Forsthaus Lindhardt bei Fuchsmühl
Gemeinde Fuchsmühl














Reise in meine alte Heimat (1973)

Einst als Försterssohn im Forsthaus Kaltwasser und Lindhardt (Fuchsmühl) aufgewachsen, wurde der Wald zu meiner Heimat. Jeder Weg blieb mir in der Erinnerung, und all das wollte ich so gern wiedersehen. Wenn es auch kein Wandern wie einst wurde, so sah ich aber meine Heimat noch einmal wieder.

Auf den ersten Blick scheint in Kaltwasser noch alles beim alten zu sein. Das Haus des Gemeindevorstehers Rohr, ich glaube auch das von Fabig, vom pensionierten und später tödlich verunglückten Kantor Jungnitz, die beiden Schulhäuser, die Schäferei, das Anwesen von Tischlermeister Franke, das Schloß und die Wassermühle sind verschwunden. Mir aber blieb der Eindruck, als wäre ich erst gestern von hier fortgegangen. Man war fast versucht, beim Pastor, bei Gräbers, Simons, Kaufmann Lange, Mühlleiters, Fleischer Knittel, bei der "Mutter Seihten", im Gasthof Reisner, bei Hausmeister Kunte, Sarembe und den alten Glatthaars hineinzuschauen.

Überrascht war ich, auf dem evangelischen Friedhof fast alle deutschen Gräber, u. a. das meiner Großmutter Perle, vorzufinden. Die Kirche war von den Russen als Pferdestall benutzt und von der orthodoxen Gemeinde wieder hergerichtet worden. Daß die Gräber erhalten geblieben sind, erklärt sich aus dem christlich-orthodoxen Glauben.

Vom Geistlichen wurde ich sehr gastfreundlich aufgenommen, und er versicherte mir, daß das Grab meiner Großmutter auch künftig gepflegt werden würde. Das hatte bis zu ihrem Tode eine Landarbeiterin, Frau Hartmann aus Fuchsmühl, die wir gar nicht kannten, besorgt. Die Kirche durften wir betreten. Sie ist ordentlich und nach dem Geschmack orthodoxer Gläubiger hergerichtet. Das mir in Erinnerung gebliebene Christusbild über dem Altar war leider nicht mehr vorhanden. Auf dem Kirchenboden wurden uns zu unserer Überraschung die Ehrentafeln unserer Gefallenen von 1870/71 und von 1914-18 gezeigt. Viele bekannte Namen waren zu lesen, so u. a. der Name des Gardeschützen Erich Winkler, gefallen im September 1914 im Osten. Es wurde mir berichtet, daß schon einige Male nach diesen Tafeln gefragt wurde. Das Forsthaus Kaltwasser ist ein Opfer des Krieges geworden.

Forsthaus Lindhardt

Ein weiterer Höhepunkt meiner Reise war nun das Wiedersehen mit Fuchsmühl, ganz besonders aber mit dem lieben, altgewordenen Forsthaus Lindhardt. Die damals schon etwa 150jährige Linde, sicher so alt wie das Forsthaus, der Schmuck dieses Fleckchens Erde, steht nicht mehr. Der große Hof wirkte kahl. Etwa 300 Hühner liefen herum. Die Scheune war durch Blitzschlag abgebrannt, die übrigen Wirtschaftsgebäude sind noch unverändert. Im kleinen Teich an den Wiesen hatte mein Vater erstmalig Karpfen und Hechte angesetzt. All diese Dinge erstehen erneut in der Erinnerung. Der Gemüsegarten hinter dem Forsthaus war ganz wie früher mit verschiedenstem Gemüse bepflanzt. Der Steingarten an der Giebelseite des Hauses, der Stolz meiner heute 94jährigen alten Mutter, sah weniger ansprechend aus.

Was ein schier fast nebensächlich erscheinendes Tor, gehalten von hohen Granitsteinen, aus Holz zusammengefügt, bedeuten kann, erfuhr ich hier. Ich habe es vermißt, denn an seine Stelle war ein Tor aus Winkeleisen und Maschendraht getreten. Wenn man nun hindurchging, empfand man nicht, zu einem Forsthaus zu gelangen. Zwischen den Gärten des Forsthauses geht ein Weg hindurch, der sich in zwei Richtungen zur Dorfstraße teilt. Auf dem Dreieck steht eine Linde, die mein Vater pflanzen ließ. Sie ist jetzt in den Garten mit einbezogen.

Das Forsthaus, in dem ein polnischer Förster wohnt, sieht nicht mehr schön aus. Vor ein paar Jahren war das noch anders, wie es Fotos nachweisen. Vom Förster wurde Klage darüber geführt, daß die Wände feucht seien. Ich konnte ihm den Grund schon sagen. 1945 machten die Russen aus dem großen Zimmer einen Pferdestall und wahrscheinlich wurde der Pferdedung lange Zeit nicht entfernt. Der Pferdestall schräg gegenüber wurde damals nicht benutzt.

Wir wurden auch hier im Forsthaus sehr gastfreundlich aufgenommen. Zum Abendbrot wurden wir eingeladen und vorzüglich mit Rehleber bewirtet. Danach gab es die verschiedensten Getränke. Außer dem Försterehepaar waren ein Großwildjäger, der ein wenig Deutsch sprach, und - wie ich feststellte - ein Offizier des polnischen Geheimdienstes zugegen. Die Harmlosigkeit meines Besuches hatte man aber bald erkannt und so geschah auch nichts.

Als wir aufbrechen wollten, um in Haynau oder Liegnitz zu übernachten, wurden wir ohne Umschweife aufgefordert, hier zu bleiben. Wir schliefen in dieser Nacht im ehemaligen Schlafzimmer meiner Eltern. Uns wurden die Räume des Forsthauses bis auf die Küche, die jetzt Büro ist, gezeigt. Das große Zimmer ist heute Küche. Zum Obergeschoß durften wir nicht hinauf. Angeblich war es unansehnlich und wird wohl auch nicht mehr benutzt. Von draußen sahen wir zerrissene Gardinen und Spinnweben am Fenster des einstigen Fremdenzimmers. Ich fand im Schlafzimmer und im Arbeitszimmer noch die Kachelöfen aus unserer Zeit. Ein prächtiges Hirschgeweih aus dem Besitz meines Vaters hing vor Jahren noch im großen Zimmer, diesmal war es nicht mehr zu sehen. Angeblich sollen sich die Jagdtrophäen im Schloß Bohlendorf befinden; leider hatten wir keine Zeit, dem nachzugehen.

Nach einem Adressenaustausch erfolgte eine sehr freundliche Verabschiedung von unserem Gastgeber, der uns einlud, wiederzukommen. Wir erhielten dann noch uneingeschränkt die Erlaubnis, Vaters Revier zu befahren.

Forsthaus Lindhardt auf einem Messtischblatt von 1933

Im Wasserwald sahen wir die "Försterlinie", die geradeaus zu dem einst vorhandenen Forsthaus Kaltwasser führte. Wir fanden den "Siegfriedbrunnen", wo noch alle Erdbewegungen zu erkennen waren. Diese Anlage wurde auf Anregung meines Vaters geschaffen. Auch den sogenannten "Heidenfriedhof", auf dem wir lange vor dem Krieg Urnen fanden. Manche Waldbestände hatten ihr Aussehen durch das Wachstum und durch die bei russischen Manövern entstandenen Waldbrände verändert. Nach einigem Suchen fanden wir auch den Baier-Gedächtnisstein mit der dazugehörigen Eiche. Diese Bäume waren inzwischen fünfzehn bis zwanzig Meter hoch gewachsen. Die polnische Forstverwaltung war gerade dabei, zu durchforsten und das Laubholz, bis auf die Buchen, zu entfernen.

Der breite schöne Weg nach Bohlendorf und Brauchitschdorf, eine alte Heer- und Handelsstraße, war von russischen Panzern sehr mitgenommen. Übrigens war diese alte Straße neben dem ausgebrannten Gehöft des Gastwirts Dammer durch einen seltsamerweise hier angelegten Garten einfach unterbrochen. Daher ist die restliche Straße in Richtung Haynau unbenutzt. Die dort zur Zeit Napoleons gepflanzten Pappeln stehen noch.

Wir streiften auf unserer Weiterfahrt dann noch Vorhaus, wo das Schloß nicht mehr steht, weiter ging es in Richtung Lüben. Als wir in der Nähe von Brauchitschdorf aus dem Wald herausfuhren, gewahrten wir eine Stadt mit Hochhäusern. Es ist unsere einst ländliche Kreisstadt Lüben. Uns fehlte jeder Anreiz, diese Stadt zu besichtigen. Wir haben sie in uns behalten, wie sie uns einst vertraut war.

Unsere alte Heimat hatte ich lebhaft so in Erinnerung behalten, wie ich sie als junger Mensch erlebt und geliebt habe. Nicht selten haben mir Polen zu verstehen gegeben, daß auch sie ihre engere Heimat verloren haben und daß ein Zusammenleben mit Deutschen möglich sein könnte. Der Weg in ein geeintes Europa fiele ihnen nicht schwer...

Ernst Rau
Lübener Heimatblatt 10/1974 S. 22-23


Als seine Mutter Margarete Rau geb. Perle 1974 in Himbergen ihren 95. Geburtstag feierte, gratulierten im LHB auch Sohn Ernst Rau, Tochter Ursel, die Enkel Klaus-Jürgen, Roland, Ute und Hubertus sowie die Urenkel Heike und Kristin. Ich würde mich freuen, wenn die Nachfahren des Preußisch-Königlichen Revierförsters Otto Rau Bildmaterial und weitere Erinnerungen an das Forsthaus Lindhardt zur Verfügung stellen könnten. Wer hilft, den Kontakt zu vermitteln?
Margarete Rau geb. Perle