Dr. Martin Treblin (1882-1950)
Studiendirektor Erich Tscharntke (1882-1967)














Dr. phil. Martin Treblin (1882-1950)

Als er 1912 an das Lübener Gymnasium kam, trug er noch den grauen Gehrock, mit Schößen und steifem Kragen und seidenem Binder, ganz üblich, vielleicht sogar etwas altmodisch. Es war auch zunächst nichts Besonderes an ihm zu finden. Aber da gründeten wir im Sommer 1914 die Wandervogel-Ortsgruppe, und da war Treblin dabei. Er übernahm zunächst die Leitung des Eltern- und Freundesrates (Eufrat!), war also nicht "aktiv". Es sagte ihm aber nicht zu, nur den Vermittler zwischen uns Wandervögeln und den Eltern zu spielen; er ging mit uns "auf Fahrt".

Als der Erste Weltkrieg ausbrach und der Ortsgruppenführer Soldat wurde, übernahm Treblin, der alle Voraussetzungen für den Betrieb der Ortsgruppe in sich trug, die Führung. Er ging gekleidet wie wir, und das war für das Jahr 1914 sehr auffallend: mit kurzer Hose und - mit nackten Knien! Er trug die damalige Wandervogelkleidung, mit Schillerkragen, Lodenstoff, Rucksack - und ohne Hut! Das war ungewöhnlich für einen Lehrer. Und - was viele nicht wußten - er duzte sich mit uns, mit seinen Schülern - freilich nur im Wandervogelbetrieb - nie in der Schule. Dort nahm er uns im Unterricht dran, wie alle anderen.

Er lebte einfach und ungekünstelt, er war geistig anregend, er wanderte gern, liebte und erforschte die Heimat - die Jugend war bei ihm in guten Händen.

Dr. Martin Treblin, Lehrer am Gymnasium Lüben

Nachdem wir in Lüben gerade die Zeit überwunden hatten, daß die Schüler der Oberklasse des Gymnasiums sich schon als Studenten (damaligen Stils) aufspielten, daß sie "Kneipabende" hatten und trinkfest zu sein sich bemühten, da war es zu begrüßen, daß er nicht rauchte und den Alkohol mied und diese Haltung uns als seinen Schülern als Ziel hinstellte Er hatte eben den Mut, anders zu sein, sich gegen seine Umwelt zu stellen und im Stile der deutschen Jugend zu leben, die gerade vom Hohen Meißner kam und deren Leistung als Aufbruch der Jugend anerkannt ist. Diese Haltung hat ihm oft Schwierigkeiten in der Öffentlichkeit gemacht. Aber wer ihn kannte, der mußte ihn schließlich anerkennen.

Er gab einen ausgezeichneten Unterricht. Er war pädagogisch geschickt und anregend. Im Geschichtsunterricht trug er so lebendig vor, daß mir noch heute Wenzel und des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation Erzschlafmütze in Erinnerung sind. Und aus dem Deutsch-Unterricht ist mir noch der Klang der Gedichte von Conrad Ferdinand Meyers in den Ohren. Dichtung wurde bei ihm verdichtetes Leben und Kunst durch das Wort. Der Dichtung stand er wirklich nahe; er war der einzige der Lübener Lehrer, der Umgang mit neuester Dichtung und mit richtigen Dichtern hatte, ja befreundet war. Es waren Eberhard König, Guido Kolbenheyer und Hans-Christoph Kaergel, denen er nahestand. König hat er öfters nach Lüben geholt und öffentlich vortragen lassen, wie auch Kaergel. Darüber hinaus besaß Treblin eine ausgezeichnete Bücherei. Er las den "Türmer" und den "Kunstwart", die damals "die" Zeitschriften waren.

Und bei diesem geistigen Anspruch war er doch von größter Schlichtheit. Er war ja überhaupt so natürlich, so ablehnend gegen alles Gekünstelte, gegen Fremdtümelei und Fremdwortseuche. Und sein Heim war zugleich ein Haus vielseitiger Geistigkeit. Da lebte Neigung zur Religionsphilosophie und ein Schuß Liebe zur Bildenden Kunst. Da waren Ölbilder des Bruders, der recht gut malte; da war seine Liebe zu Fritz Boehle, dem derbgesunden Maler und Bildhauer, und etwas Neigung zur Volksbaukunst. Und die Volkskunde. Als junger Lehrer war er bekannt geworden durch Studien über das Bauernhaus im Kreise Löwenberg und im Riesengebirge. Er hatte mit Erfolg über die Bühne (den Balkon) am Vorgebirgshaus in Schmottseiffen geschrieben.

In diesen bisher erwähnten tätigen und erfolgreichen Jahren begleiteten Glück und Leid seinen Weg. Er heiratete eine geistig sehr lebendige Frau und mußte erleben, daß sie - jung und völlig gesund - wenige Stunden vor der Geburt ihres zweiten Kindes starb, während er selber krank in Obernigk lag und nicht heimfahren durfte. Als er dann endlich kam, da fand er in der Wohnung nur noch seinen ersten Sohn vor. Dann folgten bittere Jahre, und wir, seine Freunde, die wir noch jung und unerfahren waren, haben oft nur geahnt, wie es in ihm vorging. In diesen schweren Jahren war es besonders Eberhard König, der ihm treu zur Seite stand.

Nun folgten wieder Jahre der Forschung. Er wandte sich verstärkt der Vorgeschichte zu und hat im Laufe der Jahre aus all den vorgeschichtlichen Funden - in steter Fühlungnahme zum Landesamt für Denkmalspflege in Breslau - einen Überblick über die Landschaft des Kreises Lüben bekommen, der es ihm ermöglichte, das Bild dieser vorhistorischen Zeit im Zusammenhang zu sehen. Er hat das niedergeschrieben und hat in Verbindung damit eine neue Geschichte der Stadt Lüben geschrieben. Das war dringend nötig, denn der Klose'schen Darstellung hatte es doch noch sehr an Material und Überblick gefehlt. Diese neue Geschichte aber ist, und das ist sehr zu bedauern, in Lüben zurückgeblieben und heute verloren.

In diese zweite Periode der wissenschaftlichen Forschung fällt seine zweite Ehe, die ihm in seinen späteren Jahren wieder häusliches Leben, Fürsorge und Geborgenheit im Familienleben und die Tochter schenkte. Die Arbeit ging daneben weiter, er hatte ja stets Aufgaben, hatte auch stets geistige Anregungen für uns - auch noch nach Jahren, als wir als Studenten zu ihm kamen. Durch seine Anteilnahme an deutschen Fragen, an der Literatur, war er stets der Vermittler von Zeitproblemen, der außerhalb von Schule und Familie Erziehende, der zu Kritik und Urteil und zum Denken hinführte. Innerhalb der Stadt Lüben aber gehörte er zu den bedeutendsten Persönlichkeiten. Lüben ist ja nie reich an Menschen gewesen, die die Stadt an Leistung und Haltung überragten. Lüben hat auch, das darf ruhig gesagt werden, ihn spät erkannt.

Postkarte von Dr. Martin Treblin vom 4.2.1913

Ein herzlicher Dank an Jacek Hayder und Łukasz Cichy,
die mir die Abbildung dieser Postkarte zur Verfügung stellten, die Dr. Martin Treblin am 4.2.1913 an seinen Kollegen, Oberlehrer Dr. Franke in Perleberg, schrieb.

Voll herzlicher Freude spreche ich Dir und Deiner hochverehrten Frau Gemahlin meine und meiner Mutter aufrichtigen Wünsche zu dem freudigen Ereignis aus. Hoffentlich sind Deine Frau Gemahlin wie das Kindlein wohlauf. Ich stecke tief in der Arbeit. An Kaisers Geburtstag hielt ich die Rede über Gneisenau (nach den Forschungen von Delbrück) und aus den Aufsatzkorrekturen komme ich nicht heraus. Der neueste Langewiescheband Die Befreiung (1813-15) ist ganz vorzüglich. Ich benutze ihn wie die früheren Bände (Liselotte, Friedrich der Große) häufig beim Unterricht. Überhaupt bereitet mir der Geschichtsunterricht den meisten Spaß. Heute bekam ich einen Ruf als Oberlehrer ans Lyceum in Lichtenberg bei Berlin, den ich aber ablehnte. Herzlichst Euer Trebbel

Trebbel... So nannten ihn auch seine Schüler, mit Zuneigung und Respekt.
Am 26. Januar 1945 war ich zum letzten Male bei ihm. Ich kam von den mörderischen Kämpfen bei Radom im tiefsten Schnee zu neuem Einsatz durch Lüben durch, und es drängte mich, zu ihm zu gehen. Es war wie immer bei ihm, wir waren ja Freunde seit 30 Jahren. Die Worte, die wir wechselten, waren vertraut und herzlich. Er sorgte sich um mich, aber in Wirklichkeit war ich selber aus Sorge um ihn zu ihm gegangen. Und ich riet ihm, sich auf baldigen Fortgang von Lüben einzustellen. Ich riet ihm ernsthaft. Dann ging ich - recht schweren Herzens. Ich ahnte das Schicksal. Mich führte der Krieg weiter in den Endkampf in Mitteldeutschland - er verließ Lüben und gelangte nach Halle zu seiner Schwester, wo heute noch seine Frau und seine Kinder wohnen. Aber ich fand ihn dort schriftlich bald wieder, nachdem die Verhältnisse sich gefestigt hatten. Er war noch derselbe Mensch, tapfer, ungebrochen. Nur schrieb er jetzt Lateinisch, und er hatte doch so gern deutsch geschrieben. Dort in Halle blieb er, nach und nach kränkelnd und abmagernd, und am 31. Januar 1950 starb er.

Grabstätte Dr. Martin Treblin in Halle/Sa.

Und was hatte er noch in seinen letzten Briefen geschrieben? Daß er nun alle seine Freunde wieder beisammen habe, nur schriftlich freilich. Aber er stünde mit allen wieder in Gedankenaustausch Und wer waren diese seine Freunde? Es waren alles jüngere Leute! Wir! Seine Schüler von einst, die ihm in Dankbarkeit und Anhänglichkeit diese Bekenntnisse schreiben, während uns selber nun auch schon die Schläfen zu grauen beginnen.

Theo Dames, 1953


"Trebbel", wie wir Schüler ihn liebevoll nannten, unterrichtete in den Fächern Deutsch, Geschichte, Erdkunde und Religion. Sein Unterrichtsstil war geprägt von seiner Zugehörigkeit zum "Wandervogel", der damaligen Jugendbewegung, der er schon vor dem 1. Weltkrieg angehörte. Deshalb kannte er die Probleme seiner Schüler und wurde von ihnen, unter Wahrung des Respekts vor dem Lehrer, als Freund angesehen. Stets waren wir sehr betroffen, wenn er wegen seiner Lungenerkrankung wieder wochenlang nicht unterrichten konnte. Seine Bekleidung entsprach auch während des Unterrichtes der der Wandervögel: Schillerkragen, der den Hals frei ließ, kurze Hosen, die Knie frei auch im Winter, lange Strümpfe bis unter die Knie, Sandalen anstelle von Schuhen. Er war auch Nichtraucher und Anti-Alkoholiker, jedoch tolerant gegenüber denen, die nicht so dachten und handelten wie er.

Als Lehrer verstand er es, durch seine lebendige Darstellungskunst sonst trockenen Lehrstoff interessant vorzutragen. Durch seine aufgeschlossene Art dem Zeitgeschehen gegenüber gelang es ihm auch, uns mit schwerwiegenden Problemen vertraut zu machen, die in den zwanziger Jahren noch nicht in ihrer Bedeutung richtig erkannt oder nicht ernst genommen wurden, wie die Gefahren der Großstädte, des Alkohols, des Nikotins, die Verschmutzung der Luft u.a.m. Ich erinnere mich noch an zwei Aufsatzthemen im Deutschfach, die prägnant erkennen lassen, mit welchen drohenden Gefahren sich die ihm anvertrauten jungen Menschen auseinandersetzen sollten. Das eine Thema lautete "Moloch Großstadt", das andere "Dämon Alkohol".

Durch ihn erhielten wir auch einen anschaulichen Einblick in die Vor- und Frühgeschichte, die Volkskunde und Siedlungspolitik der engeren Heimat. Mit diesen Gebieten beschäftigte er sich sehr eingehend. Zeitschriften und Zeitungen veröffentlichten seine vielseitigen Forschungsergebnisse. In Fachkreisen genoß er hohes Ansehen. Nicht nur in Deutsch, Geschichte und Erdkunde war sein Unterricht sehr lebendig, sondern auch in Religion. Die religiösen Geschehnisse erklärte er nicht dogmatisch, sondern stellte sie mitten in die Geschichte und Kultur ihrer Zeit.

Durch seine frische und unbekümmerte Art vermochte er es auch, uns manche Prüfungsangst zu nehmen. Vor dem mündlichen Abitur z. B. sagte er, wir sollten uns vor der großen Prüfungskommission nicht einschüchtern lassen. Außer dem Fachlehrer weiß kaum ein anderes Prüfungsmitglied die Richtigkeit der Antwort zu beurteilen. Wir sollten genau auf die Fragen und Einwände des Fachlehrers achten und dann unbekümmert antworten, denn der Fachlehrer wolle uns helfen, weil er im eigenen Interesse auf ein gutes Abschneiden der Prüflinge bedacht sein muß. "Trebbel" war ein guter Lehrer, dem seine Schüler Wissen und Lebenserkenntnisse verdanken und den sie in ihr Herz geschlossen hatten.

Leo Beyl, 1982


Dr. Martin Treblin über Eberhard König in der Sonntagsbeilage der Süddeutschen Zeitung vom 25.5.1924

Dr. Martin Treblin über Eberhard König in der Sonntagsbeilage der Süddeutschen Zeitung vom 25.5.1924

Dr. Martin Treblin über Eberhard König in der Sonntagsbeilage  der Süddeutschen Zeitung vom 25.5.1924

Seine Dissertation verfasste Martin Treblin an der Philosophische Fakultät der Universität Breslau unter dem Titel "Beiträge zur Siedlungskunde im ehemaligen Fürstentum Schweidnitz", erschien 1907 bei R. Nischkowsky in Breslau
(44 Seiten). Sie ist noch heute in verschiedenen Bibliotheken vorhanden.