Landesbaurat Blümner aus Breslau
über den Bau der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Lüben (Heilanstalt Teil II)
Anstaltskirche














Dank für den Hinweis auf die Dokumentation an Tomasz Mastalski!

Die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt zu Lüben i. Schles. verdankt ihre Entstehung einem Beschluss des Provinzial-Landtages vom 18. März 1901, nach welchem die Errichtung einer neuen Anstalt für 1000 Kranke in die Wege geleitet werden sollte.

Als Ort für die neue Anstalt wurde die Stadt Lüben gewählt, welche sich zu erheblichen Opfern - wie kostenlose Ueberlassung von 50 ha Bauland in der Nähe der Stadt, billige Ziegellieferung für den gesamten Bau usw. - erbot und bezüglich ihrer Lage und der kommunalen Einrichtungen - höhere Schulen, Gasanstalt, Schlachthof usw. - allen Anforderungen entsprach. Durch Zukauf weiterer Ländereien und zweier benachbarter Mühlengrundstücke wurde das Anstaltsareal auf 145,50 ha vergrössert. Hiervon entfallen auf das eigentliche Baugelände einschl. der Höfe, Gärten und Wege 20,50 ha und verbleiben für den landwirtschaftlichen Betrieb 125 ha.

Das Gelände beginnt südlich des Schnittpunktes der Bahnstrecke Lüben-Raudten mit der Chaussee Lüben-Polkwitz-Glogau und erstreckt sich längs der Chaussee in einer Breite von 300-500 m. Als Bauplatz wurde mit Rücksicht auf den Verkehr mit der Stadt und dem Bahnhof der der Stadt zunächst gelegene Abschnitt gewählt. Der Zugang zur Anstalt erfolgt von der Chaussee aus. In der Achse des Eingangs liegt am Ende eines mit Linden eingefassten Weges auf einer kleinen mit alten Bäumen bestandenen Anhöhe die Anstaltskirche. Links von diesem Wege sind Wohngebäude (die Villa für den Direktor, ein Aerztewohnhaus, zwei Beamtenwohnhäuser) und das Festsaalgebäude, rechts davon ausser dem Verwaltungsgebäude die Kranken- und Wirtschaftshäuser errichtet.

Wie aus dem beigefügten Lageplan hervorgeht, war es bei der geringen Breite des zur Verfügung stehenden Geländes nicht möglich, die Gebäude der Männer- und der Frauenseite symmetrisch zu einer Mittelachse zu errichten. Die Trennungslinie zwischen den beiden Geschlechtern geht etwa vom Verwaltungsgebäude zur Kochküche. Der nach der Chaussee zu gelegene Teil nimmt die Häuser für Männer, der andere, der Einsicht von aussen völlig entzogene Abschnitt, die Gebäude für Frauen auf. Die einzelnen Pavillons sind so angeordnet, dass an jedem Hause ein hinreichend grosser Garten für die Kranken vorhanden ist.

Da die gesamte Anstalt nur für die Aufnahme von Kranken der sogenannten III. Kl. eingerichtet werden sollte, und die für den einzelnen Krankenplatz zur Verfügung stehende Bausumme knapp bemessen war, wurden sämtliche Baulichkeiten so einfach wie möglich hergestellt. Selbstredend wurden dabei die modernen hygienischen Forderungen und die neuzeitliche Bauweise in konstruktiver, wirtschaftlicher und ästhetischer Hinsicht nach Möglichkeit berücksichtigt.

Der freien Behandlung der Geisteskranken wurden der Zeitrichtung entsprechend die weitgehendsten Konzessionen gemacht. Das Anstaltsgelände ist nur längs der Chaussee durch einen Drahtzaun mit einer lebenden Hecke abgeschlossen. An den übrigen drei Seiten ist es offen geblieben. Die Erholungsgärten sind ebenfalls nur mit 1,20 m hohen Zäunen, die in den gärtnerischen Anlagen gar nicht in die Augen fallen, abgegrenzt. Eine allgemeine Vergitterung der Fenster ist nur an dem Hause für unruhige Männer zur Verwendung gekommen. Feste Zellen sind nur eingerichtet in den Aufnahmestationen und in den Gebäuden für Unruhige.

Zur Aufnahme von Geisteskranken stehen zur Verfügung als sog. geschlossene Anstalt:

auf der Männerseite
2 Aufnahmegebäude für je 60-120
1 Gebäude für Unruhige für 70
1 desgl. für sog. Halbruhige für 60
1 desgl. für bettlägerige Sieche für 60
1 desgl. für nicht bettl. Sieche für 100

410

auf der Frauenseite
2 Aufnahmegebäude für je 60-120
1 Gebäude für Unruhige für 70
1 desgl. für sog. Halbruhige für 60
1 desgl. für bettlägerige Sieche für 60
1 desgl. für nicht bettl. Sieche für 100

410

Hierzu kommen noch je 15 Männer und Frauen in den beiden Geschlechtern dienenden Pavillon für Tuberkulöse und Infektiöse. Die sog. freien Abteilungen umfassen:

auf der Männerseite:

2 Dorfhäuser für je 50-100
Werkstättengebäude

25
125


auf der Frauenseite:
1 Dorfhaus für 50
in Koch- und Waschküche zus. 70
in der sog. Peukertmühle

50
170

Mit Einrechnung der 50-60 Pfleglinge, deren familale Unterbringung in Anstaltsgebäuden teils durchgeführt, teils in die Wege geleitet ist, wird demnach die Anstalt rund 1200 Kranke aufzunehmen vermögen. Von den 5 Gebäudegruppen der sog. geschlossenen Anstalt zeigt jede einen besondern, dem Krankheitscharakter der Insassen angepassten Typus. Das Obergeschoss bietet im allgemeinen dieselbe Raumverteilung wie das Erdgeschoss, nur tritt an die Stelle einer nach dem Garten geöffneten Halle oben ein offener Balkon oder - in den Aufnahmestationen und in den Häusern für Unruhige - eine geschlossene Veranda.

Der Grundriss einer Aufnahmestation zeigt in der Hauptsache 2 Wachsäle, die durch einen nach beiden Seiten offenen Tagesraum - gleichzeitig der Sitz der Nachtwache - miteinander verbunden sind. Zwischen den Wachsälen liegt das Bad, in welchem 2 Wannen für Dauerbadbehandlung und zwei Wannen für Reinigungsbäder eingerichtet sind. Foto Aufnahmestation Aussenansicht

An die Wachsäle schliessen sich einige Einzelzimmer, sowie die erforderlichen Wirtschaftsräume. In jedem Stock ist eine feste Zelle vorgesehen. Bei den Pavillons für Unruhige bilden die beiden in der Mitte gelegenen grösseren Krankenräume, die durch einen breiten Durchgang - den Sitz der Nachtwache - miteinander in Verbindung stehen, die eigentliche Ueberwachungsabteilung. Das Bad ist von beiden Räumen bequem zu erreichen. An die beiden Wachräume schliessen sich Schlaf- und Tagesräume für die am Tage ausser Bett befindlichen Kranken.

Isolierzimmer sind in diesem Hause in Verbindung mit den Tagesräumen und vom abgeschlossenen Korridor aus zugänglich angelegt. In dem Hause für Halbruhige wird die Mitte eingenommen durch 2 grosse Tagesräume, die nach dem Garten zu in Verbindung mit grossen Veranden stehen. Seitlich schliessen sich an die Tagesräume die Schlafräume an.

Bei den Pavillons für bettlägerige Sieche besteht der Hauptteil des Gebäudes aus 2 mit einer grossen Oeffnung verbundenen Krankensälen. Bad und Klosett sind von jedem Saale bequem zu erreichen. Die kleinen Tagesräume an den Ecken stehen mit den vorgelegten Veranden in Verbindung. Das Dachgeschoss dieser Häuser ist zur Aufnahme einer Station für leichte Kranke ausgebaut.

Bei den Gebäuden für nicht bettlägerige Sieche kam es darauf an, eine möglichst grosse Belegungsfähigkeit zu erreichen. Hier wurde das ganze Dachgeschoss mit für Krankenräume ausgenutzt. Die Anordnung der einzelnen Räume geht aus den beigefügten Grundrissen zur Genüge hervor.

Das für tuberkulöse und infektiöse Kranke beiderlei Geschlechts bestimmte, am äusseren Rande des Baugeländes errichtete Gebäude besteht aus einem zweigeschossigen Mittelbau, welcher im Obergeschoss die Räume für Infektiöse enthält und aus zwei eingeschossigen Flügelbauten, die in luftigen Räumen die an Tuberkulose Erkrankten aufnehmen. Die grossen Liegehallen bieten Raum für je 6 Liegestühle.

Bei der offenen Abteilung sind die sog. Dorfhäuser zur Aufnahme von je 50 Kranken eingerichtet. Das Erdgeschoss enthält hier ausser den Wirtschaftsräumen, dem Putzraum und dem Bade einige Wohnräume, von denen ein Raum als Esszimmer benutzt wird. Auch im Obergeschoss sind noch 2 Tagesräume vorgesehen. Die übrigen Zimmer des Obergeschosses und des ausgebauten Dachgeschosses dienen als Schlafräume.

Uber die Konstruktion der Gebäude sei nur kurz das Folgende bemerkt: Die Häuser sind sämtlich massiv errichtet und haben mit Ausnahme einiger Dachgeschosse massive Decken. Als Fussboden in den Krankenräumen ist fast überall Linoleum zur Verwendung gekommen. Nur in einigen Tagesräumen, Einzelzimmern, sowie in einigen Zimmern der Dachgeschosse ist eichener oder kieferner Fussboden verwendet. Die Eingänge und Nebenräume haben zum Teil Fliesenbelag, zum Teil Terrazzo erhalten. Die Treppen bestehen zumeist aus Beton mit Linoleum- oder Holzbelag. Die Wände in den Wohn- und Schlafräumen der Kranken haben durchweg über einen Oelsockel von 1,40 - 1,80 m Höhe hellen Anstrich mit einigen farbigen Friesen erhalten. Zahlreiche Bilder an den Wänden verleihen den Räumen etwas Behagliches. Die Aussenseiten der Gebäude sind über einem Rohbausockel durchweg in einfachem Rauhputz gehalten. Bei den Dachgeschossen ist zum Teil Fachwerk zur Verwendung gekommen. Die Dächer sind zumeist mit roten Biberschwänzen eingedeckt.

Die Stationen deren geschlossenen Abteilung sowie die Wasch- und Kochküche werden von einer Zentrale aus geheizt und zwar mit Niederdruckdampf. Für die Dampferzeugung stehen 4 grosse Kessel von je 93 qm Heizfläche zur Verfügung. Der Dampf wird ausser zum Heinzen von 16 grossen Gebäuden benutzt zum Betriebe der Wasch und Kochküche, sowie zum Antrieb von 2 Dynamomaschinen nebst Zusatzaggregat behufs Speisung einer Akkumulatorenbatterie von 252 Elementen. Sämtliche Krankenräume haben elektrische Beleuchtung. Ausserdem wird die elektrische Kraft benutzt zum Antriebe einiger Maschinen in der Waschküche, der Kochküche, der Bäckerei und der Schlosserei. Die städtische Gastanstalt liefert Gas für die Beleuchtung der Anstaltswege, der Beamtenwohnungen, der Bureaus sowie der mit Gastkochern ausgestatteten Aufwaschküchen in den Stationen. Der begehbare Heizkanal, welcher in einer Länge von über 800 m die einzelnen Gebäude verbindet, enthält die Dampfleitungen für die Heizung und die Warmwasserbereitung in den Häusern. Der hochgespannte Dampf wird in jedem Gebäude reduziert, so dass die Heizung überall mit Niederdruckdampf erfolgt. Ferner dient der Kanal noch zur Aufnahme der Kabel für die elektrische Beleuchtung und für das Anstaltstelephon.

Die Anstalt besitzt eine eigene Wasserversorgung, ist aber zur etwaigen gegenseitigen Aushilfe an die städtische Wasserleitung angeschlossen. Der Brunnen liegt oberhalb der Anstalt und gibt hinreichend einwandfreies Wasser. Geringe Mengen von Eisen werden durch eine Enteisungsanlage - System Bräuer, Berlin - fast völlig beseitigt. Das Wasser wird durch ein Pumpwerk, welches teils durch Ausnutzung einer kleinen Wasserkraft, teils durch einen elektrischen Motor betrieben wird, nach dem etwa 200 cbm fassenden, auf dem höchsten Punkte des Anstaltsgeländes gelegenen Wasserreservoir emporgedrückt.

Die Entwässerung geschieht nach dem sog. Trennsystem. Die Regen- und Wirtschaftswässer werden nach einer mechanischen Klärung in einem grossen Becken über die Wiese direkt dem Bachlaufe zugeführt, die Abortwässer sowie die Abwässer aus der Wasch- und Kochküche und dem Sezierraum gelangen vorher in eine Kläranlage nach System Erich Merten, Berlin. Die Abwässer aus dem Hause für Tuberkulöse und Infektionöse werden vor ihrem Eintritt in die Klärgrube desinfiziert. Bei dem Bau und der Einrichtung der Wasch- und Kochküche sind die neuzeitlichen Erfahrungen auf diesem Gebiete berücksichtigt worden. Die Obergeschosse in beiden Gebäuden sind zur Unterbringung der bei der Wäscherei und beim Betriebe der Kochküche beschäftigten leichten Kranken eingerichtet.

Die Anstaltsbäckerei hat sich , was Leistungsfähigkeit, Einfachheit des Betriebes, sowie Qualität der Backwaren anbetrifft, gut bewährt. Das Wohnhaus eines nachträglich angekauften Mühlengrundstückes, der sog. Peukert-Mühle, wurde durch einen durchgreifenden Umbau zu einer Station für ruhige, sieche Frauen eingerichtet. Das grosse Stallgebäude bot Raum, die gesamte Schweinemast und -zucht der Anstalt unterzubringen. In einem Anbau ist ein kleines Schlachthaus eingerichtet.

Die Leitung der Anstalt wurde dem Direktor der Tost'er Anstalt, Geheimen Sanitätsrat Dr. Simon, übertragen. Sämtliche Pläne wurden im Einverständnis mit ihm zur Ausführung gebracht. Dadurch, dass dieser erfahrene Anstaltsdirektor schon vor der Fertigstellung des Baues nach Lüben versetzt wurde, hatte er einen wesentlichen Einfluss auf die innere Ausgestaltung der Gebäude.

Der Bau der Anstalt wurde im Jahre 1902 begonnen. Ein Teil der Krankenhäuser sowie die Wirtschaftsgebäude waren im Herbst 1905 fertig, so dass die ersten Kranken am 16. November 1905 aufgenommen werden konnten.

Blümner, Landesbaurat Breslau

Erschienen in: Deutsche Heil- und Pflegeanstalten für Psychischkranke in Wort und Bild; Bd. 1, 1910
Standort: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky