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Brodelwitz Kreis Lüben in Schlesien: Weigmanns Warenhandlung, Partie am Dorfteich, Dorfstraße, Schloß.
Mit einem herzlichen Dank für das wunderschöne Bild an Ernst Gehlich! Sein Elternhaus ist das hintere Haus auf dem Bild der Dorfstraße.
Schloss Brodelwitz um 1938
Verlust und Leid auf beiden Seiten Die alten Brodelwitzer Am Ende des zweiten Weltkrieges wurden Menschen zwangsweise aus Brodelwitz (später Brodów) weg und andere nach Brodów (früher Brodelwitz) hin vertrieben. Über diese Menschen möchte ich berichten. Obwohl sie sehr schmerzliche historische Unterschiede trennen, vereint sie die gemeinsame Liebe zu ihren kleinen heimatlichen Gebieten, die sie gegen ihren Willen verlassen mussten, weil es die Großen dieser Welt, die zu damaliger Zeit regierten, so wollten. Es verbindet sie die Sehnsucht nach den zurückgebliebenen Gehöften, Kirchen, Friedhöfen und auch den Erinnerungen an die gelebte Kindheit. Die Erinnerungen aus der Kindheit sind die liebsten im Leben eines Menschen.
So ist es auch im Fall dieser beiden Gruppen von Menschen.
Die heute 80jährigen Bewohner von Brodelwitz, die ich Ihnen vorstelle, waren vor dem II. Weltkrieg 8-jährige Kinder, die während des Krieges das Leben der Erwachsenen führen mussten. Ernst Gehlich, jetziger Einwohner Magdeburgs, sowie Katharina Katterbe (geb. Kaulisch) aus Berlin und Erna Grubert (geb. Exner) aus Taufkirchen waren 14 Jahre alt, als sie Brodelwitz verließen. Aufgrund ihrer Erinnerungen, die Frau Dr. Annekatrin Thomas, die Tochter des Brodelwitzer Gutsbesitzers, Herrn Dr. Wilhelm Teichmann, in ihrem Buch "Erinnerungen an Dorf und Gut" aufgeschrieben hat, stelle ich Ihnen die Vorkriegsgeschichte von Brodelwitz vor, die banal, aber auch interessant und erstaunlich scheint. Wussten Sie, dass die Gemeinde Raudten, zu der Brodelwitz lange Zeit gehörte, über 200 Jahre Teil des Kreises Steinau war? Vom 1. Oktober 1932 bis 1945 gehörte Brodelwitz zum Kreis Lüben. Die ersten deutschen Erwähnungen über Brodelwitz in den deutschen Kirchenchroniken sagen aus, dass der Lübener Kreis mit den dazugehörigen Dörfern (15 Dörfer einschließlich Brodelwitz - Eintrag vom 22. August 1339) durch König Johann von Böhmen an den Liegnitzer Fürsten Boleslaus verkauft wurde. Das durch Herrn Dr. Wilhelm Teichmann bewirtschaftete Landgut hatte vor dem II. Weltkrieg eine Fläche von 371 ha. Das Dorf dagegen 2611 ha, wobei der Löwenanteil den vier größten Landwirten gehörte: Alfred Methner 105 Morgen, Arthur Methner 150 Morgen, Paul Michel 120 Morgen und Ernst Gehlich 76 Morgen. Im zum Gut gehörenden Schloss wurde eine Haushaltschule für Mädchen "aus gutem Hause" geführt. Die Gruppe zählte jeweils 20 bis 35 Mädchen. In den Anfangsjahren des Krieges waren in diesem Schloss Kriegsgefangene aus Polen und Frankreich interniert, die für das Gut oder in den vorher erwähnten großen Landwirtschaften arbeiten mussten. Im Jahre 1940 waren im Schloss Schüler aus Berlin, die bei der Ernte und bei Grabungen halfen. In den letzten zwei Kriegsjahren dagegen wohnten im Schloss die Verwandten der Familie Teichmann, die aus den bombardierten Teilen Deutschlands evakuiert waren. Auf dem Gutsgelände existierte eine Stärkefabrik, in der der größte Teil der Brodelwitzer Einwohner arbeitete. Während des II. Weltkrieges wurden in der Fabrik Flugzeugteile für die Luftwaffe produziert. Zu diesem Zweck hatte man aus Berlin 10 Spezialisten kommen lassen: Dreher, Schlosser und einen Ingenieur, der die Arbeiten beaufsichtigte. Schlesien war der Luftschutzkeller Deutschlands... Das Gut führte eine enge Zusammenarbeit mit den Landwirtschaftsbetrieben: Mit der Kartoffelflockenfabrik in Raudten und der Molkerei in Queißen, von der aus per Zug täglich frische Milch nach Berlin geschickt wurde. Die Molkerei war damals sehr modern, sie nahm täglich zur Verarbeitung bis 10.000 Liter Milch an und produzierte Käse und andere Produkte. Sowohl die Kartoffelflockenfabrik als auch die Molkerei in Queißen befanden sich auf Grundstücken, die Eigentum des Herrn Friedrich Teichmann, des Vaters von Dr. Wilhelm Teichmann, waren. Die neuen Brodelwitzer Am 23. August 1939 wurde der deutsch-sowjetische Ribbentrop-Molotow-Pakt geschlossen, dem ein geheimes Protokoll über die Teilung Polens entlang der Linie der Flüsse Narew, Wisła, San und Pisa beigefügt war. Am 1. September 1939 überfiel Hitlerdeutschland Polen. Am 17. September fiel die sowjetische Armee auf das Territorium der Republik Polen ein. Am 28. 9. 1939 kam der deutsche Außenminister Ribbentrop erneut nach Moskau und unterschrieb mit der sowjetischen Regierung den "Vertrag über die Grenzen und die Freundschaft". Damit besiegelte er "die vierte Teilung Polens". Das war der Anfang des großen Dramas für das polnische Grenzland und die dort lebende Bevölkerung. Im November des gleichen Jahres wurden die durch die Russen okkupierten Gebiete der UdSSR angeschlossen. Das waren die Gebiete um Lemberg, Stanislau (heute Iwano-Frankiwsk), Tarnopol (heute Ternopil), Wolhynien und Nowogrodek (heute Nawahradak), die von 14,3 Millionen Menschen bewohnt waren, darunter 6,5 Mill. Polen. 50 % des Territoriums Polens befand sich damit plötzlich auf sowjetischer Seite. Mit einem Dekret des Obersten Sowjets vom 9. 11. 1939 wurde allen Bewohnern dieser Gebiete die sowjetische Staatsbürgerschaft aufgezwungen. In den Jahren 1939 -1940 wurden ca. 2 Mill. Polen, die so genannten "politisch unsicheren Elemente", ins Innere Russlands nach Kasachstan und Sibirien deportiert. Es waren hauptsächlich Vertreter der wissenschaftlichen Elite, Lehrer, Professoren, Pfarrer, Polizisten, Staatsbeamte, Kolonisten und Waldarbeiter. Die am 10. Februar 1940 Deportierten leitete man in riesiger Anzahl in den nördlichen europäischen Teil Russlands in das Gebiet Archangelsk. In dieser Gruppe war auch meine Mutter mit ihrer gesamten 6-köpfigen Familie, die ihr Haus in Boryczowka, das heimatliche Grenzland Polens für immer verlassen mussten. Als man im Jahr 1946 den ausgesiedelten Polen die Rückkehr in die Heimat erlaubte, mussten sie sich darauf vorbereiten, dass sie in ein anderes Polen als das, was sie verlassen hatten, zurückkehrten. Es war ein kommunistisches Polen, in dem es kein östliches Grenzland mehr gab und auch nicht ihr "kleines Heimatland". Im Verlauf von 10 Jahren kehrten sie zurück, nachdem man sie zuvor "speziell instruierte", ihnen die Ausreisedokumente aushändigte und wie vor Jahren in Güterwaggons, aber in wesentlich geringerer Anzahl, transportierte. Personen, die die sowjetische Staatsbürgerschaft nicht unterschrieben hatten, durften erst 1956 zurückkehren. Es kamen ca. 600 Tausend aus der sowjetischen Hölle zurück. Die verbliebene polnische Grenzlandbevölkerung, die durch die Sowjets nicht nach Sibirien abgeschoben wurde, begann man schon vor dem Ende des II. Weltkrieges in die dem Land Polen zugesprochenen deutschen Gebiete umzusiedeln. Hunderttausende Polen und Deutsche, wie kein anderes Volk in Europa, waren gezwungen, ihre Häuser und das Land ihrer Väter zu verlassen und sich auf den Weg ins Unbekannte zu machen. Im Ergebnis dieser Handlungen verloren über 5 Mill. Polen ihre Heimat im Grenzland ohne Hoffnung auf eine Wiederkehr. Das Verlassen des Grenzlandes war für die Polen ein schwerer Schlag, sie mussten nicht nur Abschied nehmen von der heimatlichen Erde, auch die Angst vor dem unbekannten Wohnort begleitete sie auf der Reise ins Ungewisse. Darum wollten viele Polen anfangs nicht ausreisen. Durch massive Verhaftungen unter irgendeinem Vorwand und Abschiebung ins Innere Russlands zwangen die sowjetischen Behörden die polnischen Familien zur Ausreise gen Westen. Außerdem zwangen durch die GPU ausgeführte Morde die polnische Bevölkerung zur Flucht. Das Verbleiben am Ort glich der Annahme der sowjetischen oder ukrainischen Staatsbürgerschaft. Aus dem Grenzland siedelte man fast alle Polen aus, es verblieb nur eine geringe Prozentzahl. Die Umsiedlung erfolgte in den Jahren 1945 und 1946. Die polnischen Bürger unternahmen ihre Reise zu den neuen Umsiedlungsorten in vollgestopften Güterwaggons, oftmals wochenlang in offenen Waggons. Der Transport der Grenzländer aus Krowinka und Boryczowka traf am 25. August 1945 in Raudten/Queißen ein. Am Ort der Ansiedlung blieben die Vertriebenen beisammen, was ihnen eine gewisse Stütze gab. Die genannte Gruppe siedelte sich in Raudten und den benachbarten Dörfern an: Brodelwitz, Alt Raudten, Wandritsch und Pilgramsdorf. Sie besiedelten die Dörfer, deren Familien nach Deutschland vertrieben wurden und in den genannten Orten seit Ewigkeiten gewohnt hatten. Sie siedelten sich dort an, weil man es ihnen befohlen hatte. Die neue sie umgebende Welt war ihnen fremd und abgeneigt. Am neuen Ort umgaben sie die Gräber fremder Menschen und deren Vorfahren. Alles ringsherum war fremd. Deutsche Namen der Dörfer, deutsche Aufschriften und Zeichen auf den landwirtschaftlichen Geräten, deutsche Bilder an den Wänden sowie einige verbliebene Deutsche: Alte Leute und verwaiste kleine Kinder. Daheim im Grenzland blieben ihre Dörfer zurück, ihre Häuser, Wohnungen, Kirchen, in denen sie gebetet, und Schulen, in denen sie gelernt hatten. Viele ältere Menschen betrachteten über Jahre hindurch ihren Aufenthalt in den westlichen Ländern als vorläufigen, vorübergehenden. Immer trugen sie die Hoffnung auf eine Rückkehr ins eigene Haus im Grenzland in sich. Die Grenze an Oder und Neiße betrachteten sie als vorläufige Grenzlinie. Immer glaubten sie, dass die Situation in der Welt sich normalisieren würde und sie wieder in ihre Heimat zurückkehren könnten. Nur einige wenige freundeten sich mit der neuen Situation an und betrachteten die besetzten deutschen Güter als Entschädigung für das im Grenzland zurückgelassene Vermögen und das erfahrene Unrecht. Nach so vielen Jahren leben sie weiterhin durch innere Fesseln mit ihrer heimatlichen Erde verbunden, wo sie geboren, erzogen und herangewachsen sind. Ich verstehe die Sehnsucht der Menschen, die aus ihrer angestammten Heimat vertrieben wurden, und den Sinn der durch sie ausgesprochenen Worte, dass "der Mensch überall leben kann, aber sein Herz verbleibt immer am Ort seiner Geburt!" Stanisław Mularczyk Stanisław Mularczyk wurde 1956 in Rudna (Raudten) geboren. Er ist verheiratet und hat 2 Töchter. In Brodnów hat er ein wunderschönes Haus gebaut. Seine Eltern stammen aus Boryczowka, das jetzt zur Ukraine gehört. Der bewegende Aufsatz wurde im Lübener Heimatblatt 2/2008 publiziert. Leider ist es mir bisher nicht gelungen, Kontakt zu ihm herzustellen. Ich würde mich freuen, wenn mir jemand dabei hilft. Heidi |