und hielt vor dem Finanzamt. Ihm entstieg - unser Baurat Broxtermann. Er hatte 40 Flak-Zugmaschinen seines Instandsetzungswerkes auf den Weg gebracht mit dem Befehl, so viele Lübener Einwohner wie nur irgend möglich herauszubringen. Ihm verdanken wir, wie auch Obersteuer-Insp. Paul Gottwald und Familie, die bei uns waren, unsere Rettung aus höchster Gefahr. Selbst unterwegs sammelte er noch eine große Anzahl Flüchtlinge auf, die im Schnee steckengeblieben waren. Hoch klingt das Lied vom braven Mann, und wenn damals noch eine Ordensverleihung möglich gewesen wäre, er hätte dies verdient. Er brachte uns zunächst bis Haynau und nach zwei Tagen weiter über Hoyerswerda - Bautzen nach Großenhain (Sachs.). Das Finanzamt bezog beim dortigen Finanzamt Ausweichunterkunft. Wir führten ein Schattendasein, dem schon nach einigen Tagen durch die Anordnung des Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung ein Ende bereitet wurde. Damit war das Schicksal des Finanzamts Lüben endgültig besiegelt. Das Finanzamt hatte zuletzt 20 Beamte und 20 Angestellte. Davon waren 11 Beamte und 12 Angestellte bei der Wehrmacht, dem Unternehmen Barthold bzw. zur Rüstungsindustrie abgestellt. Quelle: Heinz Boderke, Der Kreis Lüben - Die Zeit danach, S. 9* Der Tag, an dem alle Lübener die Stadt verlassen mussten. |