Erinnerung an Brodelwitz
Ich bin aus Haynau und besuchte von 1924-1926 die landwirtschaftliche Haushaltungsschule Brodelwitz.
Die Schule war an das Rittergut Brodelwitz angegliedert und unterstand der Landwirtschaftskammer Breslau.
Vor dem Schloß blühten im Frühjahr hunderte Narzissen.
In der Schule waren wir 30 Mädchen von überall her. Die freundschaftliche Verbindung mit Edith Reuleaux, die aus Ullersdorf an der Schnellen Deichsa stammte, besteht jetzt noch. Sie ist in Holland verheiratet, und es vergeht kein Jahr, in dem wir uns nicht sehen.
Wir alle waren "die Heimchen", im ersten Jahr "die Küken", im zweiten Jahr "die Alten". Im Sommer wie im Winter (außer Sonntag) wurden wir um 5 Uhr von Fräulein Brachmann geweckt. Es gab drei Schlafsäle, in jedem eine Stubenälteste, die für Ordnung zu sorgen hatte. Wie oft haben wir den Mädeln, die oben schliefen (es waren Stockbetten), die Bretter rausgenommen und gewartet, bis sie ins Bett kletterten und durchfielen mitsamt dem Strohsack.
Kurz vor 6 Uhr gab es Frühstück, Milchsuppe, die manchmal angebrannt war. Sie schmeckte trotzdem! Von 6-8 Uhr war Unterricht, den unsere Heimleiterin, zuerst Frau Opitz, später Frl. Fuhrmann (sie stammte aus Oppeln), leitete. Um ¼ 9 Uhr gab es dann zweites Frühstück. Danach ging es je nach Jahreszeiten mit Gesang zu Arbeiten aufs Feld. Die Mädel, die für die Küche, die Wäsche oder die Schloßküche eingeteilt waren - immer ein "Küken" und eine "Alte", die alle Wochen wechselten - walteten ihrer Ämter. Auch im Hühnerstall waren immer zwei Mädel eingesetzt. Kühe melken usw. besorgte der Schweizer* Karl Bleul. Schweine und Pferde wurden von den Hofleuten versorgt.
Oft holte sich auch Inspektor Hahn zwei oder drei Mädel zum Pleudern** oder zum Umstechen von Getreide auf den Schüttboden. Dort war es oft lustig, denn wir hatten keine Aufsicht. Da sind wir so manches Mal auf die hohen Getreideberge geklettert und runtergerutscht. Die versäumte Zeit holten wir mit doppeltem Fleiß nach. Aufs Feld begleitete uns Frl. Brachmann. Sie stammte aus Sangerhausen. Wenn sie frei hatte, bekamen wir Frl. Klara Teichmann, die Tochter des Gutsbesitzers Friedrich Teichmann, die wir sehr liebten, weil sie immer so lustig war, als Aufsicht.
Die Heuernte war die schönste Arbeit neben Steine lesen, Gurken ernten, Getreidepuppen aufstellen. Oft wurde gleich an Ort und Stelle das Getreide mit der Dreschmaschine gedroschen. Ich war öfter an der Maschine mit dem Einlegen der Garben beschäftigt. Dann kam noch die Kartoffelernte, Flachs raufen, aufforsten, Stämme schälen, Futterrüben in Mieten schlagen. Beim Aufdecken im Frühjahr entschlüpfte oft ein Mäuslein, zum Schrecken mancher Mädel! In der Spargelzeit gab es von 102 Beeten viel Spargel zu ernten. Und in der Pflaumenzeit haben wir zentnerweise Pflaumen entkernt. Holz wurde zum Aufstapeln von Hand zu Hand weitergereicht. Dabei hat manchmal Herr Teichmann zu mir gesagt: "Na feste, Gustav!" Warum, weiß ich nicht. Für sämtliche Außenarbeiten war Inspektor Hahn zuständig.
Im Schloß gab es auch Arbeiten für uns, z.B. Silberputzen, Parkettböden abraspeln und anderes. Auch Feste wurden gefeiert, Erntedank oder wenn die "gnädige Frau" Geburtstag hatte. Dann studierten wir kleine Theaterstücke ein. Ich entsinne mich, daß wir im Park am kleinen Teich als Elfen tanzten. Auch Tanzabende unter uns Mädeln fanden statt, denn Partner waren nur Lothar Teichmann, Inspektor Fritz Hahn, Oberinspektor Pieper und Christian, der Eleve. Die Tanzabende waren immer im Schloß. Im Büro waltete Frl. Krüger. Weihnachten wurde für drei Wochen die Schule geschlossen und wir fuhren alle heim. Zweimal im Jahr war Besuchstag für die Eltern. Da gab es immer gute "Mittebringsel" und uns stand der Tag zur freien Verfügung.
Ich denke gern an diese Zeit zurück, es war eine schöne Zeit. Wir wurden nicht überfordert und lernten arbeiten. Was mich immer traurig stimmte, war, daß ich kein Bild von dieser Zeit besitze. Aber wer von uns Mädeln hätte damals schon einen Fotoapparat?!
Um so mehr freute ich mich, als ich unerwartet ein Bild von Edith Reuleaux aus Holland erhielt, das zeigt, wie wir uns im Karneval kostümierten.
Ilse Hädelt geb. Werner in Lübener Heimatblatt 6/1982
* Mundartlich für Melker
** Mundartlich für Trennen von Spreu und Körnern