Der Taufstein bei Brodelwitz
Gemeinde Brodelwitz














Der Lübener Gymnasiallehrer Dr. Martin Treblin erforschte die Geschichte seiner engeren Heimat. Im Heimatkalender des Kreises Lüben von 1942 schrieb er über "Heilige Steine und heilige Quellen im Lübener Kreise". Dazu gehört auch der folgende Artikel vom "Taufstein in Brodelwitz":

Zeichnung der Brodelwitzer Taufsteine von I. Zimmermann

Der Taufstein in Brodelwitz

Ein zweiter "Taufstein" hat nach den Akten des Landesamtes für Vorgeschichte in Brodelwitz bestanden. Über ihn besitzen wir eine anschauliche Beschreibung von I. Zimmermann, der auch eine Bleistiftzeichnung von ihm angefertigt hat. (siehe Abbildung).

Er schreibt: "Dieser Taufstein besteht aus einer Gruppe ziemlich großer erratischer Granit und Gneisblöcke und befindet sich an der alten, von Raudten nach Köben führenden Straße, eine halbe Meile östlich von Raudten und zur rechten Hand, dicht am Wege. Der Besitzer des Grundstücks hat dem Platz insofern dankenswerte Aufmerksamkeit gewidmet, als er die die Steingruppe umgebenden Birken geschont und ringsum auch Ziersträucher hat anpflanzen lassen. Als Hauptstein der Gruppe ist ein mächtiger, auf breiter Fläche ruhender Granitblock anzusehen, dessen Messung folgende Ergebnisse zeitigte: Länge (genau in der Richtung von West nach Ost) 2,60 Meter, Breite 1,50 Meter, Höhe an der Nordseite 9,60 Meter. Nach Süden zu ist der Stein so weit eingesunken, daß die südliche Kante der Oberseite dem Erdboden gleich liegt. An der Seite befindet sich ein kleiner Block von 1,50 Meter Länge, 0,80 Meter Breite und 0,80 Meter Höhe, ebenfalls nach Süden geneigt. Um beide Steine, noch etwas weiter südlich im Halbkreise, jedoch auch wieder mit entschiedener Neigung nach Süden, aber schon mehr in der Erde, stecken noch fünf kleinere Blöcke. Auch vor der Hauptgruppe, am Zugang von der Straße aus, lagern noch mehrere größere und kleinere Blöcke desselben Gesteins."

Über diese Felsgruppe, die vom Erdboden verschwunden ist, konnten wir vom Ortsbauernführer Ernst Gehlich-Brodelwitz Genaueres erfahren. Ernst Gehlich sen. hat sie noch als Junge wiederholt von seinem Vater gezeigt bekommen. Danach lag "der Taufstein" hart rechts an der Straße von Brodelwitz nach Ober-Thielau-Mühlgast, mitten im Walde, 100 Meter östlich der Brodelwitz-Weißiger Flurgrenze, bereits auf Weißiger Gemarkung, an der Thielauer Grenze. Ernst Gehlich sen. konnte mir noch genau den Standort der Felsen weisen. Starke 60- bis 80-jährige Birken und Kiefern hatten die Gruppe umstanden. Nach der Volksüberlieferung soll der Hauptstein in Zeiten religiöser Verfolgung als "Taufstein" gedient haben. Mit Bestimmtheit erinnert sich der Ortsbauernführer noch, auf der Oberfläche des größten Steins sechs bis sieben Schalen von 20 mal 30 cm haben, die man als Taufbecken ansprach. Ob diese Vertiefungen Naturgebilde oder Ausmeißelungen waren, vermag Ernst Gehlich sen. nicht mehr zu sagen. Der Höhenzug, zu dem der "Taufstein" gehörte, heißt "der Steinberg". Zwischen 1911 und 1915 wurde die Taufsteingruppe von der Weißiger Gutsherrschaft gesprengt. Der Vater von Ernst Gehlich sen., der auch solche Sprengungen ausführte, hat aus Scheu, das ehrwürdige Gebilde zu zerstören, diese Arbeit abgelehnt, ebenso verweigerten sie andere Leute in Weißig, so daß zunächst die Sprengung unterbleiben mußte. Die Brodelwitzer Flur birgt ja wie die Gemarkungen ringsum viele vorgeschichtliche Fundstellen, so daß man den "Taufstein" schon in früherer Zeit verehrt haben mag.
850 Meter nordwestlich von ihm erhebt sich auf Weißiger Gebiet ein Höhenzug, der im Volke "der Heidenfriedhof" heißt.
Hier haben wir ein von I. Zimmermann und Pastor Söhnel überliefertes Urnenfeld zu suchen...


Ausschnitt aus dem Messtischblatt mit dem Ort des Taufsteins bei Brodelwitz


Ernst Gehlich jun., Sohn des von Dr. Martin Treblin im Artikel von 1942 genannten Ernst Gehlich sen. aus Brodelwitz, machte mich auf eine Ergänzung dazu in den Erinnerungen an Dorf und Gut Brodelwitz (S. 96/97) von Annekatrin Thomas geb. Teichert, Tochter des Brodelwitzer Gutsbesitzers, aufmerksam:

'Die Taufsteine', so hieß die Kreuzungsstelle der Brodelwitzer Grenze mit dem Weg nach Thielau. Wieder muß bedauert werden, daß Brodelwitz keine eigenen Kirchenbücher hatte und die Raudtener sowie die Alt-Raudtener Bücher vernichtet sind. So bleibt zur Bedeutung dieser "Taufsteine" nur ein weiterer Hinweis auf die Schrift von Hermann Söhnel von 1931, die eine Vater-Unser-Kiefer zwischen Kammelwitz und Mühlgast verzeichnet. Auf S. 47 heißt es dort: "Hier lagen früher im Walde die sogenannten Taufsteine; nach 1654 wurden hier aus den Nachbarparochien Kinder zur Taufe heimlich gebracht." 1654 war das Jahr, in dem den evangelischen Gemeinden in unserem Teil Schlesiens eine große Zahl ihrer Kirchen genommen bzw. geschlossen wurden, nachdem das Land unter österreichische Herrschaft gekommen war und die Gegenreformation den Protestantismus in Schlesien systematisch aussrotten sollte. Die Kirche in Alt-Raudten wurde 1693 versiegelt, die Kirche in Raudten 1694. Es liegt also die Vermutung nahe, daß die Brodelwitzer Taufsteine an der Thielauer Grenze, die ja auch im Wald lagen, in jener Zeit heimlich zu evangelischen Taufen benutzt wurden.

"In der Notzeit ihrer Konfession verkündeten die sogenannten 'Buschprediger', die aus ihrem Amt gejagten evangelischen Pastoren, dennoch das Wort der Heiligen Schrift: Ihre Gemeinde versammelte sich fern der Stadt in freier Natur, stets gefährdet, verraten zu werden." (Zitat aus: Hansgeorg Loebel, "Schlesien, Begegnungen mit der Geschichte in Bildern", Hameln 1987, S. 73 ff)

Es sei angemerkt, daß nach der Altranstädter Konvention die Kirche in Raudten 1707, in Alt-Raudten 1708 zurückgegeben wurde. Letztere war allerdings zerstört und ihr Wiederaufbau dauerte bis 1752.