Erich Tscharntke (1882-1967)
Gustav Wolf (1840-1924)














Oberstudiendirektor Erich Tscharntke (1882-1967)

Erich Tscharntke war der zweite von drei Direktoren des Lübener Gymnasiums.
Vor ihm leitete Dr. Hermann Caspari die Schule vom 1. Oktober 1907 bis zu seinem Tod am 19. Januar 1918. Vom 1. Juni 1934 bis zum 27. Januar 1945 war Oberstudiendirektor Erwin Vetter dritter und letzter Direktor der Einrichtung.

Erich Tscharntke wurde am 21.8.1882 als Sohn des späteren Oberbahnhofsvorstehers Rudolf Tscharntke und dessen Frau Elise geb. Weißig in Lüben geboren.

Nach der Volksschule besuchte er das Gymnasium in Sagan. (Das Gymnasium in Lüben wurde erst mit dem Schuljahr 1908/09 eingerichtet.) Erich Tscharntke studierte nach dem Abitur in Breslau Mathematik, Physik, Chemie, Mineralogie und Geographie. Im November 1906 bestand er das Staatsexamen. Danach war er am Auguste-Viktoria-Gymnasium in Posen tätig, ab Ostern 1909 an der Realschule in Schwerin (Warthe). Am 3. Juli 1909 heiratete er Margarete geb. Sturm aus Breslau. Nach dreijähriger Tätigkeit in Schwerin siedelte das Ehepaar mit dem 1910 geborenen Sohn Günther nach Bromberg über, wo 1914 die Tochter Mechthild zur Welt kam.

Erich Tscharntke

1916 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. Bei den Kämpfen in Rumänien wurde er am 5. Januar 1917 an der rechten Hand schwer verwundet. Er mußte sich mehreren komplizierten Operationen unterziehen. Danach wurde er ins Kriegslazarett nach Bromberg überwiesen, von dort schließlich als kriegsdienstuntauglich entlassen.

Ostern 1918 wurde Erich Tscharntke zum Oberstudiendirektor und Alumnatsleiter des Lübener Gymnasiums berufen.
Hier in seiner Geburtsstadt verlebte er mit seiner Frau und den fünf Kindern 16 glückliche und arbeitsreiche Jahre.
Das Realgymnasium wurde ab Ostern 1921 klassenweise ab Sexta in ein Real-Reformgymnasium umgewandelt, bis es Ostern 1930 bis Oberprima Reformgymnasium war, in dem Englisch als erste Fremdsprache ab Anfangsklassen unterrichtet wurde. Unter Leitung von Erich Tscharntke wurden auch Mädchen ins Gymnasium aufgenommen. Die Lübener Höhere Töchterschule wurde aufgelöst. Diese Umstellung und die ständigen Neuerungen der Lehrmethoden und Lehrpläne waren eine starke Belastung für Erich Tscharntke und seine Lehrerkollegen. Einige zusätzliche Informationen sind den Jahresberichten der Schuljahre 1924/25 und 1927/28, die unter seiner Leitung standen, zu entnehmen.

Kurz vor der Silberhochzeit wurde Erich Tscharntke ab 1. Juni 1934 als Ober-studiendirektor an die Oberrealschule am Nikolaitor Breslau versetzt, die er bis zum Ende des Krieges 1945 leitete. Seit Hitlers Machtergreifung 1933 trug die Schule den Namen des Diktators. Die Namensgebung war nicht erst auf Initiative Tscharntkes erfolgt, wurde ihm jedoch später zur Last gelegt, da seine Parteimitgliedschaft die Vermutung zu stützen schien.

Adressbuch Breslau 1935 S. 738
Adressbuch Breslau 1935 S. 738

Einer seiner ehemaligen Schüler, Leo Beyl aus Raudten, erzählte im Lübener Heimatblatt 9/1982 über Erich Tscharntke: "Die Lübener Schule leitete er mit starker Hand, was besonders in den schweren Nachkriegs- und Inflationsjahren erforderlich war. Es gelang ihm mit den anderen Lehrern, trotz der dauernd verordneten neuen Lehrmethoden, das Gymnasium als einen Hort des gediegenen Schulwissens zu erhalten.

Während seines strengen Unterrichts gab es aber auch öfter etwas zu lachen. Im Chemie-Unterricht z.B. sagte er, als er Glaubersalz behandelte: "Glaubersalz ist ein Abführmittel für Schweine, aber nicht für Sie, meine Damen und Herren." Einmal brachen wir in schallendes Gelächter aus, als er beim Betreten des Klassenraumes feststellte: "Ich sehe einige, die nicht da sind."

Als Chef der Schule bestand sein Ehrgeiz darin, die Abiturienten mit einem umfassenden Allgemeinwissen zu entlassen. Wir sollten in den einzelnen Fächern grundlegende Kenntnisse erwerben. Ein Greuel war ihm der Gedanke, daß wir nur das lernen könnten, was uns augenblicklich nützlich erschien, um eine tragbare Note herauszuschinden. Vor dem Abitur warnte er uns deshalb ständig "Tippen Sie nicht, meine Damen und Herren." Tippen hieß im Schülerjargon zu berechnen, welches Thema in der schriftlichen oder mündlichen Prüfung gestellt werden könnte. Trotzdem beschränkte sich unser Lerneifer überwiegend auf das Thema, auf welches wir in jedem Prüfungsfach tippten. Wir gingen davon aus, daß jeder Lehrer im eigenen Interesse wollte, daß die Prüflinge bei ihm gut abschnitten. Das hob seinen Ruf als guter Pädagoge.

Außerhalb der Schule spürten wir ebenfalls seine strenge Hand. Lokale durften von uns nicht besucht werden. Nur die Schüler der oberen Klasse hatten das Vorrecht, an bestimmten Tagen zu einer bestimmten Zeit die Konditoreien von Neumann und Hilbig aufzusuchen. Wehe dem, der in einem anderen Lokal gesehen wurde!

Seinem Einfluß war es auch zuzuschreiben, daß in der Badeanstalt das Familienbad nicht gestattet war. Und Schusters Kintopp durften Schüler nur besuchen, wenn der betreffende Film von der Schulleitung freigegeben war. Diese und andere Einschränkungen entsprachen dem generellen Zeitgeist. Das Wesentlich war jedoch, daß uns Schülern ein gediegenes Wissen vermittelt wurde, was wir erst später richtig begriffen. Das haben wir auf unserer Penne erhalten. Zum großen Teil verdanken wir das Erich Tscharntke, der in den schwierigen Zeiten nach dem 1. Weltkrieg die Schule sicher durch alle Gefahren steuerte." (Leo Beyl in Lübener Heimatblatt 9/1982)

Wie unterschiedlich die Urteile ehemaliger Schüler ausfallen und wie unterschiedlich die Erinnerungen an einen Menschen sind, soll nicht verschwiegen werden. Konrad Feige, Sohn des von den Nazis abgesetzten gewählten Bürgermeisters Hugo Feige, hat eine ganz andere Meinung über die Rolle seines Direktors in dieser Zeit. Damit sollen seine Verdienste nicht geschmälert werden. Es soll jedoch der Versuch einer Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln unternommen werden. In diesem Zusammenhang ist auch ein Brief des ehemaligen Studienassessors Dr. Hans W. L. Freudenthal an Erich Tscharntke von Bedeutung.

Die Flucht führte die Familie zur in Wunstorf lebenden Tochter Mechthild. Als das größte Geschenk bezeichnete Erich Tscharntke, dass alle fünf Kinder den Krieg überlebt haben. Die letzten Lebensjahre verbrachte er mit seiner Frau in Bad Eilsen, wo er am 28.12.1967 starb. Seine Frau folgte ihm am 24.3.1970. Dort fanden beide nach einem arbeitsreichen und turbulenten Leben ihre letzte Ruhestätte.

v. l.: Mutter Margarete Tscharntke geb. Sturm (stammte aus Breslau, 1887-1970), Vater Erich Tscharntke, Sohn Wolfgang (* 1918), Sohn Günther (1910-1976), Tochter Mechthild (1914-1993), sitzend: eine Cousine der Mutter namens Ballhorn, Sohn Reinhart (1923-2007), die Schwester der Mutter, Anna Sturm, bei der Taufe der jüngsten Tochter Ilse am 19.3.1931 im Wohnzimmer des Direktorhauses (die Form des Erkers ist hinter den Gardinen zu erkennen).

Am 4.6.1929 schrieben Mechthild und Günther an ihren Onkel Kurt Sturm in Berlin eine Karte. Günther berichtete auf der Vorderseite über seine erfolgreichen Abiturprüfungen. Mechthild bedankt sich auf der Rückseite für die Glückwünsche zu ihrem Geburtstag.




"Lieber Onkel Kurt!
Hab recht herzlichen Dank für das hübsche Buch, das
Du mir zum Geburtstag geschickt hast. Ich habe es
schon gelesen und es hat mir sehr gut gefallen.
Außerdem bekam ich noch einen Tennisschläger, eine
Handtasche, den ersten Teil der Ahnen und noch eine Menge Kleinigkeiten.
Sonntag Nachmittag kamen meine Freundinnen. Wir
waren sehr ausgelassen. Neulich haben wir einen
Schulausflug nach Tannenberg gemacht. Wir fuhren
Freitag Mittag fort und kamen Sonntagabend wie-
der. Wir sind dauernd Schneeschuh gefahren. Da ich kei-
ne hatte, habe ich mir welche geborgt. Es war dort
ein prächtiges Skigelände, so daß es großen Spaß
machte, die Berge hinaufzuklettern und dann mit
tüchtigem Schwung hinunterzufahren. Ich habe in
diesen Tagen eine ganez Menge photographiert,
aber leider ist aus den Schneeaufnahmen nicht viel
geworden. Nun lieber Onkel, lebe wohl und sei herz-
lichst gegrüßt von Deiner Dich liebenden Nichte Mechthild
Vater, Mutter, Wolfgang und P...s lassen grüßen."



Mechthild Tscharntke machte 1932 ihr Abitur, zwei Briefe an sie von 1933 und 1935 aus Liegnitz bzw. Parchwitz wurden vor kurzem auf einer Auktionsseite für Philatelisten angeboten. Die Briefe sind an die Adresse des Rechtsanwalts Rösner adressiert. Vermutlich hat Mechthild Tscharntke bei ihm gelernt. Auf einem Foto zum 25jährigen Dienstjubiläum des Rechtsanwalts im Jahr 1939 auf der Seite von Elisabeth Ludewig ist sie nicht abgebildet. Mir ist zwar bekannt, dass Familie Rösner in der Schulpromenade 11 wohnte, aber wo am Ring das Büro des Rechtsanwalts gewesen sein soll, weiß ich nicht. Aber warum ließ Mechthild Tscharntke ihre Post nicht an ihre Privatadresse adressieren? Sie war knapp über 18... Ob der gestrenge Herr Tscharntke das unterband? Die jungen Leute wussten sich zu helfen... Damals wie zu allen Zeiten!